Kultur

Film „Projekt Ballhausplatz“: Wie Sebastian Kurz Österreichs Demokratie beschädigte

Die Person war das Programm: Der Dokumentarfilm „Projekt Ballhausplatz“ beleuchtet den von langer Hand geplanten Aufstieg von Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Es ist eine Warnung.

von Nils Michaelis · 19. Juli 2024
Sebastian Kurz im österreichischen Parlament

Immer wieder berauscht von sich selbst: Österreichs früherer Bundeskanzler Sebastian Kurz während einer Parlamentssitzung.

Woran wird man sich erinnern, wenn in 100 Jahren der Name Sebastian Kurz fällt? „Natürlich an den 24-Stunden-Betrieb der Wiener U-Bahn“, sagt der SPÖ-Politiker Petr Baxant scherzhaft. Jene Neuerung habe Kurz im Jahr 2010 als Abgeordneter der ÖVP im Gemeinderat von Österreichs Hauptstadt vorangetrieben. 

Tatsächlich ist Baxant gar nicht nach Lachen zumute, wenn er an den zweifachen Bundeskanzler denkt. „Sebastian Kurz hat eine spalterische Kommunikation und rechtskonservative Sprache in die Mitte der Gesellschaft getragen und damit eine politische Todsünde begangen“, so Baxant.

In jenem Jahr 2010 hatte Kurz längst anderes im Sinn. Damals nahm eine der bizarrsten politischen Karrieren der österreichischen Nachkriegsgeschichte Fahrt auf. 2011 wird Kurz im Alter von 25 Jahren Integrationsstaatssekretär, zwei Jahre später ist er Außenminister. 2017 wird sein Traum wahr: Der ÖVP-Politiker startet in seine erste Amtszeit als Bundeskanzler. 

Prozess gegen Kurz

2021 ist alles vorbei: Wegen seiner Falschaussage im Untersuchungsausschuss zur „Ibiza-Affäre“ und wegen Ermittlungen in Sachen Untreue und Bestechung war er unter Druck geraten. Wegen der Falschaussage wurde der 37-Jährige im Februar dieses Jahres zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Vom Aufstieg und Fall des Mannes, der lange Zeit als Blaupause für einen jungen und smarten Konservativen gehalten wurde – „So einen brauchen wir auch“, jubelte noch im Jahr 2020 die Zeitung „Bild“ – erzählt der Dokumentarfilm „Projekt Ballhausplatz“. Und von der erstaunlichen Wandlung vom für progressive Ansätze werbenden Integrationspolitiker zu einem Scharfmacher, der mit populistischen Methoden Stimmung gegen Migrant*innen macht. Und nicht zuletzt von seiner Masche, die moderat konservative ÖVP für Positionen der rechtspopulistischen FPÖ zu öffnen und dadurch bei Wahlen zuzulegen.

Der österreichische Filmemacher Kurt Langbein will seinen Film als Warnung verstanden wissen. Wer kann schon ausschließen, dass Kurz eines Tages wieder auf der Matte steht? Fast automatisch kommen einem rechtspopulistische Realitätsverdreher*innen und Selbstvermarkter*innen auch in anderen Ländern in den Sinn. 

Moderner Anstrich

Es geht nicht nur um die Person, sondern auch das System Kurz: Mit modernem Anstrich für Rechtsaußen-Positionen und öffentlichkeitswirksamen Kampagnen haben er und sein Team es seinerzeit darauf angelegt, aus der behäbigen ÖVP eine dynamische Bewegung zu machen und als solche nach der Macht zu greifen und den Staat umzukrempeln. Bei all dem ging es immer auch darum, Kurz in höchste Ämter zu bugsieren. Anders gesagt: Das Programm seiner Partei war Kurz selbst.

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Langbein blickt hinter die Glitzerfassade. Sein Film porträtiert ein Milieu voller Verachtung für staatliche Institutionen und eine unabhängige Berichterstattung der Medien. Alles unterliegt dem Primat des Kurz-Marketings. Vieles davon war im Laufe der letzten Jahre ans Licht gekommen. Doch die Art und Weise, wie Langbein das Material verdichtet, macht daraus eine erdrückende Anklage. 

Zu Wort kommen Wegbegleiter*innen und Kritiker*innen, die Kurz seit Langem im Blick haben. „Keine andere Machtübernahme ist so gut dokumentiert wie die von Sebastian Kurz“, sagt die Journalistin Barbara Tóth. Sie bezieht sich auf Chats, Mails und Kurznachrichten. In diesem Pool kursierte ein Schlachtplan namens „Projekt Ballhausplatz“, damit war Kurzs Einzug ins Bundeskanzleramt gemeint. Mehrere Überschriften darin dienten Langbeins Film als Unterteilung. 

Ein anderes Österreich

Tóth zählt zu den Autor*innen des 2017 erschienen Buchs „Österreichs neues Wunderkind?“. Ihre Einschätzungen sind ebenso pointiert wie informativ. Ihr Fazit zu Kurz: „Österreich war ein Land, das Geflüchteten Schutz bot und die Menschenrechte achtete. Dass sich dieses Selbstverständnis geändert hat, hat Kurz zu verantworten.“

Immer wieder kehrt der Film zu Kurz und seiner Clique zurück. Aus diesem Kreis war niemand zu Interviews bereit. Zum Einsatz kommen Archivaufnahmen, aber auch Material aus dem Innersten des Kurz-Zirkels selbst. Immerhin äußert sich Johann Gudenus, also jener frühere FPÖ-Funktionär, der mit Ex-Parteichef Heinz Strache im „Ibiza-Video“ unter anderem über eine Umgehung der Parteienfinanzierung fabuliert hat. 

„Projekt Ballhausplatz“ verdichtet eine immense Menge an Irrsinn und Verlogenheit, kontrastiert durch scharfsinnige Analysen, zu einer spannenden Erzählung. Man hofft, Kurz möge ob all dieser Belege für immer politisch verbrannt sein. Doch diese Hoffnung ist trügerisch. Der Film macht klar, dass es darauf ankommt, das Gift, das der einstige ÖVP-Spitzenmann und sein Team verbreitet haben, zu bekämpfen.

„Projekt Ballhausplatz – Aufstieg und Fall des Sebastian Kurz“ (Österreich 2023), ein Film von Kurt Langbein, mit Sebastian Kurz, Barbara Tóth, Johann Gudenus, Petr Baxant, u.a.,100 Minuten.

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1 Kommentar

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Fr., 19.07.2024 - 17:03

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„Sebastian Kurz hat eine spalterische Kommunikation und rechtskonservative Sprache in die Mitte der Gesellschaft getragen und damit eine politische Todsünde begangen“

Hat er etwa zum "Kampf gegen Links" aufgerufen und so quasi einem ganzen politischen Spektrum den Kampf angesagt?