Filmtipp „Vom Ende eines Zeitalters": Wie sich das Ruhrgebiet verändert hat
Schicht im Schacht: Über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren erzählt der Dokumentarfilm „Vom Ende eines Zeitalters" von den Veränderungen im Ruhrgebiet. Die Regisseur*innen Gabriele Voss und Christoph Hübner berichten, wie sie das Langzeitprojekt erlebt haben und wie sie die Zukunft der Region sehen.
Film Kino Text
Kundgebung von Bergleuten in Bottrop: Im Dezember 2018 wurde dort Deutschlands letztes Steinkohlebergwerk geschlossen.
Ihr Film „Vom Ende eines Zeitalters“ ist sehr nüchtern gehalten. Gab es während der Dreharbeiten auch melancholische Momente?
Christoph Hübner: Sicher gab es die. Es ist nicht zu übersehen, dass sich hier Lebenszusammenhänge auflösen, die eine eigene Qualität hatten, zum Beispiel Nachbarschaften und ein öffentliches Leben am Ort.
Die Melancholie war aber nicht das beherrschende Gefühl, denn die Arbeit unter Tage war körperliche Schwerarbeit, oft lebensbedrohlich. Hinzu kommt, dass es für uns eine glückliche Fügung ist, dass wir diese Alltagschronik über vier Jahrzehnte filmisch erzählen konnten, in Bildern und Tönen und mit den Stimmen von Menschen, die dieses Leben gelebt haben.
Der Dokumentarfilm, der Ihren Zyklus „Prosper/Ebel – Chronik einer Zeche und ihrer Siedlung“ abschließt, handelt davon, dass mit den Zechen auch soziale und kulturelle Zusammenhänge verschwinden. Was wird vom „Ruhrpott" der Malocherinnen und Malocher jenseits des Gedächtnisraumes bleiben?
Christoph Hübner: Wir sehen viele positive Ansätze. Was sich daraus entwickelt, wird sich erst langfristig zeigen. Unser Dokumentarfilm beschreibt eher die Gegenwart, weniger die Zukunft. Uns geht es darum, sichtbar und hörbar zu machen, was jetzt ist, Momente des Lebens an diesem Ort zu einer bestimmten Zeit festzuhalten und zu bewahren. Dabei entsteht kein einheitliches Bild.
Unser Film enthält viele Schichten, es gibt Brüche, größere oder kleinere Szenen, Fragmente von Erzählungen, die zur Zukunft hin offen sind. Die Offenheit ist uns wichtig. Jeder und jede sollte mit eigener Phantasie hineingehen können.
Gabriele Voss: Ausgangspunkt unserer Chronik war der Wunsch, Leben, Arbeit und Alltag der Bergleute auf den Prosper-Schächten und in der Bergarbeitersiedlung Ebel zu beschreiben. Von 1979 bis 1982 waren wir das erste Mal vor Ort. Fünf Filme entstanden. Ein Gedanke, der uns dabei auch leitete, war das Stichwort „filmische Geschichtsschreibung von der Gegenwart aus". Mit diesem Gedanken gingen wir von 1995 bis 1998 wieder nach Bottrop. Ein weiterer Film entstand.
Dass ausgerechnet Prosper die letzte Steinkohlezeche in Deutschland sein würde, die geschlossen wird, ahnten wir jedoch nicht. Als dies klar wurde, und da Kontakte zu den Menschen in Ebel über die Jahre bestehen blieben, lag es nahe, die Chronik mit einem letzten Film abzuschließen. In diesem letzten Film stellen wir auch die Frage: Wie müssen unsere Bilder aussehen, damit sie auch in Zukunft etwas von dieser Gegenwart erzählen? Das ist der Versuch. Ob er gelungen ist, wird das Publikum entscheiden.
Sie haben die Entwicklung in Bottrop und im Ruhrgebiet mehr als 40 Jahre lang in mehreren Filmen begleitet. Wie hat sich während dieser Zeit Ihr Blick auf und Ihr Bild von der Region verändert?
Gabriele Voss: Wir haben über die Jahre gesehen, wie Zeichen der Schwerindustrie nach und nach verschwanden, Fördertürme, Hochöfen, Gichtgasleitungen und Schlote, von denen die Region unübersehbar geprägt war. Aber nicht alles wurde abgerissen. In ehemaligen Betriebsgebäuden der Stahlwerke und Zechen finden heute Tagungen und große Kulturveranstaltungen statt. Nicht mehr benötigte Trassen der Werksbahnen wurden zu Fahrradwegen umgebaut.
„Das Bild der Region wird vielstimmiger"
In unserem Film sieht man, wie die Schachtanlage Prosper II zurückgebaut wird, eine riesige Anlage, deren Türme und Bandbrücken früher weithin sichtbar waren. Nur der Malakoff-Turm und ein stählernes Fördergerüst bleiben übrig. Sie stehen unter Denkmalschutz. Die freiwerdenden Flächen sollen im Rahmen des Projektes „Freiheit Emscher“ weiterentwickelt werden. Wie das am Ende genau aussehen wird, muss man abwarten. Verglichen mit Musik, wird das Bild der Region vielstimmiger.
Welche persönlichen Verbindungen zu Orten und Menschen haben sich während dieser Zeit entwickelt?
Gabriele Voss: Die ersten Filme des Zyklus entstanden Anfang der 80er-Jahre über einen Zeitraum von drei Jahren. Wir zogen mit unseren Geräten und Schneidetisch nach Ebel, um die Menschen am Ort an der Filmarbeit zu beteiligen. Das war partizipativ angelegte Filmarbeit, ein sicher einzigartiger Aspekt des ganzen Projektes.
Christoph Hübner: Wir zeigten Rohschnitte am Ort und luden einzelne Protagonist*innen an den Schneidetisch ein. Daraus ergaben sich viele Diskussionen, die nicht immer einfach waren, weil Selbstbilder und Fremdbilder aufeinander trafen. Wir hielten auch Kontakt zu den Menschen in Ebel über die Dreharbeiten hinaus. So entstanden Vertrautheit und Vertrauen in unsere Arbeit. Darauf konnten wir bei den späteren Filmen aufbauen.
In all den Jahrzehnten standen der Bottroper Stadtteil Ebel sowie verschiedene Schachtanlagen des Verbundbergwerkes Prosper-Haniel im Mittelpunkt Ihrer Arbeit. 2018 wurde mit Prosper-Haniel das letzte deutsche Steinkohlebergwerk geschlossen. Inwiefern sind diese Schauplätze symptomatisch für die Transformation des Ruhrgebiets?
Christoph Hübner: Das Große im Kleinen beschreiben – das war unser Ansatz. Die Prosper-Zechen und die Bergarbeitersiedlung Ebel stehen als Bild für das ganze Revier. Das Ruhrgebiet hat keine Struktur wie andere Großstädte: eine Innenstadt, in der sich alles konzentriert, und drum herum die Vororte.
Das Ruhrgebiet ist ein Ballungsraum von 53 Städten mit vielen Zentren, erstaunlich viel Platz und Grün dazwischen. Der enge Zusammenhang von Arbeiten und Wohnen ist ein Nukleus des Ruhrgebiets und seiner Siedlungsstruktur.
Warum haben Sie sich immer wieder Bottrop gewidmet? Was macht die Stadt so besonders?
Gabriele Voss: Wir haben zu Beginn des Projekts bei mehreren Zechen recherchiert und uns dann für Prosper und Ebel entschieden. Der Zusammenhang zwischen Zeche und Siedlung, die um 1900 in unmittelbarer Nachbarschaft zur Zeche Prosper I gebaut wurde, um Bergleute aus der Fremde anzusiedeln, war hier noch besonders gut sichtbar. Mit dieser Entscheidung war dann auch gesetzt, dass wir die Fortsetzung der Chronik wieder in Bottrop drehen.
„Die Frage nach den Arbeitsplätzen der Zukunft bleibt"
Ob Skipiste oder Grusellabyrinth: Ihr Film zeigt, was mittlerweile aus den alten Bottroper Zechengebäuden geworden ist. Was ging in Ihnen vor, als sie diese Bilder gedreht haben?
Gabriele Voss: Diese Bilder werfen für mich die Frage auf, was den massiven Verlust von Arbeitsplätzen eigentlich ausgleichen kann? Am Ende des Films kommt ein junger Mann zu Wort, dessen Familie seit Generationen im Bergbau gearbeitet hat. Dass jetzt viele schöne Dinge auf den Halden stehen, stellt er fest, man versuche, etwas zu machen aus der Gegend. Entscheidend sei aber, dass man den Wandel auch im Kopf mitmache. Das ist das eine. Der junge Mann sagt aber auch, wie viele Arbeitsplätze im Ruhrgebiet verloren gingen. Und die Frage nach den Arbeitsplätzen der Zukunft bleibt.
Zu Beginn zeigen sie das Einfahren des Förderkorbs in den Schacht in Echtzeit. Eine sehr überraschende und eindringliche Szene. Wie groß war die Versuchung, das Publikum mit Zeugnissen einer vergangenen Industrie zu überwältigen?
Christoph Hübner: An Überwältigung liegt uns nichts. Die Beschreibung der Eingangsszene als eindringlich trifft es besser. Auf den gesamten Film gesehen, ist die Gangart der Erzählung eher episch. Es gibt lange Einstellungen und kurze Schwarzstellen zwischen den einzelnen Szenen, die das Fragmentarische betonen.
Wir nehmen uns Zeit und wir geben dem Publikum Zeit, genau hinzuschauen und hinzuhören, um am Ende mit dem Gefühl einer Erfahrung von dieser Arbeits- und Lebenswelt aus dem Film zu gehen. Das beginnt mit der Einfahrt in den Schacht, und eben nicht mit klugen Informationen über das, was das Ruhrgebiet einmal war und in Zukunft vielleicht sein wird.
„Das Ruhrgebiet muss sich als Einheit sehen und auch so handeln"
Politik und Wirtschaft skizzieren das künftige Ruhrgebiet als Modellregion für die Energiewende und als Dienstleistungszentrum. Welches Bild von diesem Landstrich in 50 Jahren oder mehr haben Sie im Kopf?
Christoph Hübner: Wir wünschen uns alle, dass die Transformation im Ruhrgebiet gelingt. Das Potenzial ist da. Es hängt auch davon ab, dass das Ruhrgebiet sich als Einheit sieht und so auch handelt. Das Verbund-Denken, der Pragmatismus, die Vielfalt, die Offenheit – das sind Stärken der Region. Wer weiß, vielleicht wird das Ruhrgebiet ein Wasserstoff-Energiezentrum, vielleicht gibt es mehr Start-ups, noch mehr Grün, und einen besser funktionierenden Nahverkehr.
Gibt es noch Geschichten aus dem Ruhrgebiet, die Sie erzählen möchten?
Gabriele Voss: Das Ruhrgebiet ist voll von interessanten Geschichten, Bildern und Tönen. Das ist einer der Gründe, warum wir dem Ruhrgebiet so lange die Treue gehalten haben. Was wir noch dazu zu erzählen haben, wird man sehen. Im Moment beschäftigt uns erstmal die Begegnung mit dem Publikum bei den Vorführungen unseres aktuellen Films.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
„Vom Ende eines Zeitalters" (Deutschland 2023), ein Film von Gabriele Voss und Christoph Hübner, 155 Minuten, ab 12 Jahre.
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