Debatte

Experten warnen: „Wer sich für Demokratie einsetzt, wird alleine gelassen“

Warum will die AfD ihre Jugendorganisation umbauen? Experten für Rechtsextremismus haben einen Verdacht. Und sie prophezeien eine gefährliche Entwicklung.

von Lea Hensen · 3. Dezember 2024
Zwei junge Frauen, eine davon mit einem Oberteil mit der Aufschrift „Junge Alternative" beim Parteitag der AfD in Essen.

Zwei junge Frauen, eine davon mit einem Oberteil mit der Aufschrift Junge Alternative" beim Parteitag der AfD in Essen.

Experten für Rechtsextremismus bewerten die AfD-Pläne zur Auflösung der Jugendorganisation Junge Alternative (JA) als „Nebelkerze“. Die AfD habe eine berechtigte Angst vor dem Verbot ihrer gesichert rechtsextremen Parteijugend, sagte Dominik Schumacher vom Verband Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus am Dienstag. Dem wolle sie mit dem Vorstoß zuvorkommen.

Der Parteivorstand der AfD hatte sich am Montag für eine Satzungsänderung ausgesprochen. Demnach soll ein neuer Jugendverband nach dem Vorbild der Jusos die JA ersetzen: AfD-Mitglieder wären dann automatisch zu Mitgliedern der Nachwuchsorganisation, wenn sie zwischen 16 und 35 Jahre alt sind – umgekehrt wären dann alle Mitglieder der Jugendorganisation in der AfD. Die JA ist derzeit „offizielle Jugendorganisation“ der AfD, aber als eigenständiger Verein relativ unabhängig. Die Mutterpartei hat keine Kontrolle über Finanzen, Ausrichtung sowie Aufnahme und Ausschluss von Mitgliedern. Nach Angaben der JA ist nur die Hälfte der Mitglieder in der AfD. 

AfD habe Angst vor eigenem Parteiverbot

Die Umbau-Pläne zeigten, „dass die AfD Angst vor ihrem eigenen Parteiverbot hat und dem den Wind aus den Segeln nehmen will“, sagte Schumacher. Eine neue Gruppierung, die stärker an die Mutterpartei angebunden ist, würde der AfD mehr Kontrolle verschaffen – und ließe sich nicht mehr so leicht verbieten. Ein neuer Rechtsstatus würde aber nichts an der Schlagkraft des rechtsextremen Nachwuchses ändern. „Die Aktiven von heute werden auch die Aktiven von morgen sein", sagte Schumacher. „Die Junge Alternative ist nicht das Rechtsextremismus-Problem der AfD, das ist die AfD selbst.“

Am Nachmittag äußerte sich auch Rolf Mützenich zu den Plänen der AfD. „Organisationsfragen der AfD interessieren mich grundsätzlich nicht", sagte der SPD-Fraktionschef. „Was mich interessiert, ist, dass die AfD offensichtlich auf einem Weg in den Rechtsextremismus ist." Er bedaure die Entscheidung von Ex-Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang, in die Politik zu wechseln. Dadurch würden mögliche neue Erkenntnisse über die AfD in dieser Legislatur nicht mehr mit dem Bundestag geteilt. Das Bundesverfassungsgericht beobachtet die AfD, um zu prüfen, ob sie verfassungsfeindlich ist. „Das wirft uns in der Frage für ein AfD-Verbot zurück", so Mützenich.

Dominik Schumacher, Mobile Berater gegen Rechtsextremismus, informierte am Dienstag gemeinsam mit anderen Experten über die wachsende Vernetzung der AfD in der rechtsextremen Szene. 2024 hätten die rund 50 Beratungsstellen des Dachverbands so viele Anfragen wie nie gehabt, sagte Schumacher. Die AfD habe bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg große Erfolge eingefahren, gleichzeitig hätten demokratische Parteien teilweise inhaltlich und sprachlich die Forderungen der Rechtsextremen übernommen, etwa beim Asylrecht. „Die extreme Rechte ist in der Offensive", sagte Schumacher. Daran hätten auch die Demokratie-Proteste zu Jahresbeginn nicht viel geändert. „Die Proteste haben gezeigt, das demokratische Potenzial ist gewaltig, aber braucht Unterstützung aus der Politik."

Konservative für Kampf gegen Rechtsextremismus mobilisieren

Der Extremismus-Forscher Oliver Decker von der Universität Leipzig teilt diesen Eindruck. Gemeinsam mit anderen veröffentlicht er seit 2002 Studien zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland. Seit Beginn der Erhebung seien noch nie so viele Menschen demokratiefeindlich gewesen wie jetzt, sagte er am Dienstag. Im Westen Deutschlands habe die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen deutlich zugenommen und nähere sich den Einstellungen im Osten an. Unter AfD-Wähler*innen seien 60 Prozent ausländerfeindlich. 

Unter jüngeren Menschen gebe es heute mehr Vorbehalte und Abneigungen als bei den älteren Generationen. Im Westen Deutschlands seien unter 30-Jährige eher antisemitisch, im Osten teile diese Altersgruppe vor allem den Wunsch nach einem stärkeren Deutschland. „Mir fehlt die politische und ernsthafte Auseinandersetzung mit den Ursachen der Politik“, kritisierte Decker. Auch ein AfD-Verbot könne die Ursachen für diese Entwicklung nicht beheben. Gleichzeitig appellierte er daran, nicht nur Menschen aus dem Mitte-Links-Spektrum, sondern auch Konservative für den Kampf gegen Rechtsextremismus zu mobilisieren.

„Wer sich für Demokratie einsetzt, wird alleine gelassen“

Die Experten warnten vor der finanziell instabilen Situation vieler Demokratie-Initiativen. „Wer sich für Demokratie einsetzt, wird alleine gelassen“, sagte Decker. Hunderte Kollegen wüssten nicht, ob sie 2025 weiterarbeiten können, berichtete Schumacher aus den Mobilen Beratungsstellen, die beim Umgang mit Rechtsextremismus unterstützen und Fortbildungen anbieten. Die Politik müsse die Finanzierung endlich durch gesetzliche Grundlagen dauerhaft sichern und nicht auf einzelne Projekte reduzieren. Zivilgesellschaftliche Initiativen auszudünnen sei erklärtes Ziel der AfD. 

Sylvia Spehr berichtete aus der thüringischen Stadt Nordhausen, in der 2023 ein breites Bündnis dazu beitrug, einen Oberbürgermeister der AfD zu verhindern. Die guten Ergebnisse der AfD in den Thüringer Kommunalwahlen und Landtagswahlen in 2024 seien ernüchternd gewesen, sagte sie. Auch in Nordhausen zog die AfD mit vielen Sitzen in Kreistag und Stadtrat ein. „Wir werden nicht leiser werden“, sagte Spehr für das „Bündnis Nordhausen“. „Am Ende wird Demokratie stärker sein als ihre Feinde.“ 

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1 Kommentar

Gespeichert von Irmela Mensah-… (nicht überprüft) am Mi., 04.12.2024 - 13:17

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Nicht nur das, man wird auch gern dafür kriminalisiert. Das interessiert auch die SPD nicht.
'Demokratie stärken' geht nun mal nicht mit Symbolik und abstrakten Statements!
Gern habe ich Jahrzehnte auch ohne staatliche Hilfe allein gestaltet und finanziert - mit Erfolg.
Reaktionen waren reine Lippenbekenntnisse!