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Cannabis im Bundestag: „Die Voll-Legalisierung muss unser Ziel bleiben“

Am Freitag will der Bundestag das Cannabis-Gesetz beschließen. Für die SPD-Abgeordneten Carmen Wegge und Dirk Heidenblut ist das eine „kleine Revolution“. Es müsse aber bald ein zweiter Schritt folgen.

von Kai Doering · 23. Februar 2024
Eine kleine Revolution in der Drogenpolitik: Am Freitag beschließt der Bundestag das Cannabis-Gesetz.

Eine kleine Revolution in der Drogenpolitik: Am Freitag beschließt der Bundestag das Cannabis-Gesetz.

Nach Monaten der Debatte soll das Cannabis-Gesetz am Freitag im Bundestag beschlossen werden. Wie groß ist die Erleichterung?

Dirk Heidenblut: Es liegt eine aufregende Woche hinter uns. Das kann man nicht anders sagen. Nach all der Aufregung, nach all den Kämpfen und Fragen, die sich immer wieder gestellt haben, ist bei mir die Erleichterung schon groß, dass das Cannabis-Gesetz die Hürden Stück für Stück genommen hat. Mit den Beschlüssen der Ausschüsse in dieser Woche ist der erste verbindliche Schritt erreicht, dem nun der Beschluss im Plenum folgen wird.

Carmen Wegge: Ich will nicht von Erleichterung sprechen, sondern eher von Freude. Für mich persönlich ist das Cannabis-Gesetz eines der größten Projekte, die ich bisher in meiner Zeit als Abgeordnete betreuen durfte. Mit dem Gesetz wird der Bundestag eine kleine Revolution in der Drogenpolitik beschließen. Dass wir das jetzt schaffen, freut mich sehr.

Die öffentliche Kritik an dem Gesetz hat sich in den vergangenen Tagen nochmal zugespitzt: Die Innenminister*innen der Länder haben sogar einen Brief an die Ampel-Fraktionen geschrieben. Hat Sie das überrascht?

Wegge: Nein, das hat mich nicht überrascht. Dass die Gegnerinnen und Gegner der Cannabis-Legalisierung kurz vor der entscheidenden Abstimmung im Bundestag nochmal laut werden, war erwartbar. Der Brief der Innenminister ist auch nicht der erste, den sie schreiben. Natürlich nehmen wir ihre Bedenken ernst und werden darauf antworten, auch wenn ich es schade finde, dass ihre Kritik weniger faktenbasiert ist als aus einem Bauchgefühl heraus zu kommen scheint. Nicht vergessen sollten wir aber, dass sich auch die Pro-Seite in dieser Woche eindeutig geäußert hat. 30 Expertinnen und Experten haben uns Abgeordnete in einem offenen Brief dazu aufgefordert, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.

Heidenblut: Auch mich hat dieses Aufflammen der Kritik nicht gewundert. Zur politischen Praxis gehört es dazu, dass kurz vor einem Beschluss diejenigen, die stark dafür oder stark dagegen sind, nochmal alle Register ziehen. Normalerweise findet das aber eher im E-Mail-Postfach von uns Abgeordneten statt und nicht so stark in der Öffentlichkeit. Die Situation ist beim Cannabis-Gesetz schon besonders. Es wurde von Anfang an stark in der Öffentlichkeit diskutiert.

Dirk
Heidenblut

Wir geben den Menschen eine echte Chance, vom Schwarzmarkt wegzukommen, indem wir eine Alternative schaffen.

Im Interview im Oktober haben Sie, Carmen Wegge, gesagt, das Gesetz solle auch dafür sorgen, den Schwarzmarkt auszutrocknen. Die Landesinnenminister*innen befürchten, dass genau das Gegenteil passiert.

Wegge: Das muss man differenziert betrachten. Mit der ersten Säule des Gesetzes, die wir am Freitag beschließen, werden wir den Schwarzmarkt nicht deutlich schwächen. Wir werden ihm aber deutlich Kundinnen und Kunden entziehen, besonders die, die regelmäßig Cannabis konsumieren. Sie haben einen starken Anreiz, Mitglied in einer Anbau-Vereinigung zu werden oder selbst Cannabis anzubauen. Das betrifft etwa zwei bis vier Millionen Menschen. Wirksam wird den Schwarzmarkt schwächen, wenn wir im zweiten Schritt die Modellprojekte an den Start bringen. Deshalb ist es wichtig, dass auf die erste nun auch bald die zweite Säule folgt.

Foto: Sina Schmidt Picture PeopleHeidenblut: Niemand kann bestreiten, dass wir mit dem Cannabis-Gesetz die Bekämpfung des Schwarzmarkts angehen. Was nun vorliegt, ist da sicher noch nicht der große Wurf, aber ein wichtiger erster Schritt, zumal wir sicherstellen, dass Kinder- und Jugendschutz nicht unter die Räder kommen. Wenn man weniger restriktiv mit den Cannabis-Clubs und ähnlichen Einrichtungen umgegangen wäre, hätte man mit Blick auf den Schwarzmarkt sicher noch mehr erreichen können. Wir geben aber schon jetzt den Menschen eine echte Chance, vom Schwarzmarkt wegzukommen, indem wir eine Alternative schaffen. Umfassend werden wir den Schwarzmarkt dann im zweiten Schritt mit den Modellprojekten und letztlich der Legalisierung bekämpfen.

Offen ist noch die Frage von Cannabis-Gebrauch im Straßenverkehr. Da will das Bundesverkehrsministerium bis Ende März einen entsprechenden Vorschlag machen. Was sind Ihre Erwartungen?

Wegge: Entscheidend wird sein, wo der gesetzlich festgelegte Grenzwert für den Cannabis-Konsum im Straßenverkehr liegen wird, ähnlich der Promille-Grenze bei Alkohol. Das Bundesverkehrsministerium hat eine Kommission eingesetzt, die einen solchen Grenzwert nach wissenschaftlichen Kriterien festlegen soll bis zu dem man fahren kann, ohne berauscht zu sein. Dazu wird es dann einen eigenen Gesetzentwurf geben. Mit dem Cannabis-Gesetz ändern wir aber bereits die Straßenverkehrsordnung und regeln dort, dass man erst nach wiederholtem Cannabis-Gebrauch im Auto in die Medizinisch-Psychologische Untersuchung muss. Klar ist, der aktuelle Grenzwert ist kein guter, weil er dazu führt, dass Menschen, die nicht berauscht Auto fahren, trotzdem ihren Führerschein verlieren. Deshalb ist das Cannabis-Gesetz auch aus der Verkehrsperspektive ein großer Schritt.

Heidenblut: Diese Änderung ergibt sich auch zwingend aus dem Cannabis-Gesetz, weil sonst derjenige, der sein Cannabis aus dem Cannabis-Club abholt, zwar nicht dafür bestraft wird, aber seinen Führerschein verliert. Das wäre ja grotesk. Was den Gesetzentwurf des Verkehrsministeriums angeht, hoffe ich, dass er sich an den Grenzwerten in anderen Ländern orientieren wird. Dieser Gesetzentwurf sollte dann auch sehr schnell kommen und beschlossen werden. Bis es soweit ist, kann ich mir übrigens gut vorstellen, dass sich Gerichte bei entsprechenden Urteilen für den Übergang bereits an den Grenzwerten des Gesetzentwurfs orientieren werden.

Carmen
Wegge

Die Evaluierungen dienen dazu, die Auswirkungen des Gesetzes eng zu begleiten, um es noch besser zu machen.

Nach Inkrafttreten soll das Cannabis-Gesetz in mehreren Stufen evaluiert werden. Ist es ein Gesetz auf Bewährung?

Wegge: Nein, auf keinen Fall! Die Evaluierungen dienen dazu, die Auswirkungen des Gesetzes eng zu begleiten, um es noch besser zu machen. Das halte ich auch für sehr sinnvoll, denn mit den Cannabis-Gesetz betreten wir in Deutschland schließlich Neuland. Rückgängig machen will es damit niemand.

Heidenblut: Im Gesundheitsbereich ist ein solches Verfahren Usus. Wir verfolgen mit einem Gesetz ja Ziele. Das ist auch hier der Fall. Die Evaluierung dient dazu zu überprüfen, ob diese Ziele auch erreicht werden. Dabei geht es um Nachsteuerung, nicht darum, ein gesamtes Gesetz in Frage zu stellen. Die Evaluation kann übrigens in beide Richtungen wirken und auch ergeben, dass einige Punkte des Gesetzes zu restriktiv sind.

In ihrem Programm für die Europawahl fordert die SPD sogar eine europaweite Legalisierung von Cannabis. Würde das die noch bestehenden europarechtlichen Probleme für die Freigabe in Deutschland lösen?

Wegge: Dass die europaweite Legalisierung in unserem Wahlprogramm steht und die Formulierungen durch die Antragskommission noch verbessert wurden, freut mich sehr. Die deutliche Mehrheit bei der Europadelegiertenkonferenz macht auch deutlich, dass die große Mehrheit in der SPD hinter der Cannabis-Freigabe steht – auch wenn einige medial anders unterwegs sind. Wenn es so käme, wie im Europawahlprogramm vorgesehen, stünde einer Voll-Legalisierung von Cannabis nichts mehr im Wege.

Heidenblut: Das sehe ich ganz genauso. Auch wenn wir am Freitag einen wichtigen Schritt gehen werden, muss die Voll-Legalisierung unser Ziel bleiben.

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3 Kommentare

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Fr., 23.02.2024 - 07:01

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werden. Dazu muss der Staat wirtschaftsfördernde Leistungen bereitstellen, Steuervorteile für neue Geschäfte, Existenzgründungszuschüsse und dergleichen. Nur so ist sicherzustellen, dass wir immer und überall einen durchziehen können, was heute noch so schwer fällt. Dann muss auch die Angebotsseite gestärkt werden, da könnte man den Landwirten entgegenkommen- preiswerten Diesel gegen geförderten Hanfanbau. letzten Endes aber dürfen wir mit dem Erreichten nicht Haltmachen. Wir müssen weiter alle Kräfte sammeln und nun darauf konzentrieren, auch die Freigabe der verunglimpften "harten Drogen" auf den Weg zu bringen. Wie Bier zur Wodka, so steht Cannabis zu Heroin. Eine Frage der Dosis, sonst nichts.
Abschließend ein großer Dank an die SPD, die hier eine der großen Fragen unserer Zeit einer Lösung zugeführt hat.

"Wie Bier zur Wodka, so steht Cannabis zu Heroin. Eine Frage der Dosis, sonst nichts." - das stimmt fuer Alkohol schon, das es sich um das selbe Gift handelt. Jawohl Gift ist der Alkohol, auich bei Aufnahme geringer Dosen - Krebswahrscheinlichleit, Zellzerstoerung, Intellektuelle Beeintraechtigung. Cannabis und Heroin sind unterschiedliche Stoffe, wobei Heroin aus Opium gewonne wird - Opiate sind extrem abhaengig machend, sowie psychisch als auch physisch - kannte ienioge Junkies in juengeren Jahren, bei Mohnprodukten ist groesste Vorwicht geboten mit starker Einschraenkung der Verfuegbarkeit. DAbei kann man natuerlich die "Opiumsuechtigen" per aerztlichesm Rezept vom Druck der Beschaffungskriminalitaet befreien - Methadon schafft es offenbar nicht so umfassend, weil diem Wirkung fehlt. Wer mal Opium probiert hat, weiss wie schoen und schmerzfrei die Welt nach dessenEinnahme zeitlich begrenzt ist - brandgefaehrlich als "Verdraengungsdroge". Alkohol wirkt auch in diese Richtung, so dass man, wenn die Union in der naechsten Regierung das Ganze wieder kippt, genuegend Argumente findet, um ein komplettes Verbot der "harten" Droge Alkohol durchzusetzen - Cannabis kommt isoliert betrachtet, als Droge noch am Besten weg in Sachen Schaedlichkeit. Der potentielle Abhaengigkeitsgrad ist bei Cannabis u. Alkohol in etwa gleich (niederl. Studie mal im Oeffebntl. Rechtlichen zitiert). Nikotin macht ebenfalls hochgradig abhaengig.

Wenn sich die CSU zum Starkbieranstich trifft und Soeder wieder sagt "Cannabis macht dumm" - so fuehle ich micht beleidigt, ich habe selbst waehrend meiner Ausbildung zum Informatiker gelegentl. gekifft, mit Abschlussnote 1,2 und nun als Rentner auf eine erfolgreiche KArriere zurueckblickend, sage ich immer wieder: Alkohol macht dumm, besonders regelmaessiger Bierkonsum. Die Trinker unter den ehealigen Jugendfreunden schaffen am Bau oder in der Fabrik, sie haben leider nicht auf die mahnenden Stimmen einiger Leute gehoert, die Cannabis bevorzugten. Aber das will man, besoffene Dumpfbacken lassen sich besser steuern als wache Kiffer, wobei es da natuerlich auch "besoffene" Exemplare gibt. Als Erwachsener solte man einfach sein Gras, besser HAschisch - das ist vertraeglicher, kaufen koennen, so wie Soeder sein Buier trinkt. Kein Cannabis, kein Bier, sage ich!

Der Vergleich Bier/Wodka vs. Cannabis/Heroin ist Unfug, denn sowohl Bier als auch Wodka enthalten die proaktive Substanz Ethanol (Alkohol), der bekanntlicherweise zur Freisetzung von Endorphinen (körpereigene Opioide, die wirken wie ebendas Heroin) führt. Vergleiche dazu auch die ähnlichen Suchtstrukturen von Alkohol und Opiaten. Cannabinoide hingegen aktivieren keine Opiatrezeptoren, haben also einen ganz anderen Wirkmechanismus.
Ein anderes Problem mit diesem Gesetz: ab 1.April darf ich 3 weibliche Cannabispflanzen zu Hause anbauen - bis zur Ernte wird das wohl bis Septembet dauern ! Gleichzeitig darf ich ab 1. Abril 50 gr Cannabis besitzen und 25 gr mit mir führen; jetzt erklär mir mal der zuständige Minister oder eine:::r seiner Mitarbeiter::::innen wo ich am 1. April das Zeug LEGAL beschaffen kann. Gesetzt den Fall ich würde zwischen 1. April und Erntezeit mit Cannabis erwischt - was macht die Polizei und Justiz ????? Lücken. Lücken, Lücken ........ also berauschend ist der Gesetzentwurf der Regierung nicht.