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Nach dem Angriff: Wie Matthias Ecke jetzt Wahlkampf macht

Der brutale Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke sorgte bundesweit für Entsetzen. Inzwischen ist er wieder im Wahlkampf und ruft dazu auf, sich nicht einschüchtern zu lassen.

von Kai Doering · 30. Mai 2024
Lässt sich nicht zum Schweigen bringen: der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke

Lässt sich nicht zum Schweigen bringen: der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke

Die Verwandlung ist in vollem Gange. Es wurden bereits Wände entfernt und Dachfenster eingesetzt. Die Fußbodenheizung funktioniert schon. Dafür fehlt das Parkett noch. Doch irgendwann wird aus dem Wartesaal des 1867 eröffneten Bahnhofsgebäudes in Leisnig ein Konzertsaal geworden sein. Da ist Kathryn Döhner ganz sicher. Im Jahr 2020 hat die Musikerin zusammen mit zwei Mitstreitern das verfallene Bahnhofsgebäude in der Kleinstadt 50 Kilometer südöstlich von Leipzig gekauft, um daraus ein Kulturzentrum zu machen: den Kulturbahnhof Leisnig.

Attackiert beim Plakatieren

An einem Mittwoch Ende Mai steht Döhner in dem Konzertsaal in spe. Während heftiger Regen aufs Dach prasselt, erzählt sie von dem „Spagat zwischen Kulturzentrum und Baustelle“. An den Wochenende finden in den Räumlichkeiten und im Garten des ehemaligen Bahnhofs Konzerte, Workshops und Tanzveranstaltungen statt. In der Woche werden Wände verputzt und Stromleitungen gelegt. 

Matthias Ecke hört aufmerksam zu. Der sächsische Europaabgeordnete ist an diesem Mittwoch gemeinsam mit der Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl Katarina Barley und dem sächsischen SPD-Vorsitzenden Henning Homann nach Leisnig gekommen. Am Morgen haben Homann und Ecke schon in Döbeln mit ein paar Mitstreitern einen Infostand auf dem Markplatz gehabt. Normales Tagesgeschäft für Politiker wenige Wochen vor der Europawahl.

Doch normal ist für Matthias Ecke seit dem 3. Mai in diesem Wahlkampf nichts mehr. Beim Anbringen von Wahlplakaten in seiner Heimatstadt Dresden wurde der 41-Jährige von vier jungen Erwachsenen attackiert. Ecke erlitt Knochenbrüche am Kopf, musste operiert werden. Bundesweites Entsetzen war die Folge. 

Spontane Soli-Demonstrationen folgen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verurteilte die Tat, zwei Tage später kam es zu spontanen Demonstrationen in Dresden und am Brandenburger Tor in Berlin. Die Innenminister der Länder berieten mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser über mögliche Gesetzesverschärfungen. Es gab eine Aktuelle Stunde im Bundestag. Die Termine in Döbeln und im Kulturbahnhof in Leisnig gehören zu den ersten, die Matthias Ecke im Wahlkampf wieder wahrnimmt.

Seine linke Gesichtshälfte ist noch leicht geschwollen, Schmerzen hat er aber keine mehr. „Ich lasse mich nicht zum Schweigen bringen“, zeigt sich der 41-Jährige kämpferisch. Sich zurückzuziehen, stand für ihn außer Frage. „Es geht im Wahlkampf besonders darum, miteinander ins Gespräch zu kommen.“ 

Er versuche auch weiter, unbefangen auf die Menschen zuzugehen. „Ich gucke vielleicht etwas häufiger mal über die Schulter und bin etwas weniger unbeschwert“, gibt Matthias Ecke zu. Auch beim Haustür-Wahlkampf zögert er mehr als früher. „Ich habe das immer gern gemacht und viele gute Erfahrungen gehabt, aber man weiß nie, wer da vor einem steht, wenn die Tür aufgeht.“

Der Diskurs ist verroht

Ansonsten ist Matthias Ecke aber wieder voll im Wahlkampf-Modus. „Wir dürfen uns nicht abschrecken lassen“, sagt er. „Die SPD wird diesen Wahlkampf unvermindert fortsetzen“, verspricht auch der Landesvorsitzende Henning Homann. Der Angriff auf Matthias Ecke sei bei Weitem nicht die einzige Attacke auf Politikerinnen und Politiker in diesem Europawahlkampf gewesen. „Allein am ersten Wochenende waren es vier Attacken in Chemnitz und Mittelsachsen, betroffen waren da vor allem die Grünen.“ Die SPD habe reagiert. „Wir stimmen uns eng mit dem Landeskrimimalamt, dem Staatsschutz und der Polizei vor Ort ab. Wir haben ein Sicherheitskonzept für unsere Plakatierteams und eine schnelle Reaktionsstruktur“, so Homann.

Matthias Ecke führt die zunehmenden Angriffe auf Politikerinnen und Politiker vor allem auf eine „Verrohung der Gesamtgesellschaft“ zurück. „Dieses Klima wird von der extremen Rechten bewusst herbeigeführt“, sagt er. Es seien Politiker der AfD oder der „Freien Sachsen“ die mit ihren Äußerungen dazu beitrügen, „dass der politische Gegner als Feind markiert wird“. Da sei es kein Wunder, dass sich andere dann animiert fühlten, „das in die eigene Hand zu nehmen“. 

Doch nicht nur die „enthemmte extreme Rechte“ sei ein Problem. „Auch der Diskurs zwischen den demokratischen Parteien hat sich verroht“, kritisiert Matthias Ecke. Dieser Kreislauf müsse durchbrochen werden. „Nur eine Verschärfung des Strafrechts hilft nicht“, ist der Europaabgeordnete überzeugt. Dennoch sei es wichtig, dass die Ermittlungsbehörden bei Übergriffen schnell die Täter ermittelten.

Matthias Ecke

Wer Wahlkämpfer angreift, greift damit auch das Prinzip der freien Wahl an.

Landtagswahl am 1. September 

„Wir müssen deutlich machen, dass Angriffe auf Wahlkämpfer keine Bagatelle sind“, fordert Ecke. „Wer Wahlkämpfer angreift, greift damit auch das Prinzip der freien Wahl an.“ Auch deshalb sei es wichtig, dass die demokratischen Parteien nicht den Themen und der Sprache der extremen Rechten nachlaufen.

Eine Inspiration, wie es anders gehen kann, nimmt der Europaabgeordnete von seinem Besuch im Kulturbahnhof mit. „Vielleicht können gerade wir Kulturschaffenden Lösungen anbieten für die Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft steht“, sagt Kathryn Döhner. Aus dem „Zeitalter der Polarisierung“ müsse ein „Zeitalter der Kulturschaffenden“ werden, findet sie. In Sachsen wird nach der Europa- und der Kommunalwahl am 9. Juni dann am 1. September auch ein neuer Landtag gewählt. „Ich hoffe“, sagt Matthias Ecke, „dass ich das am schlimmsten verletzte Opfer in diesem Wahljahr sein werde“.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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