Kultur

Buch „Limitarianism“: Über Ingrid Robeyns Appell, Reichtum zu begrenzen

Die einen fliegen aus Jux in den Weltraum, andere können ihre Stromrechnungen nicht zahlen: In diesen Zeiten der wachsenden Ungleichheit gelingt der Philosophin Ingrid Robeyns ein provokanter Zwischenruf zur Begrenzung von Reichtum.

von Michael Bröning · 29. Juli 2024
Buchcover: Das rote Buch

Mit ihrem Buch „Limitarianism“ leistet die Philosophin Ingrid Robeyns einen kritischen Zwischenruf zum Thema Ungleichheit, meint Buch-Kolumnist Michael Bröning.

Kann ein Mensch zu reich sein? Wie viele Nullen haben 100 Milliarden? Und wie viele Milliarden befinden sich im Besitz von Nullen, die diesen Reichtum nicht verdient haben? Diese Fragen stehen im Zentrum von Ingrid Robeyns „Limitarianism: The Case Against Extreme Wealth“. Auf knapp 300 Seiten untersucht die niederländische Philosophin Ursachen, Bedingungen und Konsequenzen der aktuell so weit auseinanderdriftenden Wohlstandsniveaus. 

Jux-Ausflüge in den Weltraum

In den vergangenen Jahren, so belegt unter anderem eine breit zitierte Studie von Oxfam, ist das Einkommen des reichsten ein Prozent in wahrhaft schwinderregende Höhen gestiegen. Wir leben in Zeiten, in denen Groß-Kapitalisten Millionenbeträge für Jux-Ausflüge in den Weltraum verschleudern (und aus der Portokasse bezahlen), während arbeitende Mittelschichten ihre Stromrechnungen nicht mehr begleichen können.

Haben wir auch nur eine Vorstellung davon, fragt Robeyns, was die 219 Milliarden US-Dollar tatsächlich bedeuten, die etwa Elon Musk sein Eigen nennt? Und was ist mit den Hunderten, den Tausenden von Milliardären, die so unglaublich viel mehr besitzen als sie – und wir – jemals verstehen, geschweige denn sinnvoll ausgeben könnten? Denn nicht nur ist der Wohlstand versteckt, die Ungleichheit ist auch ideologisch durch ein ganzes Netz an Halb- und Viertelwahrheiten abgesichert. 

Neoliberaler Konsens in Sachen Reichtum 

Den Über-über-Reichen steht zu, was sie besitzen, so die Rechtfertigung. Und alle anderen sollen besser mal in die Hände spucken, anstatt sich zu beklagen. So etwa könnte man den neoliberalen Eliten-Konsens in Sachen Reichtum zusammenfassen. Das aber sei eben kein gesunder Menschenverstand, sondern Ideologie. Und keine besonders hilfreiche für Menschen ohne Nummernkonto in tropischen Steuerparadiesen.  

Teil des Problems ist die Debatte. „Wir haben nicht nur verlernt, über Klassenfragen zu sprechen, sondern auch über sie nachzudenken“, konstatiert Robeyns. Im Blick auf eine klare Unterscheidung zwischen „reich, superreich und ultrareich“ – den 0,1 Prozent – formuliert sie die Kernforderung des Limitarianism: „Wir brauchen eine Begrenzung dessen, was ein einziges Individuum besitzen kann“. 

Einkommen von Einzelpersonen begrenzen

Analog zur Einführung von Mindestlöhnen müsse das Einkommen von Einzelpersonen begrenzt werden. Reichtum ist in Ordnung. Aber irgendwann ist Schluss. Dabei geht es dem Limitarianismus dezidiert nicht um die Definition einer in Stein gemeißelten Fix-Summe, sondern um die Diskussion selbst. Nur um der Frage nicht auszuweichen, empfielt Robeyns als Richtschnur in europäischen Ländern ein Maximaleigentum von zehn Millionen Euro. Denn eine Deckelung von Besitz auf diesem Niveau hätte weder gravierende Auswirkungen auf den Lebensstil der Betroffenen, noch würde sie als Motivationskiller berufliche Anstrengungen zu Nichte machen. 

Ist das nun nichts als kaschierter Neid auf die, die mehr haben, wie Kritikerinnen und Kritiker (erwartbar) meinen? Nein: Eher Sorge um Zusammenhalt. Denn die wachsende Ungleichheit untergräbt nicht nur den Gemeinsinn, sondern auch das Versprechen von gleichen Lebenschancen und einer nachhaltigen Lebensweise. „Der extreme Reichtum zerstört die Demokratie“, warnt Robeyns. 

Reichtum zerstört Demokratie

In zehn Kapiteln räumt die Autorin dabei mit Lebenslügen der Ungleichheit auf: Harte Arbeit gleich Wohlstand? In vielen Fällen nichts als ungerechtfertigt ererbtes „schmutziges“ Geld. Gleiche Chancen für alle? Eher das Ausnutzen gesetzlicher Schlupflöcher durch eine „Industrie der Steuervermeidung“. Philanthropie? Teil des Problems, nicht der Lösung. Überzeugend legt die Autorin dabei den Finger in offensichtliche Wunden. Warum wird Arbeit höher besteuert als Kapital? Weshalb erlaubt man Lobbyisten des Geldes so große politische Einflussnahme? Wieso vererbt sich Reichtum so unerschütterlich über Generationen hinweg?

Immer wieder kritisiert Robeyns die intellektuelle Unredlichkeit von Kritikerinnen und Kritikern, die ihr Nostalgie für Tabula-rasa-Sozialismus vorwerfen. Tatsächlich läuft diese Kritik in die Irre. Denn die Autorin macht klar, dass auf der Suche nach mehr Gleichheit leninistische Exzesse sicher kein Vorbild darstellen. 

Robeyns geht es darum, obszönen Reichtum zu begrenzen, um damit eine Politik des Ausgleichs und der auch ökologischen Zukunftssicherung zu finanzieren. Ihre Überlegung beruht auf utilitaristischen Überzeugungen, die das Gemeinwohl fördern, nicht begrenzen. 

Kapitalismus zerschlagen?

Und all das lässt sich geistesgeschichtlich gut begründen. Schon Platon schließlich forderte eine Begrenzung von Einkommensunterschieden. Und doch bleibt in der Bewertung der Vorschläge ein Wehmutstropfen. Ja, die Ungleichheit hat gravierende Folgen. Nur: Wie viel überzeugender wäre das Plädoyer, wenn es sich bei all den Rufen nach Begrenzung auch selbst begrenzen würde. 

Denn streckenweise erliegt auch Robeyns der fortschrittlichen Verlockung des progressiven Mission Creep. Das Muster ist bekannt: Es fängt an mit sinnvollen Reformvorschlägen. Doch nach dreieinhalb Debattenumdrehungen, intersektionaler Verknüpfung und Aktivismus-Solidarität endet alles verlässlich im Maximalismus: Zerschlagt den Kapitalismus, überwindet das Patriarchat und befreit Palästina… – so in etwa.

Overreach aber bleibt nicht folgenlos. Denn während Mehrheiten gegen trittbrettfahrende Multimilliardäre durchaus organisierbar wären, sieht das anders aus, wenn es am Ende dann doch um die Umwälzung sämtlicher Lebensbedingungen geht. „Wir brauchen eine komplette Veränderung, wie wir produzieren, wie wir konsumieren und wie wir zusammenleben“, fordert die Autorin. Reisen, Ernährung, der Besitz von Fahrzeugen, all das soll in eine „frugale“ Vision des besseren Lebens überführt werden. 

Chancengleichheit als Realitätscheck

Gut: Das ist so legitim wie die Forderungen der Bergpredigt. Doch konkrete Mehrheiten bekommt man so eher nicht zusammen. Vielleicht liegt das Problem deshalb schon in der Betitelung? Braucht es wirklich eine ganze Kultur der Begrenzung, einen Limitarismus als Ideologie? Wäre nicht ein Limit als klares Ziel diesseits von Utopia fürs Erste ein Anfang? Warum gleich ein ganzer „-ismus“, an dem die eigentlich erzielbaren Mehrheiten zerschellen? 

Beispiel: Meritokratie. Sicher besteht aller Grund, die Erzählungen der Chancengleichheit immer wieder mit der Realität abzugleichen. Doch muss Meritokratie wirklich pauschal als „Mythos“ abgeschrieben werden? „Niemand sucht sich aus, langsam zu sein, leicht zu ermüden oder schnell überfordert zu sein“, schreibt Robeyns und meint damit, die Axt an die Wurzel ungerechter Einkommensunterschiede zu legen. Faulheit als Schicksal? Eine solche Überzeugung untergräbt am Ende wohl eher nicht den Kapitalismus, sondern eher das gesellschaftliche Mandat für seine Einhegung. Denn außerhalb der Fakultäts-Lounge – beispielsweise an einem Montageband während der Nachtschicht – dürfte sich der Beifall in Grenzen halten. 

Und dennoch: Eine offene Diskussion über Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der Verteilung von Wohlstand ist heute so wichtig wie selten zuvor. Und der kritische Zwischenruf von Ingrid Robeyns leistet hierzu einen engagierten und sehr lesenswerten Beitrag.

 

Ingrid Robeyns: Limitarianism. The Case against extreme wealth. Astra House 2024, 301 Seiten

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1 Kommentar

Gespeichert von Robert Rothmeyer (nicht überprüft) am Di., 30.07.2024 - 04:10

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Ingrid Robeyns, a philosopher and economist, makes a compelling argument for limiting individual wealth accumulation. She contends that extreme wealth is not only morally unjustifiable but also detrimental to society as a whole.