Antrag für mögliches AfD-Verbot: „Der Beschluss muss jetzt erfolgen“
Mit einem Beschluss im Bundestag wollen mehr als 100 Abgeordnete die Verfassungswidrigkeit der AfD vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen. Die Mit-Initiatorin des Antrags, Carmen Wegge, erklärt die Hintergründe – und sagt, warum die Zeit drängt.
IMAGO / Bihlmayerfotografie
ist die AfD verfassungswidrig? Ein fraktionsübergreifender Antrag im Bundestag will eine Prüfung beim Bundesverfassungsgericht beantragen.
Am Mittwoch haben Sie mit mehr als 100 Abgeordneten einen fraktionsübergreifenden Antrag eingebracht, mit dem der Bundestag das Bundesverfassungsgericht beauftragen soll, die Verfassungswidrigkeit der AfD zu überprüfen. Warum?
Mit diesem Antrag wollen wir die Tür nach Karlsruhe zu öffnen, damit das Bundesverfassungsgericht die AfD auf ihre Verfassungswidrigkeit überprüft. Das kann nur das Gericht machen. Genau für einen solchen Moment ist diese Möglichkeit in der wehrhaften Demokratie geschaffen worden. Wir als Abgeordnete haben in einer solchen Situation die Pflicht, dementsprechend zu handeln, um unsere Demokratie zu schützen. Inzwischen ziehen Menschen, die engagiert sind, aus den Bundesländern weg, in denen die AfD stark ist, weil sie Angst haben, dort zu leben. Wir müssen auch dem Großteil der Gesellschaft in diesem Land gerecht werden, der Angst hat vor der AfD. Auch um diese Menschen zu schützen, haben wir diesen Antrag eingebracht.
Wie schätzen Sie persönlich die Gefahren ein, die von der AfD ausgehen?
Ich bin der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Verfassungswidrigkeit der AfD vorliegen. Die AfD ist eine große Bedrohung für unsere Demokratie.
Carmen
Wegge
Wir erleben eine Union, die mit Zusammenarbeiten mit der AfD liebäugelt.
Woran machen Sie das fest?
Es gibt juristisch drei Kriterien, die erfüllt sein müssen. Zum einen muss eine Partei gegen die Grundwerte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verstoßen. Dass dies bei der AfD der Fall ist, haben wir inzwischen schwarz auf weiß. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat das klar festgestellt hat, dass die AfD in ihren Positionierungen gegen die Menschenwürde verstößt sowie gegen das Demokratieprinzip, weil es auch die Delegitimierung staatlicher Institutionen planvoll verfolgt.
Ein zweites Merkmal für die Verfassungswidrigkeit der AfD ist die sogenannte Potentialität. Sie besagt, dass eine Partei nur dann verboten werden kann, wenn sie denn groß genug ist, um auch eine tatsächliche Gefahr für die Demokratie darzustellen. Das war ja die Frage beim zweiten NPD-Verbotsverfahren. Für die AfD trifft das aus meiner Sicht definitiv zu, denn sie übernimmt in diesem Land inzwischen Exekutivgewalt. Sie stellt einen Landrat, Oberbürgermeister, in Thüringen ist sie stärkste Kraft bei einer Landtagswahl geworden und ist auch auf Bundesebene in den Umfragen sehr hoch vertreten. Und deswegen gehe ich davon aus, dass die AfD tatsächlich auch eine tatsächliche Gefahr für die Demokratie darstellt.
Und der dritte Punkt?
Das ist die Notwendigkeit eines planvollen Vorgehens zur Beeinträchtigung oder Beseitigung der Demokratie. Da gab es in den letzten drei Jahren immer wieder Ereignisse, bei denen die AfD gezeigt hat, dass sie genau so handelt, zum Beispiel das Treffen in Potsdam im November 2023, bei dem es um massenhafte Deportationen ging, und das nicht nur von Menschen mit Migrationshintergrund. Oder ich erinnere an die Terrorgruppe um Prinz Reuß, die paramilitärisch für Übungen durchgeführt hat und den Bundestag stürmen wollte. Da gehört eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete dazu. Das jüngste Beispiel sind die „Sächsischen Separatisten“, die ebenfalls einen gewaltsamen Umsturz geplant haben. Auch hier waren mehrere AfD-Mitglieder dabei.
Nicht zuletzt muss man natürlich auch die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags Ende September nennen. Hier wurde sehr deutlich, dass die AfD, in dem Moment, in dem sie einen Hauch an Macht hat, versucht, die Demokratie auszuhöhlen. Nur das Landesverfassungsgericht konnte letztlich dafür sorgen, dass sich der Thüringer Landtag tatsächlich konstituieren konnte.
Trotzdem sagen manche, die Verfassungsschutzämter bräuchten noch mehr Zeit, um Material für ein mögliches Verbotsverfahren zu sammeln. Warum ist aus Ihrer Sicht genau jetzt der richtige Zeitpunkt für eine solche Prüfung?
Je mehr Material das Gericht hat, desto besser ist es natürlich. Deshalb bin ich auch sehr glücklich darüber, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz vor wenigen Tagen die Befugnis erlangt hat, in die Finanzströme der AfD hineinzuschauen. Ich gehe davon aus, dass das in den nächsten Monaten zu wesentlichen Erkenntnissen beitragen wird, die man braucht für ein solches Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Trotzdem fürchte ich, dass sich, wenn wir zu lange mit der Prüfung warten, die Zeitfenster schließen, in denen eine Mehrheit für einen solchen Antrag überhaupt noch möglich ist.
Wir sehen in den Ländern jetzt nun potenzielle Beteiligungen des BSW an der Regierung. Hinzu kommt eine starke AfD. Wir erleben eine Union, die mit Zusammenarbeiten mit der AfD liebäugelt. Und je mehr man sich darauf einlässt und auch je mehr die Union nach rechts rückt, desto geringer werden die Chancen, für einen solchen Antrag eine Mehrheit zu bekommen, egal in welchem Gremium: Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung.
Carmen
Wegge
Natürlich wäre ein Scheitern ein Erfolg für die AfD.
Kritiker*innen befürchten, dass ein Scheitern des Verfahrens die AfD am Ende sogar stärken könnte. Wie sehen Sie das?
Natürlich wäre ein Scheitern ein Erfolg für die AfD. Ich denke aber, dieses Risiko müssen wir eingehen, denn was passiert, wenn wir diesen Antrag nicht stellen? Wie groß wäre der Schaden dann für unsere Demokratie? Ich persönlich bin zu dem Schluss gekommen, dass das Szenario, was passieren würde, wenn wir diesen Antrag nicht stellen, das deutlich schädlichere wäre.
Gut 100 Abgeordnete unterstützen den Antrag. Der Bundestag hat 630 Mitglieder. Sehen Sie eine realistische Chance für eine Mehrheit?
Wir würde einen solchen Antrag nicht zur Abstimmung stellen, wenn wir uns einer Mehrheit nicht sicher wären. Noch in diesem Jahr soll es ja ein Rechtsgutachten des Verfassungsschutzes zur AfD geben. Sollte dessen Ergebnis sein, dass die AfD als Gesamtpartei als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, gehe ich davon aus, dass wir eine gute Chance für eine Mehrheit im Bundestag haben.
Welchen Einfluss hat die vorgezogene Bundestagswahl auf die Abläufe?
Das muss sich zeigen. Die Aufsetzung der Tagesordnung für die Sitzungswochen des Bundestags erfolgt ja gerade etwas anders als gewohnt. Die vorgezogene Wahl erhöht aber den Druck deutlich, weil unsere Analyse immer war, dass wir die Mehrheiten für einen solchen Antrag nach der nächsten Bundestagswahl als deutlich geringer einschätzen. Deshalb muss der Beschluss jetzt erfolgen.
Es gab zwei Anläufe, um die NPD über das Bundesverfassungsgericht verbieten zu lassen. Beide sind gescheitert. Was lässt sich daraus für ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD lernen?
Beide Urteile zur NPD zeigen uns ganz genau, wo mögliche Fallstricke sind und was wir vermeiden sollten. Wir müssen zum einen die Staatsfreiheit gewährleisten, also das Betreiben des Antrags erst dann, wenn alle V-Leute aus der AfD abgezogen worden sind. Das gewährleisten wir in unserem Antrag. Häufig wird vergessen, dass das zweite Verbotsverfahren gegen die NPD erfolgreich gewesen ist, die Partei aber zu klein war, um sie letztendlich zu verbieten.
Nichtsdestotrotz wurde die Verfassungswidrigkeit der NPD gerichtlich festgestellt. Und das Gericht hat damals auch sehr genau aufgezeigt, welche Kriterien wie verstanden werden. Damit haben wir sehr genaue Anhaltspunkte, was die Kriterien für eine Einstufung als verfassungswidrig bedeuten. Und auch das Urteil zu den Parteifinanzen der NPD vom Anfang dieses Jahres hat uns wertvolle Hinweise gegeben. Hier wurden von den Richterinnen und Richtern auch das Verhalten und die Äußerungen einfacher Partei-Mitglieder herangezogen, um zu beweisen, dass die Partei verfassungswidrig ist.
Einzelne Landesverbände der AfD und auch die Parteijugend „Junge Alternative“ wurden bereits als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Wäre es nicht sinnvoller, erstmal dort mit einer Prüfung und ggf. einem Verbot anzufangen?
Das hielte ich für unklug, denn jeder Tag, an dem es die Jugendorganisation der AfD gibt, ist ein Tag, an dem die Verfassungswidrigkeit der Gesamtpartei gewährleistet ist. Würde man anfangen einzelne Landesverbände oder die junge Alternative zu verbieten, schmälert man die Aussichten für ein erfolgreiches Verfahren gegen die Gesamtpartei drastisch und daher halte ich das für kein zielführendes Vorgehen. Sollte das Bundesverfassungsgericht für die Gesamtpartei zu einer anderen Einschätzung kommen als wir, wäre das Verbot einzelner Landesverbände aber ein möglicher Weg.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.