Gaza-Krieg: „Für die Opfer beider Seiten dieselbe Empathie aufbringen“
Die Feuerpause zwischen Israel und der Hamas hält. Für Gabriela Heinrich ist das eine gute Nachricht. Gleichzeitig betont die Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe: Der beste Weg zum Frieden ist die Zwei-Staaten-Lösung.
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Hilfskonvoi auf dem Weg nach Gaza-Stadt: Es fehlt vor allem an Wasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten.
Am Freitag ist nach langen Verhandlungen eine mehtägige Feuerpause zwischen Israel und der Hamas in Kraft getreten. Wie wichtig ist diese Zeit, in der die Waffen schweigen sollen?
Die Feuerpause ist sehr wichtig. Ich bin äußerst erleichtert über die Freilassung von Geiseln, darunter auch deutsche Doppelstaatler. Das Ziel muss sein, dass alle so schnell wie möglich wieder freikommen. Wir hoffen, dass die humanitäre Hilfe für Gaza während dieser Zeit deutlich verbessert werden kann. Für die Menschen dort fehlt es vor allem an Wasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten. Hilfslieferungen sind deshalb dringend erforderlich. Die Feuerpause ermöglicht diese jetzt zum Glück.
In der vergangenen Woche haben Sie viele Gespräche mit Vertreter*innen von israelischer wie von palästinensischer Seite geführt. Wie ist die humanitäre Situation vor Ort zurzeit?
Israel hat das Recht, sich gegen den barbarischen Angriff der Hamas zu verteidigen. Die Hamas hat nicht nur schreckliches Leid über Israel gebracht, sondern der Angriff zieht auch furchtbare Konsequenzen für die Zivilbevölkerung in Gaza nach sich. Unschuldige Zivilisten werden als menschliche Schutzschilde benutzt. Die humanitäre Situation ist katastrophal. Es ist uns deshalb ein großes Anliegen, zu helfen. Deutschland ist einer der größte Geber für humanitäre Hilfe im Gazastreifen. Als positiv empfinde ich, dass es bei den Israelis und den Palästinensern Stimmen gibt, die betonen, dass es eine friedliche Lösung dieses Konflikts geben muss.
Israel hat sich lange gegen eine Feuerpause ausgesprochen und betont, dass es Frieden erst geben kann, wenn die Hamas zerstört ist. Kann es auf dieser Grundlage einen Frieden geben?
Der beste Weg zum Frieden ist die Zwei-Staaten-Lösung. Die scheint im Moment sehr weit weg zu sein und es gibt viele Voraussetzungen, die erst erfüllt sein müssten, damit man überhaupt in dieser Richtung verhandeln kann. Aber ohne die Zwei-Staaten-Lösung als Ziel zu haben, werden Friedensverhandlungen keinen Sinn machen. Die Hamas ist eine Terrororganisation, deren Ziel es ist, Israel zu vernichten. Es ist verständlich, dass die israelische Regierung die Infrastruktur der Hamas zerstören will.
Wer ist von beiden Seiten so anerkannt, dass er eine Zwei-Staaten-Lösung verhandeln könnte?
Das ist die große Frage. Sicherlich wird hier der Westen sehr gefragt sein, also die USA, aber auch europäische Länder wie Deutschland. Aber natürlich müssen sich auch die arabischen Länder mit einbringen, die ja jetzt auch auf die Feuerpause hingewirkt haben. Wer am Ende konkret auf israelischer und palästinensischer Seite verhandeln wird, lässt sich jetzt noch nicht sagen. Dafür verändert sich die Situation vor Ort zu schnell. Die Frage wird auch sein, wie sich die innenpolitische Lage in Israel in den kommenden Wochen entwickelt. Am Ende müssen die an den Verhandlungstisch, die ein Interesse an einer friedlichen Lösung haben.
Als deutsch-israelische Parlamentariergruppe sprechen Sie ja viel mit Abgeordneten aus Israel. Wie hat sich die innenpolitische Lage dort sein dem 7. Oktober verändert?
Der Deutsche Bundestag hat mit dem fraktionsübergreifenden Antrag ein starkes Zeichen der Solidarität mit Israel ausgesendet – das wurde auch von den israelischen Parlamentarierinnen und Parlamentariern gesehen. Innenpolitisch deutet sehr viel darauf hin, dass Benjamin Netanjahu und seine Regierung die Mehrheit verloren haben. Rücktrittsforderungen kommen nicht nur aus der politischen Opposition, sondern auch sehr stark aus der Zivilgesellschaft. Welchen Einfluss das auf die Regierung hat, wird sich zeigen. Im Moment trifft vor allem das Kriegskabinett die Entscheidungen. Die Abgeordneten der Knesset sind weitgehend außen vor. Die innenpolitischen Konsequenzen werden wahrscheinlich erst deutlich werden, wenn der Krieg beendet ist.
Die Bilder aus Gaza machen auch in Deutschland viele Menschen betroffen. Mittlerweile wird immer öfter der Vorwurf erhoben, es werde bei den Toten mit zweierlei Maß gemessen. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Nein, das kann ich nicht. Auch mich machen die Bilder aus Gaza betroffen, aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir die Bilder der barbarischen Anschläge auf Israel vom 7. Oktober in Deutschland gar nicht zu Gesicht bekommen haben. Dadurch entsteht natürlich visuell ein gewisses Ungleichgewicht. Ich bin aber sehr sicher, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung auch die Opfer in Gaza immer wieder ansprechen und ihr Schicksal niemanden kalt lässt. Wir sollten für die Opfer beider Seiten dieselbe Empathie aufbringen. Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass dieser Angriff mit der höchsten Opferzahl seit dem Holocaust für Israel zutiefst traumatisch ist. Israel hat das Recht, sich dagegen zu verteidigen und die Terroristen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Zivilbevölkerung in Gaza ist auch ein Opfer des Terrors der Hamas.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.