Kultur

Regisseur Andres Veiel über Leni Riefenstahl: „Prototyp einer Faschistin“

Bis heute hält sich das Bild von Leni Riefenstahl als unpolitischer Künstlerin. Im Interview beschreibt Regisseur Andres Veiel, wie er im Dokumentarfilm „Riefenstahl“ die Legenden dekonstruiert hat, mit denen sich die Macherin etlicher NS-Propagandafilme umgab. 

von Nils Michaelis · 1. November 2024
Leni Riefenstahl

Stets bedacht um die Außenwirkung: Leni Riefenstahl bei Dreharbeiten für die Dokumentation „Speer und er“ von Heinrich Breloer im Jahr 1999.

Mit Propagandafilmen wie „Triumph des Willens“ und „Olympia“ trug Leni Riefenstahl (1902-2003) entscheidend zur Massenwirkung des Nationalsozialismus bei. Ihre Nähe zu Hitlers Führungselite war bekannt. Dennoch stellte sich die Regisseurin und Fotografin bis zum Schluss als unbelastete, vom Regime missbrauchte Künstlerin dar. „Die Politik ist das Gegenteil von dem, was mich mein Leben lang erfüllt hat, die Kunst“, sagte sie mal in einem Interview. 

Der subtil erzählte Dokumentarfilm „Riefenstahl“ zeigt, dass dieses Bild eine bewusste Täuschung ist, möglicherweise auch eine Selbsttäuschung. Regisseur Andres Veiel („Black Box BRD“) und sein Team haben über Jahre den Nachlass einer der umstrittensten Frauen des 20. Jahrhunderts ausgewertet: rund 700 Kisten, gefüllt mit Zeitungsartikeln, Tagebucheinträgen, Telefonmitschnitten und vieles mehr. Veiels Urteil ist eindeutig. Und eine Warnung mit Blick auf den gegenwärtigen Erfolg des Rechtsextremismus.

Leni Riefenstahls Nachlass ist nicht nur immens, sondern über weite Strecken in ihrem Interesse kuratiert. Wie ist es Ihnen gelungen, dieser Selbstdarstellung nicht auf den Leim zu gehen?

Wir haben das Material mit großem Misstrauen gesichtet und stets im Auge behalten, an welchen Stellen möglicherweise Manipulationen vorliegen oder wo etwas fehlt. Gerade da, wo es Leerstellen gab, habe ich versucht, andere Archive hinzuzuziehen. 

Das gilt etwa für ein Interview mit dem britischen „Daily Express“ von 1934. Darin outet sich Riefenstahl als überzeugte Nationalsozialistin. Dazu gab es im Nachlass einen Hinweis, das Interview selbst war aber nicht zu finden. Stattdessen fand sich eine leere Seite. Hat Leni Riefenstahl den Zeitungsartikel mutwillig entfernt? Manches spricht dafür. 

Später habe ich das Interview aus einem Archiv kommen lassen. Darin ist zu lesen, dass Riefenstahl bereits im Jahr 1931 Hitlers Buch „Mein Kampf“ gekauft und verschlungen habe. Zitat: „Nach der ersten Seite war ich schon ein begeisterter Nationalsozialist.“ Das widerspricht fundamental ihrer Legende, dass sie mit Politik nie etwas zu tun gehabt habe und dem Nationalsozialismus gegenüber eher kritisch eingestellt gewesen sei. 

Mir ging es um eine Dekonstruktion oder Demontage dieser Legenden. Um Fragen wie: Wann wird die Lüge zu einer eigenen Wahrheit? Und wie schafft es ein Mensch, dass seine Lügen kollektiv geglaubt werden? 

Wie hat es Riefenstahl geschafft, dass die Menschen ihr so lange geglaubt haben?

Wenn in der Vergangenheit kritische Bemerkungen kamen, hat sie das Gegenteil behauptet und ab diesem Punkt wurde nichts mehr hinterfragt. Ein im Film gezeigter Talkshow-Ausschnitt zeigt, wie das ging. Mit Tränen in den Augen verkauft sie ihre Erzählung einer unpolitischen Künstlerin, die sie auch in ihren Memoiren verewigte, als die einzig wahre. Dabei zeigt sich das Repertoire einer Schauspielerin. Sie besaß die Fähigkeit, eine Legende zu kreieren und sie bis in die Details aufrechtzuerhalten.

Was kann Ihr Film dazu beitragen, das in der Öffentlichkeit so langlebige Trugbild Riefenstahls zurechtzurücken?

In all meinen Arbeiten sehe ich mich als Aufklärer. Dennoch hat ein Film, besonders im Arthouse-Bereich, immer nur begrenzte Mittel. Ich hoffe, auch die Menschen zu erreichen, die Riefenstahl nicht ohnehin kritisch betrachten. Es geht darum, auch jüngere Menschen anzusprechen, die möglicherweise noch kein genaues Bild von ihr haben. Daher hat es mich sehr gefreut, dass unser Film von einer Jugendjury im Rahmen des Gilde-Filmpreises ausgezeichnet wurde. 

Der Filmemacher

Andres Veiel (geboren 1959) zählt zu den renommiertesten Dokumentarfilmer*innen Deutschlands. Seine biografisch angelegten Filme „Black Box BRD" und „Beuys" wurden vielfach ausgezeichnet.

Andres Veiel Riefenstahl

Welche Funde im Nachlass haben Sie überrascht oder schockiert?

Überraschend waren die Unterschiede in der Darstellung. In den allerersten Entwürfen für ihre 1987 veröffentlichten Memoiren beschreibt sie eine Kindheit, die stark von väterlicher Gewalt geprägt war. Als Fünfjährige wurde sie ins Wasser geworfen und sollte losschwimmen. Die Detailliertheit der Beschreibung hat eine gewisse Glaubwürdigkeit. Aus den Memoiren verschwand sie fast komplett. Sie hat das Bild von sich gesäubert. Schwäche ist etwas, was sie in sich selbst nie zulassen konnte. Schwäche hätte bedeutet, dem Vater ausgeliefert zu sein. 

Für mich ist Riefenstahl der Prototyp einer Faschistin, die das Schöne, Starke, und Siegreiche feiert und das vermeintlich Schwache und Kränkliche verachtet. Genau das hat sie ihr Leben lang getan.

Was war schockierend?

Dass sie auch nach dem Ende der Nazi-Herrschaft nichts verstanden und begriffen hat. Und dass sie dem Faschismus und Antisemitismus weiterhin anhing. Das wird in den Mitschnitten von Telefonaten deutlich. Wenn sie beispielsweise erklärt: „Wir waren alle Idealisten. Aber das darf man heute nicht mehr laut sagen.“ Das ist eine Verbrüderung mit einer ganzen Tätergeneration. 

Oder wenn sie sagt, Deutschland werde wieder zu Ordnung, Sitte und Anstand zurückkehren. Das deutsche Volk habe die Anlage dafür.

In Riefenstahls Kisten fand sich auch Belastendes. Offenbar hat sie diese Dinge übersehen oder ignoriert. Ist Riefenstahl ihrer eigenen Täuschungsmaschinerie aufgesessen?

Möglicherweise war auch ein Mangel an Intelligenz im Spiel. Vordergründig hat sie alles aufgehoben, wo ihre Sicht bestätigt wurde oder eine Form von Rehabilitierung stattgefunden hat. Dass sich Menschen in Telefonmitschnitten offensichtlich zur NS-Ideologie bekennen und sie denen beipflichtet, hat sie nicht wahrgenommen. Diese „Fehler“ haben mir geholfen.

Andres 
Veiel

Ich sehe den Geist von Leni Riefenstahl bei der AfD

Sie haben Riefenstahls Hinterlassenschaften mit einem großen Kreis von Mitarbeitenden gesichtet und für den Film arrangiert. Worin spiegelt sich Ihre persönliche Handschrift wider?

Mir war von Anfang an klar, dass ich es mit einer Lügnerin vor dem Herrn zu tun habe und dass Riefenstahl mit einem großen Instinkt diese Legenden aufgebaut hat und darin auch erfolgreich war. Trotzdem war es mir wichtig, mich dem Material ergebnisoffen anzunähern. Es ging mir um kein Tribunal, sondern darum, zu klären: Wofür steht die Lüge und warum wird sie gebraucht? Für den besagten Talkshow-Auftritt wurde sie gefeiert. Das sagt etwas über das ganze Land aus.

Mehr und mehr wurde mir klar, was für ein unglaubliches Glück wir mit diesem Nachlass haben. Vieles hat sie aussortiert oder vernichtet. Doch es findet sich genügend darin, was sie belastet. So etwa ein Brief aus dem polnischen Konskie. Aus dem geht hervor, dass sie ein Massaker von Wehrmachtssoldaten an Juden nicht nur beobachtet, sondern möglicherweise mit ausgelöst hat.

Ihr Film soll eine tiefere Wahrheit freilegen, heißt es vom Verleih. Worin besteht sie? Und kann es bei einer Person wie Riefenstahl nur eine Wahrheit geben?

Die tiefere Wahrheit besteht in der Gegenwärtigkeit der Hauptfigur. Anhand von Riefenstahl beleuchtet er das Bedürfnis nach Ressentiment, nach Überlegenheit und Ausgrenzung. Dieser Faschismus manifestiert sich in Putins Militärparaden, deren Machart an Riefenstahls Film „Triumph des Willens“ erinnert. Oder in den Aussagen von Donald Trump, wenn er behauptet, Immigranten würden das amerikanische Blut verschmutzen. Dieser Film ist eine Warnung.

Wo sehen Sie in Deutschland Kontinuitäten zu ihrer ideologischen oder ästhetischen Verortung?

Beides lässt sich nicht voneinander trennen. Ich sehe Riefenstahls Geist bei der AfD. Es ist diese Selbstverständlichkeit, mit der Ressentiments gegenüber zugewanderten Menschen geäußert werden. Aber auch das Feiern einer vermeintlichen eigenen Überlegenheit.

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Was sagen Sie denen, die Riefenstahl bis heute für eine „großartige“ und „unpolitische“ Künstlerin halten?

Wie gesagt: Ideologie und Ästhetik lassen sich nicht voneinander trennen. In ihrer Lebensgeschichte spiegelt sich die NS-Ideologie. Mit den auf Überwältigung abzielenden Bildern im Film „Olympia“ feiert sie das Schöne. Doch diese Kunst hat eine dunkle Seite, nämlich die Verachtung des Schwachen und vermeintlich Kranken. 

Das zeige ich anhand von Willy Zielke, einem der vielen Kameramänner von „Olympia“. Kurz nach dem Ende der Dreharbeiten wurde er in die Psychiatrie zwangseingewiesen und wegen einer angeblichen Schizophrenie sterilisiert. Um Riefenstahls Rolle bei dem Vorgang ranken sich Gerüchte. Fakt ist: Von einem Tag auf den anderen hat sie ihn im Stich gelassen.

Ihr Film feierte seine Weltpremiere bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig. Dort wurde „Olympia“ im Jahr 1938 als bester ausländischer Film ausgezeichnet. War diese Parallele ein Zufall oder stand dahinter eine bestimmte Absicht? 

Für die Weltpremiere hätte es keinen besseren Ort geben können. Mit italienischen Journalisten und dem Publikum konnten wir darüber diskutieren, was der Film einem Land zu sagen hat, in dem der Faschismus immer wieder relativiert oder die faschistischen Wurzeln von Giorgia Melonis Partei „Fratelli d’Italia“ geleugnet werden. Viele haben „Riefenstahl“ als Film der Stunde bezeichnet. 

„Riefenstahl“ (Deutschland 2024), Drehbuch und Regie: Andres Veiel, Produzentin: Sandra Maischberger, Sprecher: Ulrich Noethen, 115 Minuten, FSK ohne Altersbeschränkung

Kinostart: 31. Oktober 2024

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1 Kommentar

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Fr., 01.11.2024 - 19:14

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unvollständig daher, wenn man ihre Tätigkeit in der Nachkriegszeit so ganz unerwähnt lässt. Sie hat ganz wunderbare Dokumentationen über die Nuba in Schwarzafrika erstellt, um nur ein Beispiel zu geben- thematisch wären die Nazis , was das betrifft, gar nicht zufrieden mit ihr- Afrikaner! Man muss ihr wohl zugute halten, dass sie als Künstlerin zur falschen zeit am falschen Ort sich aufgehalten hat. Ich freue mich, insoweit nicht in Versuchung geführt worden zu sein, ohne eigenes Zutun, nur durch die Gnade der späten Geburt.