Kultur

Kinofilm „Führer und Verführer“: Hinter den Kulissen der NS-Propaganda

Propaganda war ein zentrales Fundament des Nazi-Staates. Der Kinofilm „Führer und Verführer“ schaut dem Obermanipulator Joseph Goebbels über die Schulter. Und hinterlässt viele Fragen. 

von Nils Michaelis · 12. Juli 2024
Robert Stadlober und Fritz Karl in „Führer und Verführer"

So entsteht Propaganda: Joseph Goebbels (Robert Stadlober) und Adolf Hitler (Fritz Karl) nehmen gemeinsam einen Film ab.

Am 18. Februar 1943 hat Joseph Goebbels den wichtigsten Auftritt seiner Karriere. Nach der Niederlage in Stalingrad ist die Stimmung in Deutschland am Boden. Der „Führer“ Adolf Hitler taucht ab und meidet bis zu seinem Ende die Öffentlichkeit. Nun ist es an dem Propagandaminister selbst, die Bevölkerung auf das Regime und seinen Krieg einzuschwören. Genau das tut Goebbels mit seiner Rede an jenem 18. Februar im Berliner Sportpalast. Sie gipfelt in der bekannten Frage: „Wollt ihr den totalen Krieg?“

Jene Rede gilt bis heute als besonders perfides Meisterstück politischer Demagogie. Manch eine oder einer dürfte sich gefragt haben, wie sich der Top-Nazi auf diese 108 Minuten währende Performance vorbereitet hat. Und wie viel Kalkül und Autosuggestion dabei im Spiel war. Das Kinodrama „Führer und Verführer“ bietet Antworten.

Was das Reichspropagandaministerium zwischen 1933 und 1945 an Aufmärschen, Filmen und Parolen fabriziert hat, prägt bis heute das Bild des NS-Staates. Der Film des deutschen Regisseurs Joachim A. Lang blickt hinter die Kulissen beziehungsweise in den Maschinenraum des mit gigantischen Mitteln ausgestatteten Propagandaapparates. 

Die Demagog*innen von heute

Im Kern geht es um Folgendes: Was unternahm das Goebbels-Ministerium, um Hitlers Ziele den Menschen schmackhaft zu machen? Und wie erfolgreich war das Ganze? Dieser Ansatz ist mehr als ehrenwert, zumal Langs neueste Arbeit auch vor den rechtsextremen Demagog*innen von heute warnen soll. Wie er dabei vorgeht, wirft allerdings Fragen auf.

„Führer und Verführer“ spannt den Bogen von 1938 bis 1945. Er beginnt in dem Jahr, als Goebbels vor der Aufgabe steht, die Propaganda von einer hohlen Friedensrhetorik auf Kriegsbegeisterung umzustellen und der Terror gegen Menschen jüdischen Glaubens verschärft wird. Und er endet, als der Reichsminister den Untergang des Nazi-Staates wie auch seiner eigenen Familie als letzten großen Akt der Propaganda inszeniert.

Es sind Jahre, in denen es für Goebbels nicht nur aufwärts geht. Wegen seiner Liebschaften und des Ehekriegs mit der glühenden Hitler-Anhängerin Magda fällt er beim „Führer“ in Ungnade. Auch im Führungszirkel von Staat und Partei ist er nicht unumstritten. Die Energie und der Wahnwitz, mit der Goebbels sein Amt ausfüllt, sind immer auch ein Vehikel für persönlichen Erfolg, ein ständiges Buhlen um Anerkennung.

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Viele dieser Vorgänge sind gut dokumentiert, etwa in Goebbels‘ Tagebüchern oder in Protokollen von Tischgesprächen. Auf vieles davon greift dieser Film zurück. Sie und anderweitig „verbriefte Dialoge“, wie es vom Verleih heißt, dienen als Grundlage für fiktionale Situationen.

Mitunter landet die Erzählung aber auch im Bereich der puren Fiktion. Etwa dann, wenn sie behauptet, mehr zu wissen als die Geschichtswissenschaft, auf die sich Lang doch so beständig beruft. Besonders problematisch ist der Moment, wo Hitler seinem Minister den Befehl übermittelt, „alle Juden zu vernichten“. Die Frage, ob es diesen Befehl je gegeben hat, beschäftigt Historiker*innen seit Jahrzehnten. 

Schwierig ist auch Langs Anspruch, mit seinem „antifaschistischen Manifest“ mehr zu leisten als sämtliche Dokumentarfilmer*innen vor ihm. Diese hätten ohnehin nur die Perspektive des NS-Regimes reproduziert, indem sie sich auf dessen Bilderwelt gestützt hätten, so sein Vorwurf. 

Der Propaganda auf den Leim gegangen?

Dann muss man sich allerdings fragen, warum der Film wiederholt nachgestellte Propagandabilder mit Originalaufnahmen überblendet: Ist es nicht gerade Lang, der damit der NS-Propaganda auf den Leim geht? Schwierig ist zudem, dass die Grenze zwischen „reiner“ und „überlieferter“ Fiktion nicht immer klar zu erkennen ist. 

An einigen Stellen schlägt der Film dann aber doch die Brücke zum Dokumentarischen: Zeitzeug*innen wie Margot Friedländer und Charlotte Knobloch berichten über die Folgen der sich bis zum industriellen Massenmord radikalisierenden – und von Goebbels propagandistisch vorangetriebenen – NS-Politik gegenüber den Jüd*innen. Das ist legitim, jedoch wirken sie wie Staffage. Auch deswegen fragt man sich, wie ernsthaft es um Langs Aufklärungswillen bestellt ist. 

Der Film hat aber auch seine Reize. Etwa wenn es darum geht, wie sich die Hauptdarsteller*innen ihren Figuren nähern. Robert Stadlober stand vor der Herausforderung, eine ohnehin häufig grotesk wirkende Figur nicht zur Parodie werden zu lassen. Stattdessen interpretiert er die Eigenarten, Antriebe und Gegensätze von Joseph Goebbels in einer ganz eigenen und stimmigen Tonalität.

Ein charmanter Hitler

Das lässt sich in ähnlicher Weise auch von Fritz Karl sagen: Vermittelte Bruno Ganz in „Der Untergang“ Hitler in all seinen Extremen, begegnet uns der Massenmörder diesmal von seiner alltäglichen, also auch durchaus einnehmenden Seite. Die Hinterzimmer-Atmosphäre von Vieraugen-Gesprächen über den nächsten Coup gegenüber der Öffentlichkeit oder gemeinsamen Sichtungen von Propagandafilmen bieten einen dankbaren Rahmen für subtil inszeniertes Unterhaltungskino, was auch für andere Personenkonstellationen gilt. 

Mit dieser „guten Unterhaltung“ und einem gediegenen Schauspieler*innen-Kino wird Lang seinen hohen Ansprüchen allerdings nicht gerecht.

„Führer und Verführer“ (Deutschland/Slowakei 2023), ein Film von Joachim A. Lang, mit Robert Stadlober, Fritz Karl, Franziska Weisz u.a., 135 Minuten, FSK ab zwölf Jahre

www.wildbunch-germany.de

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