Parteileben

Wie ein SPD-Ortsverein im Superwahl-Jahr in Thüringen gegen rechts kämpft

Der SPD-Ortsverein Walterhausen hat nach den Thüringer Kommunalwahlen mit dem Vormarsch der Rechten zu kämpfen. Wie schafft er es, trotzdem stark zu bleiben? Wir zeigen es.

von Lea Hensen · 6. Juni 2024
Der SPD-Orstverein Waltershausen in Thüringen: Die Genossinnen und Genossen lassen sich von den Rechtsextremen nicht einschüchtern.

Der SPD-Orstverein Waltershausen in Thüringen: Die Genossinnen und Genossen lassen sich von den Rechtsextremen nicht einschüchtern.

Bevor sie aufgeben, schmeißt der Fraktionsvorsitzende Marco Wölk den Grill an. Die SPD Waltershausen will an diesem Mittwochabend mit jungen Menschen sprechen. Eigentlich sollte Pizza die Jugendlichen in das Parteibüro locken. Denn Wähler ab 16 Jahren haben im Thüringer Superwahl-Jahr gleich zwei Mal eine Stimme: Nach den Kommunalwahlen Ende Mai erstmals auch bei den Europawahlen. Doch keiner ist der Einladung gefolgt. Bis jetzt.

Dann gelingt dem Fraktionsvorsitzenden doch noch, was mit Pizza nicht geklappt hat. Und zwar mit Thüringer Bratwurst: Drei Teenager sind dem Geruch von brutzelndem Fleisch gefolgt. Wenig später bleiben zwei weitere stehen. Vor dem Altbau an der Ecke zum Marktplatz bildet sich eine kleine Gruppe, um mit den Genossen darüber zu sprechen, was das Städtchen südwestlich von Gotha bewegt. Und das ist in diesem Frühjahr 2024 nicht gerade wenig.

Enttäuschende Ergebnisse

Knapp zwei Wochen später. Bei den Kommunalwahlen in Thüringen erhält die SPD in Waltershausen eine derbe Schlappe. Die Kleinstadt mit rund 12.000 Einwohnern steht vor einem historischen Umbruch, denn seit 1989 war dort ein und derselbe Bürgermeister im Amt. CDU-Mann Michael Brychcy war der dienstälteste Chef in einem ostdeutschen Rathaus. Die Wahlen enden mit einer Stichwahl, ein neuer CDU-Kandidat und ein Parteiloser duellieren sich um den Posten. SPD-Kandidat Marco Wölk (54) erhielt leider nicht den erhofften Stimmenanteil und landete noch hinter dem Kandidaten der AfD.

Das müssen die Genossinnen und Genossen erst einmal verkraften. Andreas Hellmund ringt nach Worten. Der Vorsitzende des Ortsvereins will sich nicht entmutigen lassen. „Ich bin froh, dass die Rechten hier nicht stärkste Kraft geworden sind“, sagt er. Die AfD konnte zwar auch ihre Sitze im Stadtrat verdoppeln. Doch sie erhält kein einziges Spitzenamt im ersten Anlauf, dabei hatten Umfragen schon seit Monaten gute Ergebnisse für die in Thüringen gesichert rechtsextreme Partei vorhergesagt.

Im Stadtrat behauptet

Und auch das ist eine gute Nachricht: Im Stadtrat konnte die SPD ihr Ergebnis von 2019 halten und bekommt erneut drei von 24 Sitzen. „Für Thüringer Verhältnisse stehen wir damit gar nicht so schlecht dar“, sagt Hellmund. „Ich hoffe, dass wir auch im neuen Stadtrat Projekte angehen können, die lange auf der Strecke geblieben sind.“ Die SPD will sich künftig um Menschen im Ort kümmern, die sich abgehängt fühlen. In einigen Ortsteilen habe die Stadt kulturelle Einrichtungen verkommen lassen, die die Anwohner einst selbst aufgebaut hätten. „Ein gefundenes Fressen für die AfD“, sagt der 38-Jährige.

Der Ortsverein stellt mit 41 Mitgliedern, 10 davon Frauen, die personenstärkste Partei im Ort. Das ist umso beachtlicher, wenn man bedenkt, dass Parteien in ostdeutschen Kleinstädten Schwierigkeiten haben, Leute für sich zu gewinnen. Viele Menschen würden immer noch ungern Parteimitglied werden, erklärt Hellmund mit Blick auf die DDR-Geschichte. Doch noch heute seien Genossinnen und Genossen dabei, die den Ortsverein 1990 mit neu gründeten. Das älteste Mitglied von ihnen ist 84 Jahre alt – das jüngste ist 24.

Hellmund und Wölk fanden vor rund zehn Jahren zur SPD. „Wir organisierten damals große Feste in Waltershausen, die überregional bekannt wurden“, erinnert er sich. Einmal seien Tausende Waltershäuser zusammengekommen, um im Rahmen einer Wette Deutschlands größtes Schwimmbecken mit Wasser zu befüllen. Der Ortsverein wurde damals für den Wilhelm-Dröscher-Preis für bürgernahe Politik nominiert. Gemeinsam motivierten Wölk und Hellmund auch andere, wie Ramazan Elçi. Der 32-Jährige war in der Türkei bereits Mitglied der kurdischen Halkların Demokratik Partisi (HDP) – einer Schwesterpartei der SPD. „Mir geht es um den Kampf gegen Rassismus“, sagt er. „Denn so wie es ist, geht es nicht mehr weiter.“

Brandanschlag auf Wohnhaus

Im Februar stand Waltershausen mit einer erschreckenden Meldung in den Schlagzeilen. Unbekannte hatten einen Brandanschlag auf das Wohnhaus des stellvertretenden Ortsvereinsvorsitzenden Michael Müller verübt. Verletzt wurde niemand, die Polizei ermittelt noch. Doch Müller vermutet, dass die rechte Szene dahintersteckte, denn zuvor hatte er sich öffentlich gegen Faschismus engagiert.

In den Wochen vor den Wahlen häufen sich die Meldungen über Angriffe auf politisch Engagierte. „So aggressiv habe ich das vorher nicht wahrgenommen“, sagt der 46-Jährige, und berichtet von wüsten Beschimpfungen und Drohungen gegen ihn oder Bekannte. In der Nacht zuvor seien zwei große Plakate angezündet worden, fünf Quadratmeter PVC-Plane einfach niedergebrannt. An einem anderen Tag flog ein Stein durch das Wohnzimmerfenster einer Politikerin der Linken. Das hatte Nachwirkungen bei den Genossen. „Ich war mit meiner Tochter in der Nacht Wahlplakate aufhängen und ich sage es ganz ehrlich: Ich hatte Schiss“, sagt Stadtratsmitglied Wilfried Förster.

Doch Wölk betont, er wolle sich nicht einschüchtern lassen. Waltershausen sei kein „braunes Nest“. „Wir haben ein rechtes Problem, aber in ganz Thüringen, nicht in Waltershausen explizit“, sagt er. Auch wenn die AfD an Stimmen zugelegt habe, will er unterscheiden: „Es gibt die, die sich in einer rechten Partei engagieren, und es gibt unseren Nachbarn, mit dem wir uns gestern noch gut verstanden haben, der aber plötzlich Wie sehr Rechte versuchen, das Städtchen zu spalten, hat der Ortsverein schon einmal erlebt. 2015 protestierte die NPD in Waltershausen gegen die Aufnahme von Geflüchteten. Die SPD organisierte damals mit anderen eine Gegendemo, doch nicht wenige Waltershäuser folgten den Rechten. „Das hat damals unseren Ort zerrissen. Das soll nicht noch einmal passieren, denn das ist es, was die Rechten wollen“, sagt Wölk.

„Ein brutaler Gedanke“

Michael Müller fordert nach dem Brandanschlag trotzdem, rechte Gewalt klar als solche zu benennen. „Ich habe mir schon vorher Gedanken darüber gemacht, wie schlimm es wohl sein muss, so etwas zu erleben“, sagt er. „Heute weiß ich: Es ist noch viel schlimmer.“ Wochen nach dem Brand habe er die Pflastersteine vor seinem Haus gereinigt. Dabei sei ihm der Geruch von Benzin in die Nase gestochen. „Ich habe mir dann vorgestellt: Da stand jemand genau hier. Vielleicht war diese Person aufgeregt, vielleicht hat sie sich sogar gefreut, während sie mein Haus angezündet hat. Ein brutaler Gedanke.“ Und trotzdem: Wenig später erklärte sich Müller erneut bereit, bei einer Anti-Rechts-Demo zu sprechen. In Waltershausen weiß man, wieder aufzustehen. Das gilt auch jetzt, nach den Kommunalwahlen. Im bisherigen Stadtrat stammten die meisten Anträge von der SPD. Das solle auch in Zukunft so bleiben, wenn sich die Anzahl der AfD-Stadträte von drei auf sechs verdoppelt, sagt Hellmund. „Wir werden zusehen, dass wir mit den anderen demokratischen Kräften gut dagegenhalten. Eine gute Zusammenarbeit ist alles, und zwar im Dienste der Sache, unserer Stadt.“

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