Geschichte

„Kongokonferenz“ 1884: Startschuss für den deutschen Kolonialismus

Das Deutsche Reich startete erst spät in das Rennen um Kolonien. Ein Wendepunkt wurde die „Kongokonferenz“ im November 1884. Die SPD äußerte von Anfang an deutliche Kritik an den Plänen Bismarcks und des Kaisers.

von Klaus Wettig · 2. Dezember 2024
Auftakt für den deutschen Kolonialismus: Bei der „Kongokonferenz“ spielte Reichskanzler Bismarck (6.v.r.) geschickt die Interessen verschiedener Länder gegeneinander aus.

Auftakt für den deutschen Kolonialismus: Bei der „Kongokonferenz“ spielte Reichskanzler Bismarck (6.v.r.) geschickt die Interessen verschiedener Länder gegeneinander aus.

Mitte des 19. Jahrhunderts war die Situation angespannt. Die Handelshäuser in den historischen Hansestädten Bremen, Danzig, Hamburg, Königsberg und Lübeck sahen schon länger mit Interesse auf die Profitraten, die sich mit „Kolonialwaren“ erwirtschaften ließen. Sie rangierten in der Kette erst an zweiter Stelle, mussten von den Handelshäusern der Kolonialmächte die geschätzten Produkte, vor allem Kaffee, Kakao, Tee, Zucker und Gewürze übernehmen, besaßen aber keinen direkten, geschützten Zugang zu Märkten in Afrika, Asien, Mittel- und Lateinamerika.

Nur Preußen hatte einen unzulänglichen Versuch auf dem Weg zur Kolonie unternommen, der mangels ökonomischer und militärischer Ressourcen für die Sicherung der afrikanischen Kolonie jedoch bald beendet wurde.

Wirtschaftliche Interessen im Vordergrund

Mit der anwachsenden ökonomischen Bedeutung der Kolonien für Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Portugal und Spanien, schließlich auch des neu gebildeten Belgiens, wuchs auch das Interesse im wirtschaftlich interessierten deutschen Bürgertum, sodass die deutsche Nationalbewegung die Forderung nach Kolonien in ihrem Programm hatte. Das wirtschaftliche Interesse verbrämte die Formel, dass man sich als Zivilisationsbringer sah und entschieden den Sklavenhandel ablehnte.

Der Wunsch nach einem deutschen Kolonialreich schien sich zu erfüllen, als mit der Bildung des Kaiserreichs 1871 ein handlungsfähiger Akteur entstand, der in seiner offiziellen Politik zwar Distanz gegenüber Kolonien hielt, aber die Aktivitäten der Handelshäuser und Schifffahrtunternehmer auch nicht unterband. Reichskanzler Otto von Bismarck war offiziell gegen Kolonien, aber die Ministerien seiner Regierung begleiteten die privaten Interessen großzügig. Diese bildeten Abenteurer aus, manche tarnten sich mit Forschungsinteressen, finanzierten ihre Privatarmeen, versuchten freie Plätze für wirtschaftlichen Interessen in Afrika zu finden.

Schachern um die Kolonien in Afrika

Nachdem sich Mittel- und Lateinamerika in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert weitgehend von den portugiesischen, spanischen und niederländischen Kolonialherren befreit hatten und Asien fest in der Hand der Briten, Niederländer und Portugiesen war, stand die Aufteilung Afrikas auf der Tagesordnung. Diese Chance nutzte Reichskanzler Otto von Bismarck, indem er mit der Berliner „Kongokonferenz“ im November 1884 das Schachern um Kolonien in Afrika rationalisierte und entgegen seiner bisherigen Politik deutsche Interessen durchsetzte. 

Der Konferenz-Moderator Bismarck bewegte sich geschickt zwischen den britischen und französischen Interessen, respektierte auch die zunächst private Kolonie des belgischen Königs Leopold II. im Kongobecken, und sicherte dabei die entstehenden deutschen Kolonien, die zunächst nur auf Flagenhissungen und Schutzabkommen beruhten. Erst in weiteren Schritten mussten die Kolonien militärisch gesichert werden. Die Handelsniederlassungen, Wirtschaftsbetriebe und Siedler verlangten nach Schutz, denn schon bald prallten deren Interessen auf die Interessen der Einheimischen. Nun kam der Reichstag ins Spiel, da die Finanzierung der Kolonialpolitik aus dem Reichshaushalt erfolgen musste.

Die Sozialdemokratie geht auf Distanz

Während die konservativ-bürgerliche Mehrheit des Reichstages die startende Kolonialpolitik des Kaiserreichs begrüßte, ging die kleine sozialdemokratische Fraktion auf Distanz. Trotz des seit 1878 geltenden Sozialistengesetzes, das die junge Partei mit Ausnahme der Wahlzeiten schwer behinderte, verdoppelte sie 1884 ihre Abgeordneten gegenüber der Reichstagswahl 1881 auf 24 Mandate. Sie waren immer noch eine kleine Fraktion, aber sie konnten Kritik an der Kolonialpolitik vortragen.

Der Parteivorsitzende August Bebel formulierte die erste grundsätzliche Kritik:
„Die ganze Kolonialpolitik ist ein durchaus verfehltes kostspieliges Unternehmen, von dem weder die deutsche Industrie noch der deutsche Handel noch die deutsche Kultur einen entsprechenden Vorteil hat. Ein Unternehmen, das nur dazu dient, immer größere Marineforderungen zu rechtfertigen und das geeignet ist, uns in zwecklose und kostspielige internationale Verwicklungen zu stürzen.“

An dieser Kritik hielt die Sozialdemokratie in den folgenden Jahrzehnten fest und verschärfte sie, nachdem zunehmend brutale Übergriffe der deutschen Kolonialbehörden bekannt wurden. Immer wieder griff sie die Reichsregierung an, wenn lokale Aufstände blutig niedergeschlagen wurden. Schließlich zahlte sie für unbeugsame Ablehnung des militärischen Vorgehens gegen den Herero-Nama-Aufstand in Südwestafrika in der Reichstagswahl 1907 einen hohen Preis, als sie die Hälfte ihrer Parlamentsmandate verlor. In einem mit nationalistischen Parolen geführten Wahlkampf verbündeten sich „Konservative“ und „Liberale“ zu einem Wahlbündnis, das der SPD viele Wahlkreise kostete. 1912, fünf Jahre später glich die SPD diese Niederlage aus und wurde erstmals stärkste Fraktion im Reichstag

Autor*in
Klaus Wettig

war von 1975 bis 1976 Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Als Mitglied des Europäischen Parlamentes war er Vorsitzender des Ausschusses für den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Di., 03.12.2024 - 11:09

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Kurbrandenburg (hier "Preußen", denn das war damals noch polnisch, genannt) unterhielt die Festung Großfriedrichsburg im heutigen Ghana von 1683 bis 1717 und diese Festung diente hauptsächlich der Beteiligung am Sklavenhandel (das sollte ehrlicherweise so gesagt werden).
Auch der Abgeordnete Noske war in Opposition zur Einstellung der Kolonialfrage in der SPD.
Und was waren und sind das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan, im Sahel oder gar am Dnepr ? Soll mir keiner erzählen dort würde Deutschland verteidigt.