Meinung

Fachkräfteeinwanderung: Was die Erleichterungen zum 1. März bedeuten

Seit dem 1. März gelten erleichterte Regelungen zur Einwanderung von Fachkräften nach Deutschland. Warum das entsprechende Recht dadurch sozialdemokratischer geworden ist, erklärt der SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir in einem Gastbeitrag.

von Hakan Demir · 4. März 2024
Seit dem 1. März ist Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland einfacher geworden.

Seit dem 1. März ist Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland einfacher geworden.

Eine zweijährige Ausbildung im Herkunftsland, viele Jahre Berufserfahrung, ein Job-Angebot über 3.400 Euro, ein deutscher Mittelstandsbetrieb, der bei den Einreiseformalitäten unterstützt – man würde glauben, das reiche. Auch für Menschen aus Indien oder Ghana. Doch bis dato reichte all das nicht, um als dringend benötigte Fachkraft nach Deutschland kommen zu dürfen. Für Menschen von außerhalb der EU gab es hier schlicht keinen Aufenthaltstitel. Seit dem 1. März ist das Aufenthaltsrecht an dieser Stelle moderner. 

Einwanderungsrecht wird sozialdemokratischer

Denn die Ampel hat erkannt, dass das deutsche Einwanderungsrecht nicht mehr in allen Belangen zeitgemäß ist. Angesichts des demographischen Wandels braucht Deutschland eine jährliche Nettozuwanderung von 400.000 Arbeitskräften. Jenseits von Fluchtmigration wurden diese Zahlen in keinem der vergangenen Jahre erreicht. Denn Deutschland steht nicht nur im Wettbewerb mit klassischen Einwanderungsländern wie den USA oder Kanada. Auch andere EU-Staaten oder die Länder der arabischen Halbinsel werben global um Arbeitskräfte. Sich darauf auszuruhen, dass Deutschland automatisch ein Magnet für gut qualifizierte Menschen ist, wäre naiv. Die Unternehmen, mit denen ich in Berlin spreche, wissen das. Das Einwanderungsrecht musste nachziehen. 

Das Einwanderungsrecht wird auch sozialdemokratischer. Qualifizierungspflichten, Gehaltsuntergrenzen, Tarifbindung und staatlich finanzierte Beratungsangebote ziehen sich durch das gesamte Gesetz. Denn Arbeitsmigration darf nie zu Ausbeutung führen. Sie muss fair verlaufen, im Betrieb und in der Gesellschaft auf Akzeptanz und Unterstützung treffen. 

Was ist neu seit dem 1. März?

Den größten Paradigmenwechsel bringt die sogenannte „Beschäftigung mit berufspraktischer Erfahrung“. Sie gilt für alle nicht-reglementierten Berufe, also im Handwerk, in der Gastronomie oder im Marketing. Eine zweijährige staatlich anerkannte Ausbildung im Herkunftsland reicht jetzt aus, wenn man mindestens zwei Jahre relevante Berufserfahrung nachweisen kann und der erste Arbeitsvertrag über der vorgesehenen Gehaltsschwelle liegt. (45 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung, aktuell also knapp 3.400 Euro) Von der Gehaltsgrenze abgewichen werden kann nur bei Tarifbindung.

Auf berufsbegleitende Qualifizierung ausgerichtet ist die Anerkennungspartnerschaft. Sie richtet sich an Menschen mit Qualifikationen, die noch nicht als gleichwertig anerkannt ist. Für die Anerkennung der Berufsqualifikation gibt es drei Jahre Zeit, in der Sprach- und Fachkenntnisse vertieft werden können. Der Arbeitgeber leistet dabei enge Unterstützung. Während des kompletten Zeitraums kann die Person bereits Vollzeit im Betrieb eingesetzt werden. 

Chancenkarte ab 1. Juni

Ab 1. Juni kommt die Chancenkarte hinzu, mit der Menschen selbstfinanziert zur Arbeitsplatzsuche nach Deutschland kommen können. Sie steht ebenfalls Menschen mit zweijähriger Ausbildung offen, wenn sie im Rahmen eines Punktesystems weitere Voraussetzungen erfüllen, zum Beispiel Berufserfahrung oder Deutschkenntnisse nachweisen. 

Auch für Menschen ohne formale Qualifikation wird Deutschland offener. Die erfolgreiche Westbalkanregelung wurde entfristet. Zudem wird ab dem 1. Juni 2024 das jährliche Kontingent auf 50.000 Menschen verdoppelt. Damit können Menschen aus Albanien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo, Nordmazedonien und Montenegro weiterhin ohne Qualifikationsprüfung nach Deutschland kommen. Sie brauchen dafür ein Jobangebot und ihre Arbeitsbedingungen müssen nachweislich gleichwertig zu den im Betrieb beschäftigten deutschen Arbeitnehmer*innen sein. 

Zudem gilt seit 1. März 2024 die kurzzeitige kontingentierte Beschäftigung – eine Art verlängerte Saisonbeschäftigung von bis zu acht Monaten im Jahr. Sie wird zum Beispiel bei saisonalen Spitzen an deutschen Flughäfen in der Urlaubssaison helfen. Diese Regelung steht nur tarifgebundenen Betrieben offen. Zudem prüft die Bundesagentur für Arbeit jährlich den tatsächlichen Bedarf. Denn Anwerbung aus dem Ausland sollte nie dazu herhalten, sich weniger um Rekrutierung, Qualifizierung und gute Arbeitsbedingungen in Deutschland kümmern zu müssen. 

Demokratie und Menschenwürde für alle verteidigen

Zu guten Arbeitsbedingungen müssen auch gute Lebensbedingungen kommen. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns, Deutschland auch für alle zu einem Land zu machen, in dem man sicher lebt und bleibt. Schwarze Menschen erfahren in keinem anderen EU-Staat so häufig Rassismus wie in Deutschland. Die Deportationspläne der AfD haben viele Menschen in Deutschland nachhaltig verunsichert. Die aktuelle Demokratiebewegung zeigt aber auch, dass weite Teile der Gesellschaft es als ihre Aufgabe sehen, Demokratie und Menschenwürde für alle in unserem Land zu verteidigen. Auch für die diejenigen, die neu dazukommen. 

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