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CDU-Debatte zur Arbeitszeit: Was Wissenschaftler und Gewerkschafter sagen

CDU-Generalsekretär Linnemann verhöhnt die Work-Life-Balance. Kanzler Merz behauptet, dass für mehr Wohlstand auch mehr gearbeitet werden müsse. Studien belegen das Gegenteil. 

von Vera Rosigkeit · 27. Mai 2025
Plakat mit einem Symbol vom 8-Stunden-Tag

Laut Koalitionsvertrag soll der 8-Stunden-Tag abgeschafft und durch eine Wochenarbeitszeit ersetzt werden. Die Forderung stammt aus dem Wahlprogramm der Union.

Die von der CDU losgetretene Debatte, wonach in Deutschland zu wenig gearbeitet würde, reißt nicht ab. Gewerkschaften halten die Forderungen der CDU nach längeren Arbeitszeiten jedoch für eine Scheindebatte. Denn schon jetzt seien flexible Arbeitszeiten möglich, heißt es in einem Mythencheck des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Sechs Gründe, die gegen die Forderung der CDU sprechen.

1. Flexible Arbeitszeiten bereits ausreichend möglich

Laut Arbeitszeitgesetz ist derzeit eine maximale tägliche Arbeitszeit von acht Stunden erlaubt und das von Montag bis Samstag – insgesamt also 48 Stunden pro Woche. Doch von diesem Arbeitszeitgesetz kann auch heute schon abgewichen werden: Danach können Arbeitnehmer*innen bis zu zehn Stunden täglich, 60 Stunden wöchentlich und bis zu 13 Tage am Stück arbeiten, sofern die Ruhezeiten eingehalten werden. Auch Modelle wie eine Vier-Tage-Woche mit 40 Stunden sind möglich. 

In einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zur „Arbeitszeit: Flexibilität, Gestaltung, Erfassung“ heißt es dazu: „Die Arbeitszeiten in Deutschland sind hoch flexibel. Das zeigt sich nicht nur in einschlägigen Statistiken zu Abend-, Nacht-, Schicht- und Wochenendarbeit, sondern auch beim Blick ins Arbeitszeitgesetz, das etwa die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf zehn Stunden erlaubt.“ Amélie Sutterer-Kipping vom Hugo-Sinzheimer-Institut der Hans-Böckler-Stiftung erklärt in einer Stellungnahme für den zuständigen Bundestagsausschuss, dass die bestehenden Spielräume ausreichend seien, „um weitgehende und nötige Flexibilität für beide Seiten des Arbeitsverhältnisses zu gewährleisten“. 

2. Mehr arbeiten schadet der Gesundheit 

Arbeitsmarktexperte Hartmut Seifert weist auf die Bedeutung von Arbeitszeitgrenzen hin: „Gehen die Arbeitszeiten über acht Stunden hinaus, erhöhen sich die Risiken gesundheitlicher Beeinträchtigungen, von Fehlhandlungen und Unfallhäufigkeit nicht linear, sondern eher exponentiell“, schreibt Seifert in „Das Arbeitszeitgesetz in der aktuellen Reformdebatte“, FES impuls, April 2024. Kämen Faktoren wie Nachtarbeit oder Wechselschicht hinzu, stiegen die Risiken weiter. Arbeitswege und Pausen eingerechnet, kämen schon heute viele Beschäftigte auf zwölf Stunden oder mehr, die sie für Erwerbsarbeit aufbringen.

Seifert bemängelt darüber hinaus, dass gesamtwirtschaftliche Kosten durch erhöhte gesundheitliche Belastungen und steigende Sozialkosten „im Bereich der Gesundheitsversorgung, aber auch der Rente“ übersehen würden. Höhere Krankenstände, mehr Fälle von Erwerbsminderung und Frühverrentung – das könne „nicht im Interesse der Unternehmen sein, die sich einem schrumpfenden Arbeits- und Fachkräftereservoir gegenübersehen“, warnt Seifert.

3. Längere Arbeitszeiten führen zu Fachkräftemangel

Ein Aufweichung der Arbeitszeitgrenzen hätte nach Meinung von Hartmut Seifert besonders fatale Auswirkungen beispielsweise in der Alten- und Krankenpflege. So lägen bereits jetzt mit im Schnitt 37 Krankheitstagen pro Jahr Pflegebeschäftigte um mehr als zwei Wochen über dem Durchschnitt. Bei Fehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen belege die Pflege den ersten Platz. Nur 22 Prozent der hier Beschäftigten glaubten, dass sie ihren Job bis zur Rente durchhalten können. Käme es zu noch längeren täglichen Arbeitszeiten, wäre laut Seifert die Qualität der Patientenversorgung in Gefahr. 

Längere Arbeitszeiten machen es Frauen zudem noch schwerer, aus der Teilzeitfalle auszubrechen. „Dies kollidiere mit der Fachkräftestrategie der Bundesregierung, die die Frauenerwerbstätigkeit ausweiten will, so Seifert. Die Arbeitsrechtlerin Johanna Wenckebach erklärt dazu: „Die Norm der langen Vollzeit führt nachweisbar zu Diskriminierung und schließt Menschen von Erwerbsarbeit aus. So gehen uns Fachkräfte verloren und zugleich brennen andere aus.“

4. Mehr Erwerbsarbeit erschwert Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Längere Arbeitszeiten erschwere zudem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter erschweren. In diesem Zusammenhang kritisert Malte Lübker, Tarifexperte des WSI, auch das Vorhaben der Regierung, wonach laut Koalitionsvertrag Zuschläge für Mehrarbeit steuerfrei bleiben sollen. Steuerrabatte für Vollzeitbeschäftigte würden viele in Teilzeit arbeitende Frauen ausschließen. „In vielen Familien würde das einen Anreiz entstehen, dass der vollzeitarbeitende Vater mehr, die teilzeitarbeitende Mutter dafür aber weniger arbeitet, da es steuerlich begünstigt werden würde. 

Schon heute wenden Frauen rund 30 Stunden pro Woche für unbezahlte Care-Arbeit auf, (von Hausarbeit über Pflege von Angehörigen bis Kinderbetreuung), Männer rund 21 Prozent. Das geht aus einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2022 hervor. 

5. Mehr arbeiten bedeutet nicht mehr Wohlstand

DGB-Chefin Yasmin Fahimi betont, dass Mehrarbeit nicht automatisch mehr Produktivität bedeute. Dass sich Produktivität nicht 1:1 in geleisteten Arbeitsstunden widerspiegelt, erklärt auch Eike Windscheid-Profeta, Sozialexperte der Hans-Böckler-Stiftung. Für Produktivität ausschlaggebend sei mehr als eingebrachte Arbeitszeit, sondern „vor allem eine gute Organisation von (betrieblichen) Arbeitssystemen“. Die beinhalten beispielsweise auch Entscheidungs-, Führungs- und Kommunikationsprozesse. 

Windscheid-Profeta verweist in diesem Zusammenhang auf Untersuchungen bei Arbeitszeitverkürzung, wie etwa einer Vier-Tage-Woche. Sie wiesen darauf hin, dass der betriebliche Output stabil, wenn nicht sogar gesteigert werden konnte. Umgekehrt seien Produktivitätsverluste zu erwarten, wenn Arbeitszeiten (pauschal) ausgeweitet würden. Er begründet dies unter anderem mit erhöhten Unfall- und Krankheitsrisiken, zunehmenden Fehlern und Konzentrationsproblemen, die auf lange Sicht auch ein höherer Krankenstand und damit verbunden größere Fachkräfteengpässe mit sich bringen würden.

6. Mehrstunden sind die Regel, auch unbezahlt

Fakt ist, dass die Anzahl der insgesamt geleitsteten Arbeitsstunden in Deutschland zugenommen hat, laut Windscheid-Profeta insbesondere ab Mitte der 2000er Jahre. Gegenüber 1991 habe sich das jährliche Gesamtarbeitsvolumen immer weiter erhöht, u.a. auch, weil in hohem Maße Überstunden geleistet wurden.

Laut DGB summiert sich die jährliche Mehrarbeit in Deutschland zu „gigantischen Zahlen: Insgesamt wurden im Jahr 2023 1,3 Milliarden Überstunden geleistet“. Danach wurde mehr als die Hälfte der geleisteten Mehrarbeit nicht bezahlt. Das liege oft daran, dass Arbeitszeiten nicht erfasst würden. 

Für DGB-Chefin Fahimi geht schon deshalb die Forderung nach Mehrarbeit an der Realität von Millionen Beschäftigten vorbei. Sie spricht von einem Ideologie getriebenen Mythos, dass das Arbeitszeitrecht nicht flexibel sei. „In Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen regeln wir bereits tausendfach im Land flexible Arbeitszeitmodelle. Willkürlich angeordneter Arbeitseinsatz durch den Arbeitgeber muss unterbunden bleiben“, fordert sie.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Mi., 28.05.2025 - 13:22

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Sehr geehrte Frau Rosigkeit, vielen dank für diesen seriösen Artikel. Ich fürchte jedoch, er wird nur leider wenig bewirken. Sehr schade!
Die SPD musste wissen, dass 'solche Sachen' in einer Koalition mit einer BlackRock-Merz-CDU rauskommen!
Die SPD musste wissen, dass der jetzige - von der SPD gestützte CDU-Kanzler Merz - seine absolut neoliberale BlackRock-Sozialisation niemals über Bord werden wird. Oder hat in der SPD niemand "Mehr Kapitalismus wagen" gelesen???!!!
Wenn die SPD in naher Zukunft nicht in die politische Bedeutungslosigkeit fallen will, muss sie der BlackRock-Merz-CDU und der Mir-san-mir-CSU kräftig, kräftig in die Parade fahren!
Will die Lars-Klingbeil-SPD das? Kann sie das als Lars-Klingbeil-SPD faktisch überhaupt?

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