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Europawahl: Warum Frankreichs Sozialisten optimistisch in den Endspurt gehen

„Europa aufwecken“ heißt die Wahlkampagne von Shootingstar Raphaël Glucksmann und seiner Listenverbindung mit den französischen Sozialisten. Am Donnerstag fand die Abschlussveranstaltung mit 3.000 Anhänger*innen statt. Unter den Redner*innen war auch ein deutscher Sozialdemokrat.

von Kay Walter · 31. Mai 2024
Will Europa aufwecken: PS-Spitzenkandidat Raphaël Glucksmann beim Wahlkampfabschuss am 30. Mai in Paris

Will Europa aufwecken: PS-Spitzenkandidat Raphaël Glucksmann beim Wahlkampfabschuss am 30. Mai in Paris

Es ist 21:15 Uhr als Spitzenkandidat Raphaël Glucksmann unter Trommelwirbel und Fanfarenklängen durch den gesamten Saal, hunderte geschwenkte Europa- und PS-Fahnen – auch eine der SPD – und die Reihen seiner Anhänger*innen auf die Bühne geleitet wird. Das zieht sich. Jubel, Umarmungen, Küsschen links und rechts mit alten Bekannten, Aktivist*innen und Parteigenoss*innen. Mehr als zwei Stunden haben sie schon auf ihn und seine Rede gewartet. Und es dauert noch einen weiteren Moment. Zunächst begrüßt und umarmt Glucksmann die Personen auf der Bühne, die vor seinem Auftritt geredet und die Stimmung angeheizt haben, unter ihnen „Mattja Écké“ aus Dresden.

Prognosen sehen die französischen Sozialisten im Aufwind

Im Nordosten von Paris liegen die Arbeiterviertel, in denen traditionell und immer links gewählt wurde. Das ist bis heute so. Auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs von Paris ist hier in den 2010er Jahren ein gewaltiges Kulturzentrum mit Philharmonie, Technikmuseum, diversen Ausstellungs- und Konzerthallen entstanden. Und hier, in der Zénith-Halle, ist der angemessene Platz für die offizielle Abschlussveranstaltung der Europawahlkampagne von PS und der verbündeten Place Publique. 

Gut 3.000 Menschen sind gekommen, zur Einstimmung auf die Schlussphase des Wahlkampfs, auf die letzten zehn Tage vor der Europawahl, begeistert davon, dass alle Prognosen ein deutlich besseres Ergebnis voraussagen als vor fünf Jahren. Das Debakel von 2019 mit gerade mal 6 Prozent wird sich für die Parti Socialiste wohl nicht wiederholen. Im Gegenteil: 13, 14, ja 15 Prozent sind erreichbar, ja wahrscheinlich. Das beflügelt die Stimmung im Saal.

Deutlicher Appell von Matthias Ecke

Nach den Ansprachen der sozialistischen Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo und der Chefin der „Jeunes socialistes“ Emma Rafowicz wird Matthias Ecke als dritter Redner auf die Bühne gebeten, das „Opfer eines rechtsradikalen Anschlags, dessen bestürzende Bilder jedermann aus den Fernsehnachrichten oder den sozialen Medien“ kenne, so die Moderatorin.

Unter großem Applaus spricht Ecke von dem Anschlag auf sich, vor allem aber darüber, jetzt nicht aufzugeben, niemals, sondern den Kampf gegen die AfD, gegen Le Pen und Bardella und alle anderen Rechtsradikalen erst Recht fortzusetzen. Das sei das Europa, für das er sich stark mache und einsetze, so Ecke. Und das erklärt der Dresdener in ziemlich ordentlichem Französisch, was einigen der heftig applaudierenden Zuhörer*innen erst so richtig auffällt, als er zur Hälfte seine Rede dann doch ins Englische wechselt

Eckes Appell: „Wir machen keinerlei Kooperation mit den Rechten. Und wir erwarten das auch von unseren demokratischen Mitbewerbern. Wenn sie mit uns zusammenarbeiten wollen, dann können sie nicht denen, mit Meloni, Le Pen und der AfD zusammenarbeiten“, wird frenetisch beklatscht – und später fast wortgleich auch von  Raphaël Glucksmann aufgenommen und wiederholt.

Nach Ecke sprechen zunächst SPE-Spitzenkandidat Nicolas Schmit, der PS-Vorsitzende Olivier Faure, und die scharfzüngige Ökonomin und Europaabgeordnete Aurore Lalucq, bevor schließlich die Rede von Raphaël Glucksmann den Abschluss der Veranstaltung bildet.

Glucksmanns flammendes Plädoyer reißt die Menschen mit

Die Rede ist klug aufgebaut und auf den Punkt geschrieben. Die journalistische Ausbildung ihres Verfassers ist jederzeit spürbar. Aber ein begnadeter Redner oder gar Volkstribun ist Glucksmann nicht. Gleichwohl ist ihm die Begeisterung im Saal sicher, nicht allein, wenn er fordert „taxe les riches“, besteuert die Milliardäre. Sein flammendes Plädoyer für ein soziales, ein gerechtes, ein ökologisches und solidarisches, ein friedliches Europa der Menschen reißt den Saal mit, an jedem einzelnen Punkt. Das, so Glucksmann, „ist die wahre Begründung Europas, die humanistische Tradition aus und für die es konstruiert wurde“.

Gegen den „imperialistischen Kriegstreiber Putin“ müssten alle Mittel mobilisiert werden, erläutert er weiter. Seine Freundin Anna Politkovskaja habe ihm bereits vor 20 Jahren erklärt: „Was glaubst du denn, wen Putin wirklich hasst? Sein eigentlicher Gegner seid ihr, ist die Demokratie“, fährt Glucksmann fort, um zu der in Frankreich nicht sehr verbreiteten Schlussfolgerung zu gelangen, dass in der Ukraine die europäischen Werte verteidigt würden. 

Verpflichtung zu einem starken Ergebnis

Essentiell für Europa sei, dass es keine Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen geben dürfe, unter keinen Umständen. Dafür brauche es eine starke Linke in den europäischen Parlamenten von Straßburg und Brüssel, und dafür müssten bis zum 9. Juni noch einmal sämtliche Kräfte mobilisiert werden. Der Appell richtete sich an die französischen Genoss*innen, in deren Verantwortung es liegt das desaströse Ergebnis der vorangegangenen Wahl nicht nur zu verbessern, sondern tunlichst mehr als nur zu verdoppeln.

Aber auch Matthias Ecke und die deutsche Sozialdemokratie sind in einer großen Verpflichtung, für ein gutes Ergebnis zu sorgen, was bedeutet, nicht hinter dem prozentualen Ergebnis der französischen Genoss*innen zurückzubleiben, sondern tunlichst besser zu werden. Oder in Eckes eigenen Worten: „Wenn mein Listenplatz (10 Anm.d.Red.) nicht zieht, dann hat die SPD ein ganz anderes Problem, als nur den Abgeordneten Matthias Ecke.“

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3 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mo., 03.06.2024 - 14:00

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Nun war Raphael Glucksmann ein entschiedener Unterstützer des konservativen französischen Präsidenten Sarkosy. Seine Frau war Mitglied im ukrainischen Kabinet von Jazeniuk (da waren auch so Swoboda-Leute dabei), Verbindungen zu dem Georgier Sakaschwili bestehen auch ....... .
Ich verstehe nicht was dieser Mann im sozialdemokratischen Umfeld zu suchen hat.

Gespeichert von Susanne Brandt… (nicht überprüft) am Do., 06.06.2024 - 15:13

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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Der Sarkozy-Unterstützer war der andere Glucksmann, Vorname André....

Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Mi., 05.06.2024 - 13:47

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Es ist gut, dass Sozialdemokraten wie Armin Christ mit sehr viel Hintergrundwissen immer wieder kritische, vernünftige Fragen stellen. Mehr Kritikfähigkeit würde auch partiell dem vorwärts gut tun. Glucksmann nennt Putin einen imperialistischen Kriegstreiber. Das ist zulässig. Das kann sogar gut begründet sein. Aber sollte Glucksmann dann nicht auch sagen müssen : Die USA, die Nato, der britische Ex-Premier Boris Johnson, US-Präsident Jo Biden und jedenfalls einige seiner Vorgänger sind und waren seit 1990 bis zum 23.02.2022 und auch danach gleichfalls imperialistische Kriegstreiber ?! Oder gibt es nur noch törichtes Gut-und-böse-Denken?!