International

Nach von der Leyens Wiederwahl: Wie es in Europa weitergeht

Bereits knapp sechs Wochen nach der Europawahl ist klar: Ursula von der Leyen bleibt auch in den kommenden fünf Jahren EU-Kommissionspräsidentin. Damit kann die inhaltliche Arbeit beginnen. Wie ihre Kommission aussehen wird, ist jedoch noch völlig offen.

von Jonas Jordan · 19. Juli 2024
Ursula von der Leyen bleibt weitere fünf Jahre EU-Kommissionspräsidentin. Die Besetzung ihres Kabinetts ist noch unklar.

Ursula von der Leyen bleibt weitere fünf Jahre EU-Kommissionspräsidentin. Die Besetzung ihres Kabinetts ist noch unklar.

Am Donnerstag hatte Ursula von der Leyen Gewissheit. Die 65-jährige CDU-Politikerin darf als EU-Kommissionspräsidentin bis 2029 weitermachen. In geheimer Wahl erhielt sie im Europaparlament 401 Stimmen, 361 wären notwendig gewesen. Ihre erste Wahl vor fünf Jahren war noch deutlich knapper ausgefallen, damals erhielt von der Leyen nur neun Stimmen mehr als notwendig. Bei ihrer Wiederwahl konnte sich von der Leyen vor allem auf die Stimmen ihrer eigenen konservativen EVP-Fraktion sowie auf die von Sozialdemokrat*innen, Grünen und Liberalen stützen, wobei die FDP geschlossen gegen von der Leyen stimmte.

Warum die SPD von der Leyen diesmal gewählt hat

Die 14 SPD-Abgeordneten im Europaparlament hatten vorab angekündigt, anders als 2019 für von der Leyen stimmen zu wollen. Das hängt zum einen damit zusammen, dass sie diesmal bei der Europawahl auch als Spitzenkandidatin der europäischen Konservativen ins Rennen gegangen war, zum anderen ging von der Leyen auch auf inhaltliche Forderungen aus der S&D-Fraktion ein. So berichtete es René Repasi, Sprecher der SPD-Abgeordneten im Europaparlament, während eines Pressegespräches am Donnerstagmorgen.

„Die S&D-Fraktion ist die einzige, die einen Brief von Frau von der Leyen bekommen hat“, sagte Repasi. Darin sei die Wohnungsbaupolitik, zentrales Thema der Sozialdemokrat*innen, angesprochen worden. Repasi machte vor der Wahl auch unmissverständlich klar: „Sollte von der Leyen scheitern, wird kein anderer EVP-Kandidat unsere Unterstützung bekommen.“ Doch diese Frage stellte sich letztlich nicht. Kritisch äußerte sich Repasi dazu, dass es nicht gelungen sei, vor ihrer Wahl eine schriftliche inhaltliche Vereinbarungen mit von der Leyen zu treffen. „Es wäre gut, wenn man eine Form von Abmachung hinbekommen hätte.“

Kritik an Ausnahme für E-Fuels

Die alte und neue Kommissionspräsidentin habe hingegen argumentiert, dass ihre Guidelines, die sie erst wenige Stunden vor der Abstimmung veröffentlicht hatte, als Grundlage für die inhaltliche Zusammenarbeit in den kommenden Jahren dienen könnten. Zu den Schlüsselinitiativen gehören ein neuer „Clean Industrial Deal“, um die Dekarbonisierung und das industrielle Wachstum voranzutreiben, sowie ein Europäischer Wettbewerbsfonds, um Innovationen zu fördern.

Für Kritik sorgte jedoch von der Leyens Ankündigung, das Verbrenner-Aus bis 2035 aufzuweichen und eine Ausnahme für E-Fuels zu schaffen. Die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt sprach von einem großen Fehler. „Das wird für Verbraucherinnen teuer werden und verunsichert den Markt“, kritisierte sie.

Wie sieht die künftige EU-Kommision aus?

Mit Spannung erwartet wird nun die Besetzung der neuen EU-Kommission. Durch die Wahl zahlreicher rechtsgerichteter nationaler Regierungen in Staaten wie Finnland, Schweden, der Niederlande, Luxemburg oder Portugal dürfte auch die Kommission politisch stärker nach rechts rücken. Die nationalen Regierungen machen Vorschläge für Komissar*innen, die dann vom Europaparlament bestätigt werden müssen.

 Eine zentrale Forderung der S&D-Fraktion ist nicht nur deshalb, dass Nicolas Schmit, sozialdemokratischer Spitzenkandidat bei der Europawahl, einen wichtigen Posten in der künftigen Kommission bekommen soll. Das Problem: Schmit ist Luxemburger, deren konservative nationale Regierung eigentlich den konservativen Politiker Christophe Hansen als Kommissar nominiert hat.

René 
Repasi

Es braucht jemanden, der Autorität in der sozialdemokratischen Fraktion hat. Deswegen kann ich ihr nur wärmstens ans Herz legen, Nicolas Schmit mit einer starken Position in der Kommission auszustatten. Das wird ihr helfen, Mehrheiten im Parlament zu bekommen.

Bereits jetzt ist klar, dass es künftig einen eigenen EU-Kommissarsposten für Wohnungswesen geben soll, um die Wohnungskrise in Europa anzugehen. Damit ging Ursula von der Leyen auf eine zentrale sozialdemokratische Forderung ein. Auch schlug die Kommissionspräsidentin vor, den neuen Posten eines Kommissars für Verteidigung zu schaffen, um die Europäische Verteidigungsunion voranzutreiben. 

Wer diesen besetzen wird, ist noch unklar. Klar ist hingegen, dass Maroš Šefčovič auch künftig der Kommission angehören soll. Der Slowake war bislang Vizepräsident der Kommission, gehört ihr schon seit 2009 an und wurde nun von der linksnationalistischen Smer-Regierung in seinem Heimatland erneut nominiert. „Er ist kein Smer-Mitglied, sondern unabhängig. Es gibt keinen Zweifel daran, dass er ein ordentlicher Sozialdemokrat ist“, machte Repasi deutlich.

Barley könnte Parlamentspräsidentin werden

Schon zu Wochenbeginn wurde die maltesische Konservative Roberta Metsola als Präsidentin des Europaparlaments wiedergewählt. Ihre Amtszeit wird jedoch aller Voraussicht nach in zweieinhalb Jahren enden. Denn René Repasi berichtet von einer Absprache zwischen der EVP- und der S&D-Fraktion, die Parlamentspräsidentschaft aufzuteilen. Das war auch schon in früheren Zeiten so.

„Wer für die S&D der Kandidat oder die Kandidatin ist, beschließen wir, wenn es so weit ist“, sagte er. In Frage käme beispielsweise jemand vom italienischen Partito Democratico oder auch die deutsche Vizepräsidentin Katarina Barley, die innerhalb der S&D-Fraktion für diesen Posten vergangene Woche mit dem besten Ergebnis nominiert worden war.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

Weitere interessante Rubriken entdecken

3 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 19.07.2024 - 13:56

Permalink

Wie groß war das Gezeter gegen vdL vor der Wahl ?
Das ist hier in dieser Publikation nachzulesen.
Und nun ?
Was haben die SPD Abgeordneten getan ?
Wie lautet das Urteil eines Luxemburger Gericht wegen der Vaccin-Deals gegen diese Frau ?
Schande !!!!!!
Kann mir irgendeiner der Redaktöreundinnen, sowie der SPD Oberen, erklären wie man den Wählern die Glaubwürdigkeit der SPD nahe bringen kann ?
Wieder 1 Punkt für die afd ?

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Fr., 19.07.2024 - 19:15

Permalink

„Ursula von der Leyen bleibt ... EU-Kommissionspräsidentin. Damit kann die inhaltliche Arbeit beginnen.“ Auf die kann man gespannt sein, denn v. d. Leyen ging „auch auf inhaltliche Forderungen aus der S&D-Fraktion“ ein. Nach denen habe ich im Text gesucht und – wohlwollend - drei gefunden: „Wohnungsbaupolitik“, „Verbrenneraus... aufweichen“ und „Europäische Verteidigungsunion vorantreiben“. Was sich dahinter genau verbirgt, behält der Text für sich. Hätte sich zu erläutern wohl auch nicht gelohnt, denn „eine Form von Abmachung“ inhaltlicher Art mit v. d. Leyen hatte „man nicht hinbekommen“. Folglich bietet der Vorwärts statt Inhalten Posten, soweit sie mit zweifelsfrei „ordentlichen Sozialdemokraten“ besetzt werden, z. B. mit Frau Barley.

Ich weiß allmählich nicht mehr, welchen Sinn das Lesen des Vorwärts noch haben könnte. „Worum es beim Treffen in Washington geht“, deutet der Vorwärts (8.7.) an, was aber beim „Jubiläums-Gipfel der NATO“ herausgekommen ist, ist ihm keine Zeile wert. Die „hochrangige Konferenz zum Frieden in der Ukraine“ in der Schweiz (15./16.6) würdigt er nicht einmal mit einer Ankündigung. „Ungarn, Russland, China: Harsche Reaktionen auf Mission“ von der EU (Spiegel 9.7.) - Orbans Friedensmission hat im Vorwärts gar nicht stattgefunden. Und auch die Resolution des neuen EU-Parlaments, die sich zur Ukraine und zu Orbans „Friedensmission“ äußert, kommt (bisher) im Vorwärts nicht vor.

Spiegelt der Vorwärts den Niedergang der SPD?

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Sa., 20.07.2024 - 13:43

Permalink

ich kann Armin Christ nur beipflichten. Denn U.v.d.L. wird sich nach ihrer Wahl keinen Deut mehr um ihre Zusagen kümmern, vor allem was das Eingehen auf inhaltliche Forderungen aus der S&D-Fraktion betrifft.
Man mag sich nur an ihre Zeit als Ministerin in Deutschland erinnern:
- Als Sozialministerin hat sie die Forderungen der SPD kopiert und als ihre eigenen hingestellt;
- als Kriegsministerin hat sie den Etat zwar voll ausgeschöpft, aber keine brauchbaren Geräte oder Waffen beschafft, wohl hauptsächlich Beraterverträge abgeschlossen;
- als EU-Kommissarin hat sie sich nicht an die Vorgaben des Parlaments gehalten unbd Geld an Orban gezahlt.
- Als künftige EU-Kommissarin wird sie sich nicht mehr an ihre Zusagen erinnern und die inhaltlichen Forderungen aus der S&D-Fraktion völlig ignorieren und gemeinsame Sache mit Meloni, Orban & Co. machen. Dass die S&D-Fraktion sich von ihr trotz de seitherigen Erfahrungen so über den Tisch hat ziehen lassen, kann ich nicht nachvollziehen!!!
- Nachher wird sich wieder niemand mehr daran erinnern!