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Neue EU-Kommission steht: Worauf sich das Europaparlament geeinigt hat

Die Fraktionsspitzen im Europaparlament haben sich auf die Zusammensetzung der neuen EU-Kommission geeinigt. Sie kann nun in der kommenden Woche bestätigt werden. Zwei Posten stehen jedoch weiter stark in der Kritik.

von Kai Doering · 21. November 2024
Ein erstes Gruppenfoto gab es schon im September. Nach der Einigung mit dem Parlament soll die neue EU-Kommission Ende November bestätigt werden.

Ein erstes Gruppenfoto gab es schon im September. Nach der Einigung mit dem Parlament soll die neue EU-Kommission Ende November bestätigt werden.

Als Ursula von der Leyen im Juli vom Europaparlament zum zweiten Mal zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt wurde, war das Ergebnis deutlich. 401 von 707 Abgeordneten stimmten für die CDU-Politikerin. Sie wurde von den Fraktionen der konservativen EVP, der sozialdemokratischen S&D, den Liberalen „Renew Europe“ sowie den Grünen unterstützt. Danach aber hörte die Einigkeit auf. Erst musste von der Leyen die Vorstellung ihrer Kommissar*innen für die neue Kommission verschieben. Dann entzündete sich an einzelnen Personen ein Streit.

„Eine Situation, die die Stabilität der Europäischen Union gefährdet hat“

Der wurde am Mittwochabend beigelegt. EVP, S&D sowie „Renew Europe“ einigten sich auf eine „Paketlösung“. So gaben Sozialdemokraten und Liberale ihren Widerstand gegen die Kandidaturen des Italieners Raffaele Fitto als geschäftsführender Vize-Kommissionspräsident sowie des Ungarn Oliver Varhelyi als Kommissar für Gesundheit und Tierschutz auf. Im Gegenzug will die EVP die Kandidatur der Spanierin Teresa Ribera als Kommissionsvizepräsidentin unterstützen. Außerdem ist sie bereit, eine Kooperationsvereinbarung mit der S&D-Fraktion sowie den Liberalen zu unterzeichnen. Diese soll den Einfluss rechtsextremer Kräfte eindämmen.

„Wir haben geschafft, was vor Tagen noch unmöglich schien: Alle drei politischen Kräfte haben einen schriftlichen Kompromiss unterzeichnet, um in den nächsten fünf Jahren verantwortungsvoll zu arbeiten, um aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu bewältigen und die EU-Agenda mit einem konstruktiven Ansatz voranzutreiben“, zeigte sich die Vorsitzende der S&D-Fraktion, die Spanierin Iratxe García, erleichtert. „Diese Einigung löst eine Situation, die die Stabilität der Europäischen Union gefährdet hat.“

„Wir begrenzen den Schaden, den Orban in der EU anrichten kann deutlich“

Aus der deutschen Gruppe kommen dagegen verhaltene Töne. „Es gibt eine Einigung zur neuen EU-Kommission, aber Freude kommt nicht auf“, schrieb der SPD-Abgehordnete Tiemo Wölken am Donnerstag auf X. „Manfred Weber wollte Orbans Kommissar Varhelyi und den italienischen-Post-Faschisten Fitto schützen und hat dafür die Kommission als Geisel genommen“, kritisierte er den EVP-Vorsitzenden. Die Benennung von Raffaele Fitto für eine Schlüsselposition der EU-Kommission steht seit Wochen in der Kritik, weil er Giorgia Melonis ultrarechter Partei Fratelli d’Italia angehört. Der parteilose Varhelyi gilt als Vertrauter des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und hatte schon in der vorangegangen Legislatur als Kommissar das Europaparlament provoziert.

„Varhelyi ist und bleibt als Orban-Vertrauter alles andere als ein Wunschkandidat. Aufgrund von Orbans Vorschlagsrecht kann ein ungarischen Rechtspopulisten als Kommissar aber nicht verhindert werden“, schrieb Tiemo Wölken am Donnerstag auf X. „Wir begrenzen den Schaden, den Orban in der EU anrichten kann aber deutlich.“ So wird Varhelyi nicht mehr für die Vorbereitung der EU auf Gesundheitskrisen und Medizinengpässe zuständig sein.

„Das werden harte fünf Jahre“

Trotzdem bleibe die Situation besorgniserregend. Schwere Vorwürfe erhebt Tiemo Wölken deshalb gegenüber dem Vorsitzenden der EVP-Fraktion Manfred Weber und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Der Schaden, den Weber und von der Leyen mit dem Abriss der Brandmauer angerichtet haben, ist groß. Sie bauen offen Mehrheiten mit Rechtsextremen und sabotieren jetzt schon Umwelt- und Sozialstandards.“ Damit verweist Wölken auf eine Abstimmung im Europaparlament in der vergangenen Woche. Da hatte die EVP-Fraktion gemeinsam mit den rechten und rechtsextremen Fraktionen einen Gesetzentwurf für einen besseren Schutz des Regenwalds gestoppt. „Das werden harte fünf Jahre“, ist Wölken deshalb sicher.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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8 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 22.11.2024 - 11:34

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Als solcher wurde/wird er aufgebaut, ebenso wie Frau Meloni. Auch wenn ich keine Sympathie für die Hege meine ich doch, dass die Frau Kaya Kallas gefährlicher ist für die EU und den Weltfrieden.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Sa., 23.11.2024 - 18:25

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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Unterstützt wird Kaja Kallas (Estland) von Andrius Kubilius (Litauen). Beide vertreten etwa 4,3 Mio. Bürger, also nur wenig mehr, als Sachsen Einwohner zählt. Dennoch stellt das Baltikum zwei Vertreter:innen in der Kommission. Beide sind keine Russlandfreunde, um es mal sehr, sehr zurückhaltend zu formulieren. Beide passen darum gut zum Parlament, in dem kürzlich selbst Martin Schirdewan (Die Linke) ausführlich – teilweise traute ich meinen Ohren nicht - die notwendige militärische, humanitäre und politische Hilfe für die Ukraine aufrief, und nur in den letzten zwei Sätzen auch eine Friedensinitiative der EU einforderte – er immerhin tat es. Von der auch für die deutsche SPD sprechenden Spanierin hörte ich nicht einmal das. Dagegen will die große Mehrheit des EU-Parlaments, dass Deutschland Taurus an die Ukraine liefert, die den Krieg weit nach Russland tragen, aber ohne deutsche Soldaten nicht bedient werden kann, wie Kanzler Scholz weiß.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mo., 25.11.2024 - 13:36

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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Deutsche Soldaten sind, so war bisher die rote Linie, vom Völkerrecht nicht als Unterstützung der Ukraine erlaubt, ohne uns selbst zur Kriegspartei zu machen. Und dass die Russische Föderation vielleicht doch noch andere Waffen aus ihren Arsenalen holt, weil sie sich nicht auf eigenem Territorium besiegen lassen will, ist nur „Teil von Putins psychologischer Kriegsführung“, die, wie der KGB-Mann weiß, gut bei den „verweichlichten Jammerlappen“ im Westen ankommt (WAZ, 23.11.24). Wir wissen doch, „Putin versteht nur eine Sprache – die der Stärke“. Und wenn z. B. China Mäßigung einfordert, dann kann es doch nur Putin meinen. So hören wir es von allen unseren Wortgewaltigen – auch von denen der EU-Kommission und im EU-Parlament, deren politischer Schwerpunkt sich deutlich nach Osten verschoben hat.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mo., 25.11.2024 - 17:21

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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Tatsächlich stehen wir vor einem Dilemma: (Vordergründig) Moralisch (und nach Völkerrecht) dürften wir die Russische Föderation hart für ihren Angriffskrieg bestrafen. Ob wir aber moralisch (und völkerrechtlich) auf der richtigen Seite stehen, wenn wir damit einem Krieg den Weg bereiten, gegen den das Gemetzel in der Ukraine eher einem (privaten) Nachbarschaftsstreit um eine Grenzfrage gleicht, darf dann doch wohl bezweifelt werden. Aber genau darauf läuft es hinaus, wenn wir nicht schnell Vernunft annehmen. Es ist höchste Zeit, dass die EU (und die Nato) einen Friedensvorschlag macht, der das Konfliktfeld, das zum Krieg geführt hat, auflöst. Die Ukraine wollte das schon mal im März/ April 2022, die Nato auf ihrem Sondergipfel im April 2022 aber nicht.

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Sa., 23.11.2024 - 09:21

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Es ist doch seit Jahren bekannt, dass Weber ebenso wie v.d. Leyen mit den Rechten und Leuten wie Orban zusammenarbeitet. Deshalb traue ich dem "Kooperationsangebot" von Weber nicht.

Ich hatte bereits René Repasi in dieser Frage angeschrieben, aber keine Antwort erhalten.