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Europawahl: Warum Meloni keine Partnerin für von der Leyen sein kann

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kann sich vorstellen, nach der Europawahl mit der EKR-Fraktion von Giorgia Meloni zusammenzuarbeiten. Die italienische Regierungschefin verhalte sich pro-europäisch und sei für den Rechtsstaat. In Italien wird das anders gesehen.

von Kai Doering · 6. Juni 2024
Ziemlich beste Freundinnen? Ursula von der Leyen (links) hat eine Charme-Offensive gegenüber Giorgia Meloni (ziemlich rechts) gestartet.

Ziemlich beste Freundinnen? Ursula von der Leyen (links) hat eine Charme-Offensive gegenüber Giorgia Meloni (ziemlich rechts) gestartet.

Wenn sie sich sehen, wird es herzlich. Zur Begrüßung umarmen sich Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni innig, es gibt Wangenküsschen und es wird viel gelächelt. Seit einem Jahr geht das nun so. Gemeinsam reisten die EU-Kommissionspräsidentin und die italienische Ministerpräsidentin im Mai vergangenen Jahres ins italienische Hochwassergebiet. Zwei Monate später ging es nach Tunesien, um – vorbei am Europaparlament – ein Migrationsabkommen zu schließen.

Von der Leyens Kriterien für eine Zusammenarbeit

Da ist es kein Wunder, dass Ursula von der Leyen eine Zusammenarbeit mit Melonis Partei „Europäische Konservative und Reformer“ (EKR) nach der Europawahl kategorisch nicht ausschließt. Für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin könnte es auf die Stimmen der – dann mutmaßlich drittstärksten – Fraktion im Europaparlament ankommen. „Das Kriterium für mich ist, dass die Abgeordneten, mit denen wir zusammenarbeiten, denen wir ein Angebot machen, für Europa sind, für die Ukraine, also gegen Russland, und für den Rechtsstaat“, nannte von der Leyen kürzlich in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ ihre Bedingungen für eine Zusammenarbeit.

„An der Oberfläche erfüllt Giorgia Meloni diese Kriterien durchaus“, sagt Lothar Vogel, einer der beiden Sprecher des SPD-Freundeskreises in Italien. Seit ihrem Amtsantritt als italienische Ministerpräsidentin im Herbst 2022 sei sie den nationalen Rechtsstaat nicht offen angegangen, habe wohl aber Reformen angestoßen, die ihn aushöhlen könnten. Mit einer Justizreform soll die Freiheit der Gerichte eingeschränkt werden. Auch psychologische Tests für Richter*innen und Staatsanwält*innen sind vorgesehen. Für den zweiten Sprecher des SPD-Freundeskreises, Robin Wilharm, ist deshalb klar: „Giorgia Meloni greift die Unabhängigkeit der italienischen Justiz an.“

„Meloni will die EU zurückbauen zu einem Geldautomaten“

Und auch bei von der Leyens zweitem Zusammenarbeitskriterium „pro Europa“ setzen die beiden Sprecher des Freundeskreises ein Fragezeichen. „Einen Italexit, also den Austritt Italiens aus der Europäischen Union, will hier niemand“, sagt zwar Lothar Vogel, aber die Frage sei, wie die EU aussehen solle, in der sich das Meloni-Italien wohlfühlt. Aus Sicht von Robin Wilharm ist das „das nationalistische Europa der Vaterländer“, für das auch die deutsche AfD wirbt: ein loser Staatenverbund also, in dem zwar zentral Geld verteilt wird, die Nationalstaaten aber selbst über ihre Politik entscheiden. „Meloni will die EU zurückbauen zu einem Geldautomaten“, ist Wilharm überzeugt. Allein 200 Milliarden Euro erhält das Land aus dem europäischen Corona-Wiederaufbaufonds.

Immerhin im dritten Punkt, der Unterstützung der Ukraine gegen Russland, habe sich Giorgia Meloni aber gewandelt. „Sie war lange ein Putin-Fan und hat sich nach der Annexion der Krim 2014 immer gegen Sanktionen gegen Russland ausgesprochen, umgekehrt hat sie sich während der Pandemie für den Einsatz des Sputnik-Vakzins stark gemacht“, erinnert Robin Wilharm. Inzwischen habe sie hier aber glaubwürdig einen Kurswechsel vollzogen. Ähnliches gilt für Melonis langjährige Forderung, Italien müsse den Euro verlassen. „Heute will sie davon nichts mehr wissen und leugnet vieles von dem, was sie jahrelang gefordert hat“, so Wilharm.

Nun wirbt auch Le Pen um Meloni

„Giorgia Meloni hat die EU als politisches Instrument entdeckt“, erklärt Lothar Vogel diesen Wandel. Das mache sie aber nicht zu einer überzeugten Europäerin. Europa sei für sie eher Mittel zum Zweck. „Sie verfolgt damit Ziele, die nicht unbedingt dem Geist der Gründer der EU entsprechen“, sagt Vogel. Dass Ursula von der Leyen und die EVP eine Zusammenarbeit mit Melonis Partei anstreben, bezeichnet Robin Wilharm deshalb als „Selbstverleugnung“. Beide Parteien hätten eine komplett andere Vorstellung von Europa; anders als die Union in Deutschland sei Fratelli d'Italia nicht eindeutig proeuropäisch.

Doch inzwischen wirbt auch Marine Le Pen um Meloni. Le Pens in Teilen rechtsextreme Partei „Rassemblement National“ gehört im Europaparlament zur Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID), aus der erst vor kurzem die AfD ausgeschlossen wurde. „Wenn wir Erfolg haben, können wir die zweitgrößte Fraktion im Europäischen Parlament werden. Ich denke, eine solche Gelegenheit sollte man sich nicht entgehen lassen“, hatte Le Pen am Wochenende in einem Interview zu einer möglichen Zusammenarbeit von ID und EKR nach der Wahl gesagt. Käme es dazu, wäre Melonis EKR für Ursula von der Leyen freilich verbrannt.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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