Antisemitismus: Was ein jüdischer Sozialdemokrat jetzt von der SPD fordert
Von Propaganda bis Gewalt: Die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland ist im Jahr 2024 rapide angestiegen. Das zeigt eine neue Statistik. Abraham de Wolf vom Arbeitskreis jüdischer Sozialdemokrat*innen hat deshalb eine klare Forderung an die SPD.
imago/Jürgen Held
Alltag in Deutschland: Polizist*innen schützen Synagogen, so wie hier in Berlin-Kreuzberg.
Im vergangenen Jahr sprach eine Frau in Leipzig auf offener Straße hebräisch. Deswegen wurde sie antisemitisch beleidigt und sexualisiert bedroht. in Hamburg schmierte jemand Hakenkreuze an die Wohnungstür eines jüdischen Ehepaars.
24 antisemitische Vorfälle pro Tag
Dies sind zwei von 8.627 antisemitischen Vorfällen, die der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) im Jahr 2024 bundesweit gezählt hat. Dies entspricht 24 Vorfällen pro Tag und einem Anstieg um 77 Prozent. Auch andere Statistiken, etwa die des Bundeskriminalamts, sehen einen deutlichen Trend nach oben.
Laut dem am Mittwoch vorgestellten Bericht des RIAS hatten 68 Prozent der gemeldeten Vorfälle einen Bezug zum terroristischen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und den anschließenden Gaza-Krieg. „Auffällig war die Zunahme von Antisemitismus in politischen Auseinandersetzungen, etwa durch Demonstrationen, Schmierereien und Aufkleber“, heißt es darin.
Bei 1.802 Versammlungen sei Antisemitismus verbreitet worden. Die Schoa sei relativiert, antisemitische Gewalt verherrlicht oder Terrororganisationen wie die Hamas gefeiert worden. Wiederholt seien Gegendemonstrant*innen angegriffen, bedroht und beleidigt worden.
Rechtsextreme Taten erreichen Höchststand
Antisemitische Vorfälle an Hochschulen verdreifachten sich und erreichten die Zahl 450. Entsprechende Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund stiegen um 28 Prozent auf 544 und damit auf den höchsten Wert seit Beginn des bundesweiten Vergleichs im Jahr 2020.
„Judenhass ist in Deutschland mittlerweile so stark verbreitet, wie wir es uns noch vor wenigen Jahren nicht vorstellen wollten“, kommentierte Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, die Zahlen. Der Kampf gegen Antisemitismus müsse breiter aufgestellt werden und neben der Bundesregierung, Politik und Verwaltung auch die gesamte Zivilgesellschaft umfassen.
Abraham de Wolf, der Sprecher des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokrat*innen, fordert im Gespräch mit dem „vorwärts“ alle demokratischen Parteien dazu auf, den Antisemitismus in Deutschland entschlossener politisch zu bekämpfen. „Bislang gibt es nur eine phrasenhafte Politik der Demokraten“, kritisiert er. Deren Schwäche sei die Nichtbefassung mit dem Problem.
Abraham de Wolf: Schulbücher verbreiten Vorurteile über Jüd*innen
Im Jahr 2015 habe die Schulbuchkommission konkrete Empfehlungen veröffentlicht, wie das Bild des Judentums in deutschen Schulbüchern, die Vorurteile förderten, dringend geändert werden müsse. „Seitdem ist nichts passiert“, so der Vorsitzende des Arbeitskreises, dem rund 300 Genoss*innen angehören. „Anstatt mit Parolen wie ,Rassismus, Antisemitismus und Israelfeindlichkeit haben keinen Platz an Schulen und Hochschulen‘ um sich zu werfen, sollte die Bundesregierung die Länder dabei unterstützen, die Empfehlung der Schulbuchkommission endlich umsetzen“, fordert er.
Zudem vermisst de Wolf eine „breite und konkrete argumentative Auseinandersetzung mit der AfD“, schließlich fördere diese den rechtsextremen Antisemitismus. „Forderungen einiger Demokraten nach einem Verbot dieser Partei wirken wie die Flucht vor der politischen Mitwirkungspflicht“, sagt er.
An die SPD richtet er vor allem eine Erwartung: Sie müsse sich von der „Phrase einer Zweistaatenlösung für Israelis und Palästinenser“ lösen, die außen vorlasse, dass es dafür zwei demokratische Staaten brauche. Mit einem terroristischen Regime wie dem der Hamas sei dieses Modell undenkbar. Auch müsse sie eine Antwort auf eine zentrale Frage finden: Wie lässt sich die „nihilistische Gewaltpolitik der Hamas und der Islamisten“, die ja auch in Deutschland verbreitet werde, überwinden?
„Hamas, Islamisten und Rechtsextremisten sind die Hauptfaktoren“
„Immerhin zeigt der RIAS-Bericht, dass Anhänger der Hamas und Islamisten neben Rechtsextremisten zu den Hauptfaktoren hinter der Welle der judenfeindlichen Straftaten zählen“, sagt der 65-Jährige. „Das darf man nicht politisch ignorieren.“
Leben Jüdinnen und Juden noch sicher in Deutschland? Diese Frage verbinden viele mit der jüngsten und mit anderen Erhebungen zum Antisemitismus in Deutschland. Zu seiner persönlichen Lage sagt de Wolf: „Für mich hat sich nichts geändert. An meinem Wohnort Frankfurt am Main bin ich nicht gefährdet. Seit meiner Kindheit bin ich es gewohnt, dass Polizisten vor der Synagoge stehen.“
Gleichwohl nimmt er die Dinge wahr, die in seiner Umgebung geschehen. Im Zuge der Proteste gegen Israels Vorgehen im Gaza-Streifen sei im vergangenen Jahr die Wiese der Frankfurter Universität besetzt worden. Nicht etwa von Student*innen, sondern von Islamist*innen. „Auch habe ich das Geschrei während der israelfeindlichen Demonstrationen gehört“, berichtet er. Dies habe er allerdings nicht als bedrohlich empfunden.
Abraham de Wolf: „Rechtsstaatlichkeit darf nicht wegen Antisemitismus leiden“
Trotz der wiederholten antisemitischen Vorfälle am Rande von Kundgebungen hält De Wolf nichts von Forderungen, repressiver gegen pro-palästinensische Versammlungen vorzugehen. „Das Versammlungs- und Demonstrationsrecht ist ein Grundrecht und das soll auch so bleiben“, betont der Jurist. „Die Rechtsstaatlichkeit darf nicht wegen des Antisemitismus leiden.“