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Ende des Afghanistan-Untersuchungsausschusses: „Das setzt uns unter Druck“

Durch das Ampel-Aus endet auch die Arbeit des Untersuchungsausschusses zum Afghanistan-Abzug eher als geplant. In dieser Woche wird mit Angela Merkel die letzte Zeugin vernommen. Im Interview sagt der Ausschuss-Vorsitzende Ralf Stegner, welche Lehren er aus der Aufarbeitung zieht, auch persönlich.

von Kai Doering · 3. Dezember 2024
Vorsitzender des Afghanistan-Untersuchungsausschusses Ralf Stegner: Wir haben zweieinhalb Jahre hart gearbeitet.

Vorsitzender des Afghanistan-Untersuchungsausschusses Ralf Stegner: Wir haben zweieinhalb Jahre hart gearbeitet.

Mit der vorgezogenen Neuwahl am 23. Februar endet auch der Untersuchungsausschuss zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, den Sie leiten, früher. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Dieses frühere Ende setzt uns natürlich ein bisschen unter Druck, weil wir unbedingt den Auftrag des Bundestages erfüllen wollen. Der Afghanistan-Einsatz ist der größte, längste und teuerste Einsatz von Soldatinnen und Soldaten in der Geschichte der Bundesrepublik, aber auch von zivilem Personal, Polizisten wie auch der Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben jetzt zweieinhalb Jahre hart gearbeitet. Wir haben tausende von Akten gesehen und viele Zeugen sowie Sachverständige gehört. Die Zeugenbefragungen werden wir in der ersten Dezemberwoche mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel abschließen. Damit endet dann am 5. Dezember die Beweisaufnahme und dann werden die Berichte geschrieben.

Wie werden die aussehen?

Es gibt einen Methodenteil, es gibt einen Feststellungsteil und üblicherweise gibt es dann einen Bewertungsteil, bei dem die Fraktionen zusammenarbeiten. Aufgrund der verkürzten Zeit wird dieser letzte Teil nun aber von jeder Fraktion einzeln aufgeschrieben. Das beschleunigt alles ein bisschen. Damit gibt es dann im letzten Teil zwar keinen gemeinsamen Bericht, sondern die Position der jeweiligen Fraktionen, aber das ist für den Leser gar nicht so schlecht, weil damit Unterschiede in der Bewertung deutlich werden. Insgesamt herrscht aber ohnehin recht große Einigikeit. Das Thema eignet sich auch nicht für parteipolitische Spielchen. Der Plan ist, dass wir unseren Bericht der Bundestagspräsidentin auf jeden Fall noch vor der Wahl übergeben, damit wir über den Bericht auch noch im Plenum debattieren können. In der Bundespressekonferenz soll es zudem noch eine öffentliche Vorstellung des Berichts geben.

Ralf
Stegner

Alles ist auf den Tisch gekommen und wird von uns bewertet.

Es werden also keine Aspekte wegfallen durch die verkürzte Beratungszeit?

Nein. Alles ist auf den Tisch gekommen und wird von uns bewertet. Zusätzlich gibt es ja auch noch die Enquete-Kommission, die den gesamten Afghanistan-Einsatz bewertet. Das Einzige, was es am Ende des Untersuchungsausschusses nicht geben wird, ist die gemeinsame Bewertung aller Fraktionen, aber das finde ich, wie gesagt, nicht problematisch. Was man in diesem Zusammenhang auch mal sagen muss: Dieser Untersuchungsausschuss fordert die Bundestagsverwaltung und auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen gewaltig. Durch die Verkürzung der Legislatur nimmt der Druck noch mal zu. Das ist schon beachtlich, was sie gerade leisten.

Im Zwischenbericht des Untersuchungsausschusses vor ziemlich genau einem Jahr haben Sie den „Ressort-Egoismus“ der am Abzug beteiligten Ministerien kritisiert, dass also jedes Haus nur seinen eigenen Bereich im Blick gehabt hätte. Hat sich dieser Eindruck bestätigt?

Ja. Dass die Sichtweise der verschiedenen Ressorts unterschiedlich ist, ist normal und selbstverständlich, aber leider scheint es nicht gelungen zu sein, sie zu einem gemeinsamen Bild der Lage zusammenzufügen. Eine Konsequenz war, dass sehr lange über die Frage von Visa-Erleichterungen für Ortskräfte gestritten wurde, da die Einschätzung der Sicherheitslage in den einzelnen Ministerien sehr unterschiedlich war. Das war sicher ein Versäumnis, das es nicht hätte geben dürfen. Eine weitere Erkenntnis ist, dass wir auch nach 20 Jahren in Afghanistan noch immer zu wenig über das Land wussten. Das hat dazu geführt, dass jeder vor sich hingearbeitet hat, zum Teil mit entgegengesetztem Ziel. Dadurch kam es auch zu Missverständnissen, sodass u.a. die Widerstandsfähigkeit des Landes gegenüber den Taliban über- und Korruptionsfragen unterschätzt wurden. Zum Teil hat leider auch Wunschdenken die tatsächliche Informationslage durch die Nachrichtendienste überlagert.

Welche Fehler wurden in Deutschland gemacht?

Zum Teil lässt sich das gar nicht so trennscharf unterscheiden. Etwas, das mich sehr bekümmert, ist aber die Tatsache, dass es in Deutschland eine gewisse Tradition gibt, dass wir, wenn wir zwischen Humanität und Bürokratie zu entscheiden haben, der Bürokratie den Vorzug geben. Das war auch in Bezug auf Afghanistan häufig so und das unterscheidet uns in unguter Weise von anderen Ländern.

Ein großer Streitpunkt ist bis heute der Umgang mit den afghanischen Ortskräften, von denen viele nur schleppend oder erst gar keine Visa erhalten haben, um nach Deutschland zu kommen. Welche Erkenntnis hat der Untersuchungsausschuss hier gewonnen?

In der Bundesregierung gab es ein Leitbild für die Ortskräfte. Nun sind die Ortskräfte sehr verschieden, aber dass aus ihrer Tätigkeit für Deutschland eine Fürsorgepflicht erwächst, ist allen bewusst. Leider war sie aber nicht immer Maxime des politischen Handelns. Hier kommt wieder die Bürokratie ins Spiel. Wenn Menschen, die ein Visum beantragen wollen, in einer Extremsituation, wie sie 2021 in Afghanistan herrschte, behandelt werden, als wären sie bei Einwohnermeldeamt einer Stadt in Deutschland, geht das an der Wirklichkeit vorbei. Da wären mehr Flexibilität und gesunder Menschenverstand angebracht gewesen. Wobei ich auch sagen muss, dass sich in einer solchen Situation auch zeigt, wer bereit ist, von den strikten Vorschriften abzuweichen und pragmatisch zu handeln. Auch solche Fälle hat es gegeben. Daraus lassen sich für die künftige Personalpolitik wichtige Schlüsse ziehen.

Ralf
Stegner

Eine wichtige Schlussfolgerung ist sicher die Frage, in welchem Maße sich die Bundeswehr eigentlich überhaupt anderswo engagieren soll.

Der frühere Verteidigungsminister Peter Struck hat ja mal gesagt, Deutschlands Freiheit werde auch am Hindukusch verteidigt. Durch Russlands Krieg in der Ukraine hat sich die Ausrichtung der Bundeswehr verändert. Welche Lehren lassen sich aus dem Afghanistan-Einsatz für die neuen Aufgaben ziehen?

Eine wichtige Schlussfolgerung ist sicher die Frage, in welchem Maße sich die Bundeswehr eigentlich überhaupt anderswo engagieren soll. Künftige Einsätze sollte der Bundestag, der letztlich das Mandat erteilen muss, immer vom Ende her denken und sich überlegen, ob die Ziele, die man sich mit einem solchen Einsatz setzt, militärisch zu erreichen sind. Die zweite Frage, die sich ergibt, ist die, was wir machen, wenn etwas schiefläuft und wir im großen Stil Menschen evakuieren müssen. Da lassen sich aus dem Afghanistan-Einsatz eine Menge wichtige Schlüsse ziehen. Eine dritte wichtige Erkenntnis ist, dass die Bundeswehr bei aller Kritik, die geäußert wird, im Grunde schon sehr richtig funktioniert. Vieles funktioniert hier sogar deutlich besser als anderswo, weil es klare Zuständigkeiten und klare Befehlsketten gibt.

Gibt es etwas, das sie persönlich aus der Arbeit des Untersuchungsausschusses mitnehmen?

Oh ja, sehr viel. Am wichtigsten ist aber, dass mir durch die Arbeit der vergangenen Jahre noch mal sehr bewusst geworden ist, dass Soldaten, die wir per Parlamentsbeschluss in den Einsatz schicken, dort sterben können. Als Abgeordneter sollte man also immer genau die Konsequenzen bedenken, bevor man die Hand hebt. Ebenso wenig dürfen wir vergessen, wieviele Menschen über die Zeit in Afghanistan gestorben sind und wie stark das Land zerstört wurde. Auch deshalb hoffe ich, dass viele den Bericht des Untersuchungsausschusses und auch den der Enquete-Kommission lesen werden, denn manchmal habe ich in den Debatten über Krieg und Frieden den Eindruck, einige sehen das eher wie ein Computerspiel oder eine Social-Media-Geschichte. Es ist aber bitterer Ernst.

Der Afghanistan-Abzug der Bundeswehr

Nachdem die USA im Mai 2021 damit begonnen hatten, ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen, und die Sicherheit in die Hände der afghanischen Streitkräfte zu legen, eskalierte die Lage. Innerhalb weniger Wochen eroberten die Taliban große Teile des Landes zurück. Im August standen sie vor Kabul. Eine hektische Evakuierung von Botschaftsangehörigen und Ortskräften begann. Seit 2022 arbeitet ein Untersuchungsausschuss die Vorgänge auf.

Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan
Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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4 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Do., 05.12.2024 - 10:03

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In Sachen Ortskräfte kann ich der/den Bundesregierung/en nur menschliches Totalversagen attestieren. Der ganze Einsatz war von vorneherein absolut falsch. Deutschland wird weder im Hindukusch, noch om Sahel, am Dnepr oder anderswo verteidigt. Militärische Logik ist per se nicht logisch - sie nimmt keinerlei Rücksicht auf MenschenLEBEN. Eine Regierung, die sich von "Bündnispartnern" in militärische Abenteuer verstricken läßt will ich nicht haben.
Hirnschmalz ist gefragt wie wir das friedliche Zusammenleben auf der Erde organisieren (Klima, Hunger etc.) und es darf keine Resourcenverschwendung geben für Gedanken und Taten die MENSCHENLEBEN kosten.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 05.12.2024 - 16:46

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Stegner ist während seiner Arbeit im Afghanistan-Untersuchungsausschuss „sehr bewusst geworden, dass Soldaten... im Einsatz ... sterben können“ und fordert daraus, dass „Abgeordnete ... immer genau die Konsequenzen bedenken, bevor sie die Hand heben“. Löblich, zumal ich glaube, dass es bei Stegner nicht erst der Arbeit im Ausschuss bedurfte, um diese elementaren Voraussetzungen für verantwortliches Handeln zu praktizieren.
Tatsächlich lässt sich der Eindruck gar nicht verdrängen, dass es „in den Debatten über Krieg und Frieden“ im Bundestag bei (fast) allen Redner*innen der „demokratischen Parteien“ um geschickte Formulierung ihrer Gesinnungsethik geht, die auf Konsequenzen keine Rücksicht nehmen muss, keine Rücksicht nehmen kann, denn sie haben keinen gemeinsamen Wohnsitz. Ein solcher Satz ist z. B., „Russland muss verlieren lernen“. Gesinnungsethisch ist er völlig richtig und impliziert auch noch die folgende Bestrafung wegen seines Angriffskrieges.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 05.12.2024 - 16:48

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Verantwortungsethik muss aber bedenken, ob eine Atommacht auf eigenem Gebiet besiegt werden kann, darauf läuft nämlich die Forderung hinaus. Darf ethische Gesinnung das riskieren?

Ein lehrbuchhaftes Beispiel dafür, dass Gesinnungsethik ohne Verantwortungsethik in die Katastrophe führen kann, ist dieser Satz: „Eine starke, unabhängige Ukraine ist für die Stabilität des euro-atlantischen Raumes unerlässlich“ (Formuliert als Strategisches Konzept der NATO 2022, verfolgt aber seit 2000). Falls die Russische Föderation das gleiche strategische Konzept verfolgt, Nato und Russland aber keinen Ausgleich ihrer Strategie finden, führt es in die Katastrophe des Ukrainekrieges, wenn einer der Partner darum einen Krieg zu führen bereit ist.
Ist ethische Gesinnung wichtiger als Kriegsvermeidung?