Nach den Landtagswahlen: „Der Kampf gegen Rassismus ist wichtiger denn je.“
Die Antirassismus-Beauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, ruft dazu auf, in der aufgeheizten Migrationsdebatte zur Sachlichkeit zurückzukehren. Sie befürchtet unter anderem negative Folgen für die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland.
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Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan: Die Bekämpfung des islamistischen Extremismus ist eines der drängendsten Themen.
Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hat die als rechtsextrem eingestufte AfD jeweils mehr als 30 Prozent der Stimmen geholt. Wie wird das von Menschen mit Migrationsgeschichte aufgenommen?
Da gibt es viele Ängste und Unsicherheiten. Mich haben in den letzten Tagen viele Nachrichten von Menschen erreicht, die große Sorge haben über das Erstarken der Rechtsextremisten und die weiteren Auswirkungen der Wahlen in Sachsen und Thüringen. Das gilt für Menschen mit Einwanderungsgeschichte ebenso wie für alle, die sich für unsere Demokratie und eine vielfältige Gesellschaft einsetzen. Meine Botschaft ist deshalb, dass wir diese Menschen nicht allein lassen, sondern fest an ihrer Seite stehen. Der Kampf gegen Rassismus ist wichtiger denn je. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Grundwerte unserer Gesellschaft erodieren.
Opferberatungsstellen warnen bereits vor einer Zunahme rechter Gewalt, weil sich Menschen durch das Ergebnis für die AfD bestätigt fühlen können. Teilen Sie diese Sorge?
Diese Sorge halte ich durchaus für berechtigt. Die Zahlen steigen bereits seit einiger Zeit drastisch. Und nach der Wahl des ersten AfD-Landrats im Landkreis Sonneberg hat nach Angaben der Beratungsstellen rechte Gewalt deutlich zugenommen. Für umso wichtiger halte ich deshalb, die Arbeit der Beratungsstellen vor Ort zu stärken, damit Opfern von Übergriffen schnell geholfen wird. Die Bedeutung dieser Strukturen wird vermutlich leider noch zunehmen.
In den Landtagswahlkämpfen war Migration ein bestimmendes Thema. Und auch im aktuellen „Deutschlandtrend“ gibt die Hälfte der Befragten an, Migration sei das drängendste Problem in Deutschland. Woran liegt das?
Migration ist schon seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor zweieinhalb Jahren ein bestimmendes Thema – die Krisen der Welt haben direkte Auswirkungen auch auf unser Land. Es ist wichtig darüber zu diskutieren, aber leider werden in der öffentlichen Debatte viele Halb- und Unwahrheiten verbreitet, es werden Ängste geschürt und die Stimmung ist aufgeheizt. Dass das Thema jetzt in Sachsen und Thüringen mit wahlentscheidend war, ist besonders bemerkenswert, denn beide Bundesländer gehören zu denen mit dem geringsten Migranten-Anteil.
In der Debatte gibt es viele Vorschläge, wie irreguläre Migration nach Deutschland begrenzt werden kann. Im Herbst sollen zwei neue Migrationsabkommen mit Kenia und Usbekistan unterzeichnet werden. Welche Rolle können solche Abkommen spielen?
Migrationsabkommen sind ein ganz wichtiges Instrument, um Zuwanderung zu steuern und zu begrenzen. Allerdings braucht es Zeit, diese Abkommen zu verhandeln, sie werden ihre Wirkung nach und nach entfalten. Dabei geht es zum einen darum, Rückführungen zu vereinfachen, zum anderen auch darum, mehr legale Wege der Migration nach Deutschland zu schaffen.
Welchen Einfluss hat die zum Teil sehr hitzig geführte Debatte über Migration auf die Anwerbung von Fachkräften im Ausland?
Natürlich wird auch international wahrgenommen, wie hierzulande über Migration debattiert wird. Wenn Menschen mit Einwanderungsgeschichte unter Generalverdacht gestellt werden und Parteien Zuwanderung grundsätzlich ablehnen, kommt das natürlich auch bei denen an, die sich eigentlich vorstellen können, nach Deutschland zu kommen, um hier zu arbeiten. Das wirkt abschreckend. Ich appelliere auch deshalb sehr dafür, in der Debatte zur Sachlichkeit zurückzukehren. Wir müssen uns entscheiden, was für ein Land wir sein wollen – eines, das Menschen nach ihrer Herkunft beurteilt oder eines, das sich den Herausforderungen einer diversen Gesellschaft stellt, in der jede und jeder es schaffen kann. Diese Entscheidung ist grundlegend für unsere Zukunft.
Nach dem Anschlag in Solingen hat die Debatte eher an Schärfe gewonnen. Als Reaktion darauf hat die Bundesregierung ein „Sicherheitspaket“ auf den Weg gebracht. Wie bewerten Sie die geplanten Maßnahmen?
Es ist gut und wichtig, dass die Bundesregierung nur wenige Tage nach dem entsetzlichen Anschlag so umfassende Maßnahmen vorgelegt hat. Das Sicherheitspaket soll den Schutz vor Terror, Gewalt und Kriminalität stärken. Und ich begrüße den Vorschlag der Bundesinnenministerin Nancy Faeser sehr, eine Task Force Islamismus-Prävention einzurichten. Neben Solingen zeigt auch der vereitelte Anschlag von München in der vergangenen Woche, dass die Bekämpfung des islamistischen Extremismus eines der drängendsten Themen ist. Neben Repression ist mir besonders wichtig, dass wir hier auch Präventions- und Frühwarnsysteme stärken, gerade mit Blick auf junge Menschen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
Fachkräftemangel
Ein Beispiel: Es wird zwar viel über dem Ärztemangel. besonders auf dem Land, gejammert am Nummerus Clausus für das Medizistudium wird aber eisern festgehalten. Da frage ich mich: Woher kommt denn dieser Ärztemangel ????
"Migration ist schon seit…
"Migration ist schon seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor zweieinhalb Jahren ein bestimmendes Thema – die Krisen der Welt haben direkte Auswirkungen auch auf unser Land"
Nein, der Ukarine-Krieg hat damit nichts zu tun. Frau Merkel hatte bereits viele Jahre zuvor die Grenzen für eine unbegrenzte und unkontrollierte Migration geöffnet.
"Es ist wichtig darüber zu diskutieren, aber leider werden in der öffentlichen Debatte viele Halb- und Unwahrheiten verbreitet"
Ja, so wie es Frau Alabali-Radovan gerade getan hat, indem sie die Migrationsprobleme als Folge des Ukraine-Kriegs dargestellt hat. Die "Krisen der Welt" haben angeblich Schuld und nicht die aktuelle und vorherige Bundesregierung.