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Studie: Wie Jugendliche den Nationalsozialismus sehen

Junge Menschen interessieren sich mehr für die NS-Zeit als ältere Generationen. Das geht aus einer Studie für die „Arolsen Archives“ hervor. Durch einen anderen Zugang erkennen sie auch Parallelen zwischen Nazi-Propaganda damals und Fake News heute.
von Kai Doering · 25. Januar 2022
Pokemon go und Stolpersteine: Jugendliche brauchen einen zeitgemäßen Zugang zur Zeit des Nationalsozialismus.
Pokemon go und Stolpersteine: Jugendliche brauchen einen zeitgemäßen Zugang zur Zeit des Nationalsozialismus.

Vor fast 77 Jahren endete die Herrschaft der Nazis. Wer heute 20 Jahre alt ist, dessen Großeltern haben diese Zeit möglicherweise gar nicht mehr erlebt. Trotzdem ist das Interesse der 16- bis 25-Jährigen, der sogenannten Generation Z, an der NS-Zeit deutlich größer als bei ihren Eltern. Das geht aus einer Studie hervor, die das Kölner Rheingold-Institut im Auftrag der „Arolsen Archives“ erstellt hat. Die „Arolsen Archives“ sind das weltweit größte Archiv über Opfer und Überlebende des Nationalsozialismus.

Drei Viertel interessieren sich für NS-Zeit

Demnach interessieren sich drei Viertel der 16- bis 25-Jährigen in Deutschland für die Zeit des Nationalsozialismus. In der Elterngeneration sind es nur zwei Drittel. Sie haben dabei auch einen anderen Zugang zu der Zeit als vorhergehende Generationen: Statt persönliche Schuld zu empfinden bauten sich die jungen Menschen eine Brücke zum eigenen Alltag und versuchten ihre eigene Lebenswelt in der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit besser zu verstehen. Auch eigene Ausgrenzungserfahrungen wie Rassismus spielten dabei eine Rolle.

Hinzu komme bei der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit eine „Grenzerfahrung“ und die Befriedigung des Reizes, „sich in tabuisierte Gefilde vorzutasten“, schreiben die Verfasser*innen der Studie. Dabei wollten sich die jungen Menschen auch „in die Opferrolle hineinversetzen und die Ungerechtigkeit nachempfinden, aber auch das Böse, die Täterperspektive erkunden“. Gut die Hälfte der Befragten haben dies angegeben. „Die jungen Menschen wollen selbst die Moral der Geschichte erkennen“, sagt Stephan Grünewald, Gründer des Rheingold-Instituts. Dabei helfe auch eine gewisse Unbefangenheit durch die zeitliche Distanz. Das Gefühl, nicht schuld zu sein, erleichtere den Zugang.

Eine andere Art der Geschichtsvermittlung

„Ich nehme in den Ergebnissen der Studie bei den Jugendlichen eine große Offenheit, Neugier und Freiheit im Denken wahr“, sagt auch die Direktorin der „Arolsen Archives“, Floriane Azoulay. Sie unterstreicht auch den Bezug der Geschichtsaufarbeitung zur Gegenwart. „Heute erlebt diese Generation, dass Demokratien in Gefahr geraten können. Ich finde es sehr gut nachvollziehbar, dass Erinnerung für sie mit dem Blick in ihre eigene Lebenswelt verbunden ist, in der populistische, autoritäre und intolerante Stimmen immer lauter zu hören sind“, so Azoulay.

Diese andere Art des Zugangs könne auch helfen, mit aktuellen Herausforderungen fertig zu werden, sind die Autor*innen der Studie überzeugt. So erkenne die „Generation Z“ einen deutlichen Zusammenhang zwischen aktuellen Fake News und der damaligen Nazi-Propaganda. Medien und Informationen würden teilweise sehr kritisch hinterfragt. Befragte mit Migrationshintergrund zögen Parallelen zwischen eigenen alltagsrassistischen Erfahrungen zur Zeit des Nationalsozialismus.

Für die Vermittlung der Zeit des Nationalsozialismus sollten hieraus notwendige Schlüsse gezogen werden, meinen die Forscher*innen. Bezüge zur eigenen Lebenswelt, aber auch regionale und globale Bezüge anhand konkreter Beispiele erleichterten den Zugang. Zum Einsatz kommen sollten dabei leicht verständliche Informationen in Podcasts oder Videos. Und: Das Ganze sollte in einem offenen Austausch und „ohne moralischen Zwang“ erfolgen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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