So wird die neue Chancenkarte für ausländische Fachkräfte ein Erfolg
Seit dem 1. Juni gilt die Chancenkarte: Ausländische Fachkräfte, die noch keinen Job haben, können sich in Deutschland um einen bemühen. Was es nun braucht, damit die sich die Karte für alle auszahlt, erklärt die SPD-Bundestagsabgeordnete Rasha Nasr.
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Deutschland sucht qualifizierte Arbeitnehmer*innen: Die Chancenkarte ermöglicht Fachkäften aus dem Ausland sich in der Bundesrepublik einen Job zu suchen.
Mit der Verabschiedung des „Gesetzes zur Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgeseztes“ hat der Bundestag im Sommer 2023 eine weitere wichtige Säule der Fachkräftestrategie umgesetzt: Das Gesetz weitet die Wege zur legalen Einreise nach Deutschland mit dem Ziel der Arbeitsaufnahme deutlich aus und bietet mit der Einführung der sogenannten Chancenkarte erstmals auch die Möglichkeit, als ausländische Arbeits- und Fachkraft ohne konkretes Jobangebot nach Deutschland zu kommen.
Alles auf eine Karte setzen mit der Chancenkarte
Zum 1. Juni 2024 trat nun der dritte und letzte Teil des Gesetzes in Kraft: Kern ist die Einführung der Chancenkarte. Mit ihr eröffnet die Bundesrepublik auch jenen einen legalen Einreiseweg zur Arbeitsaufnahme, die noch kein konkretes Arbeitsplatzangebot vorweisen können. Anhand eines Punktesystems basierend auf verschiedenen Kriterien (wie Sprachkenntnissen, Ausbildung in einem Mangelberuf oder auch einem Deutschlandbezug) können Interessierte aus dem Ausland zur Arbeitsplatzsuche einreisen.
Dafür benötigen sie mindestens sechs Punkte und zudem ein Sperrkonto, mit dessen Rücklagen sie sich ein Jahr selbstfinanziert in Deutschland aufhalten können. Zur weiteren Sicherung des Unterhalts ist eine Nebenbeschäftigung mit bis zu 20 Arbeitsstunden pro Woche erlaubt. Auch wenn dieser Weg ebenso eine mindestens zweijährige Ausbildung im Herkunftsland erfordert, muss die in Deutschland angestrebte Arbeit nicht automatisch in diesem Ausbildungsbereich aufgenommen werden.
German Dream statt German Angst
Gerade bei Eingewanderten, die mit der Chancenkarte nach Deutschland kommen werden, spielen die frühzeitige Bindung und „Betreuung“ eine wichtige Rolle: Sie starten bei null und ihnen fehlt noch der Integrationsfaktor „Arbeitsplatz und -umfeld“. Aber lassen wir uns doch von ihrem Pioniergeist, ihrem Traum von einem besseren Leben und ihrem unerschütterlichen Optimismus anstecken und uns ebenso in Zuversicht üben. Digitale, mehrsprachige Angebote sind bereits in der Entwicklung und werden eine erste Lücke schließen können.
Wir müssen aus unserer Geschichte lernen: Die Menschen kommen nicht nur, um unseren Wohlstand zu erwirtschaften. Sondern sie kommen, um sich hier ein Leben aufzubauen. Ausreichend Sprach- und Integrationskurse im In- und auch schon im Ausland sind dabei nur die Mindestanforderungen, denen wir gerecht werden müssen. Unternehmen müssen wiederum offen für jene Menschen sein, die vielleicht noch nicht zu 100 Prozent auf die ausgeschriebenen Stellen passen oder eben noch nicht das perfekte Deutsch sprechen – wie wäre es mit Englisch-Sprachkursen für die Stammbelegschaft, um auch hier einen Kommunikationsweg zu öffnet?
Was brauchen wir, um gut integrieren zu können
Unternehmen und Kolleg*innen sind aufgerufen, sich zusammen auf den Weg zu machen und die neuen Mitarbeitenden „an die Hand zu nehmen“: Sei es über ein eigenes Mentorenprogramm im Unternehmen oder interkulturelle Trainings für die gesamte Belegschaft. Eine Aufgabe wird sein, entsprechende Programme auch gerade für kleine und mittelständische Unternehmen attraktiv zu gestalten. Denn in den meisten Fällen sind ihre Ressourcen zu knapp, um diese Anstrengungen aus eigener Kraft zu stemmen. Entsprechende Programme dienen dabei nicht nur der Verständigung mit den neuen Mitarbeiter*innen, sondern nehmen auch eine wichtige Rolle mit Blick auf die Stammbelegschaft ein. Denn Integration ist bekanntlich keine Einbahnstraße und Empathie für alle Beteiligten wird hier zur Schlüsselqualifikation.
Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände stehen den ausländischen Arbeitskräften und Unternehmen ebenfalls zur Seite. Doch diese Infrastruktur ist massiv bedroht: Gerade die Anbieter von Migrationsberatungsstellen brauchen nicht nur eine ausreichende finanzielle Förderung – diese deckt gerade das Minimum ab. Sondern sie brauchen eigentlich noch mehr Ressourcen, um der steigenden Nachfrage gerecht werden zu können. Ein Weg für die Zukunft können Zusammenschlüsse von Sozialpartnern, Gewerkschaften und Unternehmen vor Ort sein, die gemeinsam und nach genossenschaftlichem Prinzip die Integrationsinfrastruktur in den Kommunen ergänzen und stützen.
Auf die Stay-Faktoren kommt es an
In der öffentlichen Debatte müssen wir dringend weniger über sogenannte „Pull“-Faktoren sprechen. Die „wahren Pull-Faktoren“ heißen: Frieden, Demokratie und Meinungsfreiheit, soziale Absicherung bis ins Alter und Rechtsstaatlichkeit. Doch wie sehen die Stay-Faktoren aus, die die Menschen dazu bringen, langfristig Fuß in Deutschland zu fassen und nicht schon nach wenigen Jahren wieder zu gehen?
Es geht um die Anerkennung und den Respekt vor den ganz individuellen Lebensentscheidungen jener Menschen: Sie haben sich entschieden Teil unserer Gemeinschaft zu sein – nicht nur mit den bekannten Pflichten, sondern ganz besonders auch mit ihren Rechten. Bringen wir ihnen das Vertrauen entgegen, dass auch sie ein ehrliches Interesse daran haben, dass wir alle gut miteinander auskommen. Zeigen und geben wir ihnen die Räume, in denen das möglich ist und ermutigen wir sie, selbst ihre Stimmen und Sichtweisen einzubringen. An Mut oder Zuversicht wird es ihnen jedenfalls nicht mangeln – sonst wären sie nicht hier.
Sozialdemokratische Vision einer pluralistischen Gesellschaft
Ein nächster Schritt muss daher die Umsetzung der Pläne zum Partizipationsgesetz sein: Die Idee eines Partizipationsrates unterstreicht den eben genannten Punkt, die vielfältigen Stimmen unserer Gesellschaft zum Sprechen zu bringen. Das Gesetz oder der Rat sind kein „nice to have“, sondern eine Notwendigkeit, um unserem Anspruch einer vielfältigen Gesellschaft gerecht zu werden.
Das neue Staatsangehörigkeitsrecht, das doppelte Staatsbürgerschaften ermöglicht, spielt hier eine wichtige Rolle: Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ist ein starkes Bekenntnis zu Deutschland. Damit einher geht auch das Wahlrecht: Zu viele Menschen waren in der Vergangenheit von demokratischen Wahlen ausgeschlossen, obwohl sie teils seit Jahrzehnten hier leben. Im Rahmen der Mehrstaatlichkeit bekommen ihre Stimmen endlich Gewicht, wenn es um mit Mitbestimmung geht. Zukünftig werden wir verstärkt darüber debattieren, ob das Wahlrecht ausschließlich an die deutsche Staatsbürgerschaft geknüpft bleiben wird oder welche Formen der Beteiligung es noch geben kann.
Es kommen Menschen
Egal, auf welchem Wege sie zu uns kommen: Es kommen Menschen. Menschen mit ihren Familien, die sich bewusst dazu entscheiden in Deutschland zu leben und zu arbeiten – allein dafür verdienen sie unseren Respekt. Das bedeutet aber auch, dass jeder von uns dazu aufgerufen ist, unseren neuen Nachbar*innen, unseren neuen Kolleg*innen offen gegenüber zu stehen. Kein Gesetz der Welt kann einen Mentalitätswandel in unseren Köpfen vorschreiben. Es liegt an uns allen, wie wir unser Miteinander gestalten, wie weit wir unsere Räume für Menschen aus dem Ausland öffnen und wie bereit wir sind, sie mit ihren individuellen Hintergründen an- und als wichtige Bestandteile in unserer Mitte aufzunehmen. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen wird.