Vor 75 Jahren: Deutschlands erste Bundestagswahl
Unter zum Teil widrigen Umständen wählte die Bundesrepublik am 14. August 1949 ihr erstes Parlament, das drei Besatzungszonen vereinte. Nicht nur die hohe Beteiligung überraschte.
Vor 75 Jahren, am 14. August 1949, wurde im Nachkriegsdeutschland das erste Mal ein Bundestag gewählt. Für viele Bürger*innen war das ein besonderer Tag: Wer 1933 das letzte Mal bei einer demokratischen Wahl gewählt hatte, musste sich wieder ans Wählen gewöhnen. Wer nach dem 6. März 1912 geboren wurde, hatte noch nie für ein zentrales Parlament seine Stimme abgegeben.
Der 14. August 1949 war also für Millionen Menschen in Deutschland eine Premiere. Die Ferienzeit musste für den Wahltag nicht beachtet werden: Vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs konnte ohnehin fast niemand in den Urlaub fahren.
Kein gesamtdeutsches Parlament
In den wieder- oder neugebildeten Ländern hatte es seit 1946 nur Wahlen zu den kommunalen Räten und Kreistagen sowie zu den Landtagen gegeben. Gegenüber der Wahl zur Bundesrepublik Deutschland herrschte Skepsis. Schließlich war es kein gesamtdeutsches Parlament, das gewählt werden sollte. Eine Einigung darüber mit der Sowjetunion war gescheitert. Der neue Bundestag sollte aber an die Stelle von „Trizonesien“ treten, wie die drei Besatzungszonen der Amerikaner, Briten und Franzosen scherzhaft genannt wurden.
Es galt das Verhältniswahlrecht. Im Gegensatz zu allen späteren Bundestagswahlen hatten die Wähler*innen nur eine Stimme, mit der über einen Wahlkreiskandidat*innen die Partei gewählt wurde. Die Sperrklausel von fünf Prozent galt nur landesweit, alternativ musste ein Wahlkreis gewonnen werden. Briefwahl war nicht möglich, sie gibt es erst seit 1957.
Wahlberechtigt war, wer das 21. Lebensjahr vollendet hatte. 400 Abgeordnete standen zur Wahl, 242 von ihnen in Wahlkreisen, die die Landesregierungen festlegten. Den Wahltag bestimmten die Ministerpräsidenten. Da die Wahl spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Grundgesetzes stattfinden sollte, bot sich nur ein Termin im August 1949 an.
Schwierige Kandidatenfindung
Die Parteien hatten sich nach 1945 neu gegründet, allerdings war es schwierig für sie, geeignete Kandidat*innen zu finden. Sie waren zwar lokal oder regional organisiert, aber nicht über die Grenzen der Besatzungszonen hinweg, da die Besatzungsmächte mauerten.
Gemessen an den seit Jahrzehnten durch Parteiengesetz und Wahlgesetz streng geregelten Verfahren kann die Aufstellung der Kandidat*innen 1949 nur als willkürlich bezeichnet werden. Sie lag in der Hand der regionalen Parteien, soweit diese vorhanden waren. Mitgliederversammlungen waren selten. Im Regelfall entschied der Vorstand.
Wo das nicht funktionierte, schlug die Zentrale – bei SPD und KPD – oder die Landespartei die Kandidat*innen vor. Auch Parteitage gab es nicht, die Landesvorstände stellten die Landeslisten auf. Das lag auch am enormen Zeitdruck, innerhalb von vier Wochen musste man startklar für den kurzen Wahlkampf sein.
Ein völlig anderer Wahlkampf
Zwischen der Verabschiedung des Wahlgesetzes, der Festlegung der Wahlkreise und dem Wahltermin lag wenig Zeit. Das erzwang einen kurzen Wahlkampf, der zusätzlich durch die schwierige Kommunikationsmöglichkeiten begrenzt war.
Es mangelte an Papier, und wenn welches vorhanden war, war es teuer. Die Parteien mussten also mit ihrem Informationsmaterial sparen. Meist reichte es nur für Flugblätter, die jedoch nicht überall verteilt werden konnten, da die Parteien schwach aufgestellt waren. Hinderlich war auch, dass es nur wenige PKW gab, selbst die Kandidat*innen besaßen häufig kein Auto. Auch der ÖPNV war 1949 schwach entwickelt. Kandidat*innen erkundeten ihren Wahlkreis daher mit dem Fahrrad. Viele warben mit Plakaten, damals noch ohne Farbe. Soweit verfügbar, setzten sie Lautsprecherwagen ein.
Rundfunkwerbung gab es nicht, das Fernsehen sendete damals noch nicht. Kinowerbung wäre möglich gewesen, war wegen des knappen Produktionszeitraums aber nicht realisierbar. Im Vergleich zu heutigen Wahlen hatte der Versammlungswahlkampf eine außerordentliche Bedeutung. Lizenzzeitungen, die im Umfeld der Parteien entstanden waren, mobilisierten die engere Anhängerschaft der Parteien.
Das Wahlergebnis vom 14. August 1949
Die Wahlbeteiligung am 14. August war überraschend. Mit 77,8 Prozent überstieg sie vorherige Einschätzungen deutlich. In dem geteilten, noch stark zerstörten Land liebten Millionen von Wahlberechtigten verarmt und schlecht integriert. Skeptiker*innen hatten erwartet, dass die Wahl zum geplanten Staat Bundesrepublik Deutschland wenig Zustimmung bekommen würde. Die hohe Beteiligung, die bei den folgenden Bundestagswahlen weiter übertroffen wurde, konnte als Vertrauen in die Zukunft des demokratischen Experiments Bundesrepublik interpretiert werden.
Überraschend war auch der Wahlausgang. CDU/CSU traten wie heute getrennt auf, handelten aber als Union. Mit 31,0 Prozent überholten sie die SPD nur knapp, die 29,2 Prozent erreichte. Die Sozialdemokrat*innen waren enttäuscht, denn ihr Vorsitzender Kurt Schumacher war seit Wiedergründung der SPD 1946 eine zentrale Figur der Nachkriegspolitik gewesen. Konrad Adenauer, der die CDU ab 1946 in der britischen Zone führte, war bundesweit dagegen weniger bekannt.
Kleine Parteien lagen deutlich hinter CDU und SPD
Im Vergleich zu den beiden großen Parteien, deren Konkurrenz die Bundesrepublik prägen sollte, lagen kleinere Parteien deutlich zurück. Die FDP/DVP schaffte 11,9 Prozent, vor allem durch ihre Hochburgen in Württemberg – das Bundesland Baden-Württemberg existierte noch nicht – und Hessen.
Die Regionalparteien bewiesen ebenfalls Stärke. In Bayern und Niedersachsen führte das zu auffälligen Ergebnissen. In den altbayerischen Wahlkreisen dominierte die Bayernpartei vor der CSU mit neun Wahlkreisabgeordneten. Bemerkenswert beim bayerischen Ergebnis ist auch, dass die SPD die damaligen vier Münchner Wahlkreise direkt gewann, sogar über mehrere Bundestagswahlen verteidigte. Insgesamt gewannen die SPD-Kandidat*innen in Bayern zwölf Wahlkreise direkt.
Die KPD erreichte 5,7 Prozent, mit den höchsten Stimmanteilen in den von Bergbau und Stahl bestimmten Ruhrgebiets-Wahlkreisen: Essen II 15,0 und Gladbeck-Bottrop 15,8 Prozent.
Adenauer-Koalition entsteht
Obwohl innerhalb der CDU wegen der wirtschaftlichen Lage Politiker*innen für eine große Koalition mit der SPD plädierten, erreichte Adenauer als erfahrenster Politiker im Unionslager sehr schnell eine Absprache mit dem Liberalen Theodor Heuß. Dem schloss sich die rechtsgerichtete Deutsche Partei (DP) an. So kam eine Mehrheit für die Wahl von Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler zustande.
Der FDP-Vorsitzende Theodor Heuß wurden zum ersten Bundespräsidenten gewählt. Die Adenauer-Koalition zerfiel erst 1966 mit der Bildung der Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD. 1969 endete die CDU/CSU-Dominanz mit der Wahl von Gustav Heinemann (SPD) zum Bundespräsidenten und der Bildung der sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP unter Bundeskanzler Willy Brandt.
war von 1975 bis 1976 Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Als Mitglied des Europäischen Parlamentes war er Vorsitzender des Ausschusses für den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.