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Sorgenkind Pflege: Warum eine umfassende Reform nötig ist

Deutschlands Pflegesystem braucht mehr Investitionen und grundlegende Veränderungen. Die klamme finanzielle Lage hat auch mit einer Entscheidung des früheren Bundesfinanzministers Christian Lindner zu tun.

von Lea Hensen · 18. November 2024
Pflegeheim Pflegeversicherung Pflegereform

Bis zum Jahr 2049 werden voraus­sichtlich 280.000 bis 690.000 Pflegekräfte fehlen.

Die Situation der Pflege in Deutschland ist dra­matisch. Weil die Gesell­schaft altert, gibt es immer mehr Menschen, die auf Pflege angewie­sen sind, während gleichzeitig weniger Menschen arbeiten und Pflegebeiträge zahlen.

Schon jetzt gibt es mit rund 5,6 Millionen Menschen in Deutschland deutlich mehr Pflegebedürftige als er­wartet – und jedes Jahr werden es rund 300.000 mehr. Hinzu kommt der Perso­nalmangel: Laut einer Berechnung des Statistischen Bundesamtes von Januar 2024 werden bis zum Jahr 2049 voraus­sichtlich 280.000 bis 690.000 Pflegekräfte fehlen. Und die Pflegeversicherung rollt auf eine Pleite zu, weil sie schon jetzt viel mehr ausgibt als einnimmt. Laut einem Bericht im Auftrag des Bundesgesund­heitsministeriums fehlen ihr langfristig rund 24 Milliarden euro.

So viel ist klar: Weiter steigende Beitragssätze sind keine Lösung, sie kön­nen das Problem auch nur kurzfristig auffangen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat stattdessen eine umfassende Pflegereform angekündigt, die den Pflegeberuf attraktiver machen soll und die Finanzierung der Pflege noch einmal neu denkt. 

Doch auch mit­telfristig gibt es einen Investitionsstau. Für einen Heimplatz greifen Pflegebe­dürftige immer tiefer in die Tasche. Wie der Verband der Ersatzkassen berechnet hat, kostete ein Heimplatz im Juli im bundesweiten Durchschnitt monatlich rund 2.871 Euro, das sind 211 Euro mehr als ein Jahr zuvor. Zwar greifen Zuschüs­se der Pflegekasse, je länger der Aufent­halt im Heim dauert. Aber Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten tragen die Pflegebedürftigen selbst.

Länder tragen Verantwortung

Die Bundesregierung hatte sich gemäß dem Koali­tionsvertrag vorgenommen, die Eigen­anteile zu deckeln. Aber bei den Investi­tionskosten sind eigentlich die Länder in der Pflicht, sagt Martin Schölkopf, Leiter der Abteilung Pflegeversicherung beim Bundesministerium für Gesundheit. 

„Mit Einführung der Pflegeversicherung wurde politisch vereinbart, dass die Län­der ihre Einsparungen in der Sozialhilfe verwenden sollen, um die investitions­kosten der Pflegeeinrichtungen zu för­dern“, erklärt er. Das seien bundesweit rund 4,5 Milliarden Euro pro Jahr – seit Einführung der Pflegeversicherung in 1995 also 130,5 Milliarden Euro. „Prak­tisch fließt davon aber wirklich sehr, sehr wenig in die Pflegeeinrichtungen“, sagt Schölkopf. Würden die Länder die inves­titionskosten vollständig übernehmen, könnten Heimbewohnende im Schnitt 490 Euro monatlich sparen.

Doch auch der Bund bleibt Versprechen schuldig. „Hätten wir die Vereinbarungen aus dem Koalitions­vertrag bereits umgesetzt, stünde unsere Pflegeversicherung gut da“, sagt Dagmar Schmidt, stellvertretende Vor­sitzende der SPD-­Bundestagsfraktion und zuständig für Arbeit, Soziales und Gesundheit. Im Koalitionsvertrag hat­te die frühere Ampelkoalition angekündigt, die Pflegeversicherung mit Steuermitteln zu entlasten, was versicherungsfrem­de Leistungen und pandemiebedingte Zusatzkosten angeht. 

Christian Lindner verhinderte Entlastung der Pflegeversicherung

Schmidt beziffert die Pandemie­kosten auf rund 5,4 Mil­liarden Euro. Laut Schölkopf könnten es sogar sieben Milliarden Euro sein. Versi­cherungsfremde Leistungen sind unter anderem Rentenbeiträge, die die Pflege­versicherung für Angehörige zahlt, wenn sie aufgrund einer Pflegetätigkeit weniger arbeiten – laut Schmidt rund 3,6 Milliarden Euro im Jahr.

Stattdessen bestand der ehemalige Bundesfi­nanzminister Christian Lindner (FDP) auf seinen Sparplänen – und auch der Bundeszuschuss zur Pflegeversicherung von einer Milliarde Euro im Jahr wurde bis 2027 ausgesetzt. „Marode Autobahnen oder Brücken kann man zur Not sperren, die notwen­dige Pflege von Menschen muss hin­gegen immer sichergestellt werden“, sagt Schmidt. „Daher müssen wir an die Strukturen ran, auch wenn es viel Geld kostet.“ 

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Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mo., 18.11.2024 - 12:35

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........ist an Allem schuld. Das ist wahrlich ganz einfach.
Allerdings Herrn Lauterbach als Retter in der Not herauszustellen ließ mir die Haare zu Berge stehen, denn seinbisheriges Agieren in Sachen Corona, Pharma oder Krankenhausreform bediente nicht unbedingt die Interessen der Betroffenen.
Selbst sein Cannabis-Gesetz ist so unvollkommen, daß es dem Hause Habeck zur Ehre gereichen würde.

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