CDU-Spionageskandal: Wie Adenauer systematisch die SPD bespitzeln ließ
imago images/ZUMA/Keystone
Die langjährige systematische Ausforschung des Vorstands der SPD bildete den Kern der Inlandsspionage des Bundesnachrichtendienstes (BND). Sie war die erfolgreichste innenpolitische Operation des Dienstes und eine seiner bedeutendsten Unternehmungen überhaupt. Von Mitte der fünfziger Jahre bis Anfang der sechziger Jahre verwandelte der BND die SPD-Parteizentrale in Bonn für Bundeskanzler Konrad Adenauer und seinen Staatssekretär Hans Globke in ein bequem einsehbares offenes Haus. Dieses „Watergate“ von ungleich größerer Dimension als der Versuch, im Washingtoner Wahlkampfbüro der Demokratischen Partei Abhörtechnik zu installieren.
Adenauer: Die SPD ist unser Feind
Adenauer sah in der größten Oppositionspartei weniger einen Mitbewerber oder politischen Gegner als einen Feind. Keineswegs nur in wahlkämpferischer Zuspitzung prophezeite er 1957 bei einem Wahlsieg der SPD den „Untergang Deutschlands“. Vier Jahre später klang es nicht anders: „Dass die SPD unser Feind ist, sehen wir doch immer wieder“, rief er seinen Parteifreunden zu. „Sagen wir doch ruhig: Unser Feind. Was würden die mit uns Schlitten fahren. Wir wollen sie nicht totschlagen, wir wollen nur dafür sorgen, dass sie keinen Unsinn machen.“ Mitunter nahm er auch das Wort „Todfeind“ in den Mund.
Adenauer sind insgesamt etwa 500 schriftliche Berichte des BND über Interna der SPD zugegangen; auf mündlichem Wege womöglich sehr viel mehr, da BND-Mitarbeiter unter dem Dach des Palais Schaumburg logierten. Die Schriftstücke haben einen Umfang von wenigen Zeilen bis zu mehreren Schreibmaschinenseiten. Mitunter gingen mehrere Hinweise täglich ein, gelegentlich ein ganzes Dutzend.
Kanzler Adenauer wollte alles wissen
Klar erkennbar war an den SPD-Berichten des BND, dass Adenauer und Globke diese keineswegs in den Papierkorb geworfen, sondern sich ausweislich der Bearbeitungsspuren gründlich mit ihnen befasst haben. Adenauer behielt sein Geheimwissen für sich, doch konnte er sich nicht immer zügeln anzudeuten, wie gut er über das Innenleben der SPD-Führung Bescheid wusste. Im Wahljahr 1957 sagte er vor der CDU-Spitze: „Ich habe hier einige Notizen aus SPD-Kreisen“, und zitierte dann wörtlich Passagen aus einer vertraulichen BND-Mitteilung – nicht ohne die Selbstermahnung: „Ich muss das mit Vorsicht verlesen, damit nicht die Quelle verraten wird. Das werden Sie verstehen.“
Kurz darauf konnte der Parteivorsitzende der CDU vor demselben Gremium noch weniger an sich halten: „Darf ich zunächst feststellen, ob wir wirklich ganz unter uns sind und keine Fotografen und niemand uns hören kann“, eröffnete er die Aussprache: „Denn nur dann kann man ruhig und offen miteinander sprechen. Aus den Sitzungen des Parteivorstands der SPD bekommen wir ja die entsprechenden Mitteilungen (Heiterkeit).“
Der CDU-Chef war stets informiert
Die unmittelbare politische Bedeutung des gewaltigen Informationsabflusses an den CDU-Vorsitzenden ist mit Händen zu greifen und an seinen mitunter vehementen Anstreichungen, Kommentaren und Rücksprachewünschen abzulesen. Nichts fehlte: nicht die Finanzlage der Oppositionspartei; nicht die Planung ihrer Wahlkämpfe nebst akribischer Aufschlüsselung der Anzahl von Plakaten, Broschüren und Anzeigen; nicht die Beratungen über den besten Angriffsmodus gegen den Kanzler; nicht die Nachzeichnung der internen Konfliktlinien; nicht die anschauliche Erläuterung der Spannungen zwischen Parteiführung und Bundestagsfraktion; nicht die Taxierung der internen Hackordnung; nicht die Nachlese zu Bundestagsdebatten; nicht die Beratungen über die Positionierung der SPD angesichts der „Wiederbewaffnung“, über ihre Kampagnen gegen die „Atombewaffnung“ der Bundeswehr; nicht die Ausformung des Godesberger Programms und auch nicht die nachrichtendienstliche Begleitung der Kehrtwendung in der Deutschland-Politik 1960.
Von den oftmals sehr freimütigen Bulletins zur gesundheitlichen und mentalen Verfassung einzelner Genossen, ihren Winkelzügen, ihren Machtambitionen und den Machtchancen ihrer Freunde und Gegner – Brandt, Erler, Heine, Ollenhauer, Schmid, Wehner und andere weniger Prominente – konnten Adenauer und Globke sich ebenfalls beinahe Tag für Tag ein frisches Bild machen.
Der Zweck heiligte die Mittel
Weil Adenauer und Globke ebenso wie der BND-Präsident vom Staat und weniger vom Rechtsstaat her dachten und alle drei außerdem nicht daran zweifelten, dass der politische Zweck mitunter die Mittel heilige, brachen sie aus dem Verfassungsrahmen aus und traten die allereinfachsten Regeln des politischen Wettbewerbs in einer Demokratie mit Füßen. Unzweifelhafte Kausalitäten lassen sich in der Geschichte selten herstellen, so auch nicht zwischen den geheimen Kanzler-Orientierungen des BND und unmittelbaren Kanzler-Entscheidungen.
Es liegt jedoch nahe, vielleicht unterliegt es nicht einmal einem Zweifel, dass Hans Globke und Reinhard Gehlen durch die Instrumentalisierung des Auslandsnachrichtendienstes für innen- und parteipolitische Zwecke die staunenswerte politische Trittsicherheit von Bundeskanzler Konrad Adenauer festigen halfen. Wäre die Jahrzehnte verborgen gebliebene Ausforschung der SPD-Spitze durch den BND damals aufgeflogen, so hätten die Zeitgenossen darin wohl einen Abgrund von Machtmissbrauch gesehen.
Dieser Text erschien zuerst im vorwärts (Print-Ausgabe Nr.2/2022). Er ist eine Zusammenfassung des Resümees der Studie: Klaus-Dietmar Henke, Geheime Dienste. Die politische Inlandsspionage des BND in der Ära Adenauer, Ch. Links Verlag Berlin 2022