Bundestag: Mehr Abgeordnete mit Migrationshintergrund – zumindest prozentual
73 Abgeordnete mit Migrationshintergrund gehören dem Bundestag an, in der vergangenen Legislaturperiode waren es noch zehn mehr. Trotzdem ist ihr Anteil leicht gestiegen, auch in der SPD-Fraktion.
IMAGO / Sven Simon
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil im Wahlkampf mit Serdar Yüksel. Der Bochumer ist einer von 21 SPD-Abgeordneten mit Migrationsgeschichte.
Eigentlich ist Serdar Yüksel gar kein Neuling. Der 51-jährige Sozialdemokrat aus Bochum kann auf 15 Jahre parlamentarische Erfahrung im Landtag von Nordrhein-Westfalen zurückblicken. Dass er nach eineinhalb Jahrzehnten in der Landespolitik das Parlament wechseln wollte, erklärte er Anfang Februar im Gespräch mit dem „vorwärts“ mit inhaltlichen Gründen: „Kinderarmut, Altersarmut, Pflege, Rente – alle Themen, die mir wichtig sind, werden im Bundestag verhandelt.“
21 SPD-Abgeordnete mit Migrationsgeschichte
Deswegen hat Yüksel für den Bundestag kandidiert und auch den Einzug geschafft, als einer von elf neuen Abgeordneten in der SPD-Fraktion. Von den Neuen ist er jedoch der einzige mit Migrationsgeschichte in der Familie. Yüksel ist kurdischer Abstammung. Sein Vater kam 1964 aus der Türkei nach Deutschland, arbeitete bei Krupp und engagierte sich in der IG Metall. Yüksel selbst wurde in Essen geboren, machte in Bochum-Wattenscheid seinen Hauptschulabschluss und eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Erst später studierte er Pflegewissenschaften.
Als Intensivkrankenpfleger war er bis zu seinem Einzug in den Landtag 2010 tätig, auch damit bildet er zwischen all den Jurist*innen und Politikwissenschaftler*innen eine Ausnahme im Parlament. Menschen mit Migrationsgeschichte gibt es in der SPD-Fraktion künftig noch 20 weitere, ihre Anzahl ist gesunken. Nach der Wahl 2021 waren es noch 35 Abgeordnete. Doch weil sich auch die Fraktion insgesamt aufgrund des historisch schlechten Wahlergebnisses verkleinert hat, ist der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte von 17 auf 17,5 Prozent sogar leicht gestiegen.
AfD und Union senken den Schnitt
Ähnlich verhält es sich auch mit Blick auf das gesamte Parlament, wie eine Recherche des „Mediendienstes Integration“ ergeben hat. Dort sitzen künftig 73 Abgeordnete mit Migrationsgeschichte, zuvor waren es zehn mehr. Wegen der Verkleinerung des Bundestags stieg ihr Anteil dennoch von 11,3 auf 11,6 Prozent leicht an. Den Schnitt nach unten ziehen vor allem CDU/CSU mit einem Anteil von nur 6,3 und die AfD-Fraktion mit 5,9 Prozent, wohingegen Linke (18,8) und Grüne (20 Prozent) noch einen leicht höheren Anteil als die SPD-Fraktion aufweisen. Wobei der Migrant*innen-Anteil innerhalb der Linken-Fraktion trotz ihres starken Abschneidens von 28,2 Prozent im Jahr 2021 um fast zehn Prozentpunkte sank.
25 von 73 Abgeordneten mit Migrationshintergrund haben einen Bezug zu EU-Mitgliedsstaaten, darunter sieben zu Polen. Außerdem haben 18 Abgeordnete einen Bezug zur Türkei, acht weitere zu Ex-Sowjetstaaten. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sind Menschen mit Migrationshintergrund im Bundestag unterrepräsentiert. In der Gesamtbevölkerung liegt ihr Anteil bei 29,7 Prozent, unter den Wahlberechtigten bei 14,4 Prozent. Allerdings: Der Frauenanteil bei Abgeordneten mit Migrationshintergrund ist mit 47,2 Prozent deutlich höher als im restlichen Bundestag (32,4 Prozent). Auch ist der Altersdurchschnitt mit 42,1 Jahren niedriger als im gesamten Parlament (47,1 Jahre).
Sechs aus Baden-Württemberg, niemand aus Bayern
Interessant ist auch der Blick auf die regional Verteilung der Abgeordneten mit Migrationsgeschichte innerhalb der SPD-Fraktion. So hat von den 13 Parlamentarier*innen aus Baden-Württemberg mit sechs fast die Hälfte einen entsprechenden Hintergrund, in Bayern ist es hingegen unter den 14 SPD-Abgeordnete kein*e einzige*r. Aus Nordrhein-Westfalen kommen neben Yüksel noch vier weitere Abgeordnete mit Migrationsgschichte, aus Hessen, Niedersachsen und Hamburg jeweils zwei. Aus Ostdeutschland sind es mit der Staatsministerin für Integration und Migration, Reem Alabali-Radovan (Mecklenburg-Vorpommern), und der integrations- und migrationspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion, Rasha Nasr (Sachsen), ebenfalls zwei Abgeordnete. Als Mensch mit Migrationshintergrund gilt, wer die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt oder mindestens ein Elternteil hat, auf den das zutrifft.
Die Arbeitsgemeinschaft für Migration und Vielfalt in der SPD gratulierte den 21 Abgeordneten und gab ihnen mit Blick auf die deutlich gewachsene AfD-Fraktion die klare Botschaft mit auf den Weg: „Zeigt den Faschisten, dass sie sich ihre Deportationsfantasien sonst wohin stecken können!“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo