Geschichte

Eine frühe Vision für ein geeintes Europa

1925 beschloss der SPD-Parteitag das Heidelberger Programm. Mit seinem Bekenntnis zur demokratischen Republik und zu den »Vereinigten Staaten von Europa« stellt es einen Meilenstein sozialdemokratischer und europäischer Geschichte dar.
von Thomas Horsmann · 1. September 2015
13. September 1925: Die Delegierten des SPD-Parteitags versammeln sich im Hof des Heidelberger Schlosses zum Erinnerungsfoto.
13. September 1925: Die Delegierten des SPD-Parteitags versammeln sich im Hof des Heidelberger Schlosses zum Erinnerungsfoto.

Es ist kühl an diesem Sonntagabend im Neckartal. In Mäntel gehüllt eilen die Genossen Richtung Heidelberger Stadthalle. Im großen, festlich geschmückten Saal stehen vor dem Podium die Büsten von Karl Marx, Ferdinand Lassalle und Friedrich Ebert. Über ihm hängen die Fahnen der Weimarer Republik, der Stadt Heidelberg und der SPD. Auf der Traditionsfahne steht: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Einigkeit macht stark!“. Doch an diesem 13. September 1925 sind viele der 398 Delegierten und 25 Gäste des SPD-Parteitags nicht so optimistisch – weder was die Einigkeit der Partei noch was die Zukunft angeht.

Tod Eberts großer Verlust für die SPD

Im Frühjahr war der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert auf dem Höhepunkt einer bis dahin ungekannten Verleumdungskampagne gegen ihn gestorben und unter riesiger Anteilnahme der Bevölkerung in Heidelberg beerdigt worden. Zu seinem Nachfolger war aber kein Sozialdemokrat sondern Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg gewählt worden – eine klare Niederlage für die SPD. Und eine Folge des wachsenden Zuspruchs der Kommunisten. Zugleich nahmen die nationalistischen und antidemokratischen Umtriebe in der Weimarer Repu-blik weiter zu. Adolf Hitler war frühzeitig aus der Festungshaft entlassen worden und hatte die NSDAP wiederbegründet. 

Hinzu kommt, dass die Partei nach der Vereinigung mit der linken USPD innerlich zerrissen ist. Auf dem Vereinigungsparteitag 1922 in Nürnberg war eine Programmkommission unter Vorsitz von Karl Kautsky eingesetzt worden. Doch die tut sich schwer ein neues Parteiprogramm zu entwickeln, das irgendwo zwischen dem marxistischen Erfurter Programm von 1891 und dem Görlitzer Programm einer linken Volkspartei von 1921 liegen sollte.

Programm gegen Radikale von rechts und links

Kautsky, Vater des Erfurter Programms, zieht sich schließlich krank aus der Programmarbeit zurück. Sein im Wesentlichen von Rudolf Hilferding überarbeiteter Entwurf wird schließlich dem Heidelberger Parteitag vorgelegt, der ihn „gegen ganz wenige Stimmen“ verabschiedet. Damit setzt die SPD ein deutliches Zeichen gegen die radikalen Strömungen von links und rechts und für Demokratie und Freiheit.

Im Heidelberger Programm, das bis 1959 gelten sollte, bekennt sich die Sozialdemokratie zur demokratischen Republik und verabschiedet sich von der Revolution. Im Aktionsprogramm heißt es gleich zu Beginn: „Die demokratische Republik ist der günstigste Boden für den Befreiungskampf der Arbeiterklasse und damit für die Verwirklichung des Sozialismus. Deshalb schützt die Sozialdemokratische Partei die Republik und tritt für ihren Ausbau ein.“ Weiterhin fordern die Genossen die Umwandlung des kapitalistischen Privateigentums in gesellschaftliches Eigentum. Es folgen zahlreiche Ziele, die heute längst -erreicht und selbstverständlich sind. 

SPD will "europäische Wirtschaftseinheit"

Im Abschnitt „Internationale Politik“ am Ende des Programms findet sich jedoch eine Forderung, die seltsam aktuell klingt und nach wie vor nicht erfüllt werden konnte, die Forderung nach den „Vereinigten Staaten von Europa“: Die SPD „tritt ein für die aus wirtschaftlichen Ursachen zwingend gewordene Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit, für die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa, um -damit zur Interessensolidarität der Völker aller Kontinente zu gelangen“. Damit fordert 1925 erstmals eine politische Partei eine gesamteuropäische Lösung, um den Frieden zu sichern.

Mit der Europäischen Union und dem Euro ist zwar die wirtschaftliche Einheit eines großen Teils Europas geschaffen worden, doch nach wie vor bestimmen nationale Regierungen die Politik nach innen und außen. Die Eurokrise zeigt, dass eine gemeinsame Währung mit nationalen Interessen schwer vereinbar ist. Die Griechenlandkrise zeigt, wie fragil die europäische Einheit ist. Überall in der EU wächst die Europaverdrossenheit. So bleibt das Vermächtnis des Heidelberger Programms eine Verpflichtung für alle Europäer.

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Thomas Horsmann

ist freier Journalist und Redakteur.

 

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