Höhere Beiträge zur Pflegeversicherung? Diese Alternative gibt es
Medienberichten zufolge droht der Pflegeversicherung die Pleite. Dabei hat die Ampel im Koalitionsvertrag Möglichkeiten vereinbart, um höhere Einnahmen zu erzielen. Eine weitere Anhebung der Beiträge könnte damit vermieden werden, meint SPD-Gesundheitsexpertin Heike Baehrens.
IMAGO / Panthermedia
5,4 Milliarden Euro sind der Versichertengemeinschaft durch die Pandemie verloren gegangen. Sie müssen aus Steuermitteln zurückgeführt werden, fordert die SPD
Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung ist erst vor einem Jahr gestiegen. Reicht die Erhöhung aus?
Da der Kostendruck steigt, wird die im vergangenen Jahr beschlossene Erhöhung des Beitragssatzes um durchschnittlich 0,35 Prozent nicht ausreichen. Deshalb müssen wir jetzt beraten, wie wir die Pflegeversicherung finanziell stabilisieren.
Welche Pläne verfolgt die SPD bei der Finanzierung?
Wir wollen, dass die Regelungen umgesetzt werden, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Das würde die Pflegeversicherung deutlich entlasten.
Als erstes sollten die Leistungen der medizinischen Behandlungspflege von der Kranken- und nicht von der Pflegeversicherung getragen werden. Das würde eine Entlastung von circa 2,5 bis drei Milliarden Euro pro Jahr bringen.
Wir wollen zudem, dass die 5,4 Milliarden Euro an Mehrkosten durch die Pandemie, die von der Versichertengemeinschaft getragen wurden, aus Steuermitteln zurückgeführt werden. Und drittens fordern wir, versicherungsfremde Leistungen künftig aus Steuermitteln zu finanzieren.
Heike
Baehrens
Wir wollen, dass die Regelungen umgesetzt werden, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Das würde die Pflegeversicherung deutlich entlasten.
Welche Mehrkosten haben sich durch die Pandemie ergeben?
Das sind vor allem die Kosten für Tests, für Personal- und auch Materialkosten, die Einrichtungen und Dienste bezahlen mussten. Am Ende mehr als 13,1 Milliarden Euro. Davon sind 5,4 Milliarden Euro durch Beitragsgelder der Sozialen Pflegeversicherung ausgeglichen worden. Geld, das jetzt fehlt.
Was sind versicherungsfremde Leistungen?
Ein Beispiel: Menschen, die ihre Angehörigen pflegen und ihre Arbeitszeit reduzieren, haben Anspruch auf Rentenversicherungsbeiträge. Diese Beiträge werden derzeit aus der Pflegeversicherung bezahlt, obwohl es keine versicherungstypische Leistung ist. Das halten wir für falsch. Diese Leistung muss aus Steuermitteln finanziert werden. So hatten wir es auch vereinbart.
Was ist aus dem Bundeszuschuss für die Pflegeversicherung geworden?
Im Koalitionsvertrag haben wir sogar eine Anhebung des Bundezuschusses vereinbart. Stattdessen wurde der bisherige Bundeszuschuss in Höhe von einer Milliarde Euro aufgrund der Haushaltslage ausgesetzt.
Hält die SPD an den Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag fest?
Natürlich. Gerade weil der Finanzminister darauf pocht, dass das Einhalten der Schuldenbremse im Koalitionsvertrag vereinbart sei, müssen auch wir als SPD einfordern, dass Dinge, die wir vereinbart haben, entsprechend umgesetzt werden.
Wie will die SPD vorgehen?
In den vor uns liegenden Haushaltsberatungen müssen all diese Punkte auf den Tisch. Wenn eine Entlastung über Steuermittel nicht gelingt, wird es zu einer Beitragssatzerhöhung kommen. Das kann nicht der Weg sein.
Wo steht die SPD, wenn es um die Zukunft der Pflege geht?
Auch wenn der Finanzminister keine Steuerzuschüsse zur Pflege will, bin ich der Meinung, dass wir die Kosten breiter verteilen müssen. Wir werden deshalb weiterhin dafür werben, dass private und gesetzliche Pflegeversicherung zusammengeführt werden. Es macht keinen Sinn, dass in der privaten Versicherung außerordentlich hohe Rücklagen gebildet werden. Die liegen inzwischen bei 49 Milliarden Euro, obwohl die jährlichen Leistungsausgaben bei 2,5 Milliarden Euro liegen. Das kann nicht richtig sein.
Weil der Schritt zur Pflegebürgerversicherung nicht im Koalitionsvertrag steht, sollten wir mindestens über einen Risikoausgleich nachdenken. Denn in der privaten Pflegeversicherung sind vor allem gutverdienende Erwerbstätige versichert, die seltener und weniger krank und pflegebedürftig sind. Ein Lastenausgleich zwischen der gesetzlichen und privaten Pflegeversicherung ist überfällig. Das Geld wird jetzt gebraucht, um eine gute Pflege zu gewährleisten.
Dieses Interview wurde im Juni geführt. Vollständig nachzulesen ist es unter Pflegeversicherung: Wie die SPD höhere Beiträge verhindern will
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.