NATO-Ausgaben: Wie die SPD über das Fünf-Prozent-Ziel diskutiert
Die NATO-Mitgliedsstaaten sollen künftig pro Jahr fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Das auf dem jüngsten Gipfel verabschiedete Ziel wurde am SPD-Bundesparteitag kontrovers diskutiert.
Florian Gaertner/photothek.de
Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, aufgenommen im Rahmen des Bundesparteitages der SPD in Berlin.
„Ich werde ein bisschen zur Aufklärung beitragen“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius, als er am Samstagabend um kurz nach 20 Uhr die Parteitagsbühne im Berliner City Cube betrat. Die Debatte über das jüngst beschlossene Ziel der NATO, künftig pro Jahr fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Verteidigung auszugeben, lief zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als einer halben Stunde.
Die Mehrheit der Redner*innen äußerte sich kritisch. So befürchtete etwa der Vorsitzende der Naturfreunde, Michael Müller, die Mittel könnten am Ende zur Bekämpfung des Klimawandels fehlen. Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft 60 plus, Lothar Binding, kritisierte, die Orientierung am BIP sei ein „völlig unlogischer Vorschlag“. Auch für den SPD-Bundestagsabgeordneten Jan Dieren sei es nicht sinnvoll, „sich auf eine dauerhafte und starre Quote festzulegen“.
Pistorius: „An der Wirklichkeit kommen wir nicht vorbei“
Pistorius sieht das als Verteidigungsminister naturgemäß anders. „Wir reden nicht über Willkür. Wir reden über notwendige Verteidigungsausgaben“, stellte er klar. Die Zeit der Friedensdividende sei vorbei. „An der Wirklichkeit kommen wir nicht vorbei. Diese Bedrohung ist real“, macht er deutlich. Deswegen seien die NATO-Fähigkeitsziele innerhalb des Bündnisses gemeinsam festgelegt worden.
Seinen Kritikern entgegnete er: „Ob ihr’s glaubt oder nicht, wir kaufen nach System. Wir kaufen, was wir brauchen, und was den militärischen Fähigkeitszielen entspricht.“ Zudem stellte Pistorius mit Blick auf immer wieder geforderte diplomatische Bemühungen klar: „Wir werden uns immer und auf allen Kanälen über Frieden und Abrüstung unterhalten. Daran führt kein Weg vorbei.“
Schwabe appelliert: „Wir dürfen nicht naiv sein“
Unterstützung erhielt er in der Debatte von Frank Schwabe, Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Europarat. Er appellierte eindringlich an die Delegierten: „Lasst uns keine Illusion haben: In jeder Minute werden Menschen in der Ukraine umgebracht. Wenn Putin nicht das Handwerk gelegt wird, geht das Töten weiter im Baltikum, im Kaukasus und anderswo.“ Daher dürfe die Sozialdemokratie nicht naiv sein, sondern müsse sich gemeinsam mit anderen vor Russland schützen. „Deswegen ist es wichtig, zum NATO-Ziel zu stehen“, sagte Schwabe.
In der Debatte ging es um einen Antrag, der forderte, dass sich die SPD gegen das Fünf-Prozent-Ziel positioniere. Am Ende folgten die Delegierten dem Appell von Verteidigungsminister Boris Pistorius - und erkannten das Verteidigungsziel der NATO damit an.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo
Debatte ??
Vor ein paar Jahren wurde das 2% Ziel für Aufrüstung noch sehr kritisch gesehen, nun sind wir bei 5% des BIP. Das Geld das da zu Rüstungszwecken verpulver wird fehlt an allen Ecken und Enden - bei Sozialem, Bildung, Umwelt, Wohnungsbau ...... .
"das Verteidigungsziel der NATO" (im letzten Satz heißt ohne Schminke: das Aufrüstungsziel der NATO. (Spart euch die Euphemismen !!!)
An Boris Pistorius und seiner Gefolgschaft kann ich leider NICHTS sozialdemokratische mehr sehen.
Kleinliche Diskussion in unhaltbarer Position
Ob das Geld "verpulvert" wird, wird sich zeigen. Es ist für mich unerläßlich für den weiteren Fortbestand der freihitlichen Grundordnung die Rüstung gegenüber der russischen Bedrohung anzupassen. Es sind schon genug Putin-Unterstützer im Parlament, die linken, afd und fast (S)arahs-(E)igenes-(D)ing. Suspekt, dass Politiker dieser möglichen miitärischen Konfrontation einfach durch Untätigkeit ausweichen wollen. Verhandlungen ohne Firepower enden so, dass der Unbewaffnete nachgibt. Geben Sie nur russische psyop wieder? Wenn sich diese Position bei der SPD durchsetzt ist endgültig aus bei mir, dann lieber Grüne oder CDU, obwohl ich letztere nicht mag. Überlassen Sie, Herr Chist, doch bitte die militärischen Fragen den betreffenden Fachleuten - bspw. Herrn Kiesewetter oder dem Verteidgungsminister. Sozialprogramme lassen sich nur in Freiheit durchführen oder unter russischer Hegemonie vortäuschen. Auf "Sozialistische Bildung" (DDR 2.0) werde ich um jeden (!!!) Preis verzichten.
Zudem erwecken Pistorius und Klingbeil unfreiwillig den Eindruck
dass sie nicht einmal bei eindeutigen Abstimmungsergebnissen gegen diese Aufrüstungswahnsinn bereit wären, davon Abstand zu nehmen. Diesen Irsinn wird als Imperativ verkauft, was an sich schon reichlich kritische Fragen zum Demokratieverständnis unserer "sozialdemokratischen" Spitzenvertreter aufwirft.
Ein bisschen Aufklärung/Fünf-Prozent-Ziel_1
Fünf Prozent vom BIP für Aufrüstung, pardon, für das „Aufwachsen“ der Verteidigungsausgaben, bedeutet auf der Basis 2024 (BIP: 4.305 Mrd. €), jährlich 215 Mrd. € (bei 3,5%: 150 Mrd. €) für Rüstung auszugeben. Das ist schon was, gemessen am Etat (476 Mrd. €), nämlich 31,7% (45,2% bei 5%).
Obwohl die „Mehrheit der Redner*innen sich kritisch (zum Fünf-Prozent-Ziel) äußerte“, wie der Vorwärts feststellte, kam von ihnen nur Zweitrangiges oder nur indirekt mit der Aufrüstung Zusammenhängendes zur Sprache - dass „die Orientierung am BIP ein „völlig unlogischer Vorschlag““ sei und „sich auf eine dauerhafte und starre Quote festzulegen“ auch nicht sinnvoll, - dass dadurch „Mittel … zur Bekämpfung des Klimawandels fehlten“, während die sofort zu erwartende Inflationssteigerung nicht erwähnt wurde.
Das „Fünf-Prozent-Ziel“ der Nato ist die Kurzformel dafür, dass die Nato eine europäische Friedensordnung aus der „Position der Stärke“,
Ein bisschen Aufklärung/Fünf-Prozent-Ziel_2
mit der die Militarisierung unserer Politik griffig beschrieben wird, festlegen möchte, also, wenn Russland sich nicht der Nato-Strategie fügen und komplett eindämmen lassen will, auch gegen Russland. Ganz sicher und leicht, wenn die Bevölkerung kriegstüchtig wäre und auf, sagen wir, 20% ihrer Lebensqualität verzichten würde, könnten die europäischen Natostaaten Russland konventionell totrüsten. Aber was wäre damit gewonnen? Heute führen militärisch unterlegene Staaten doch keinen Krieg mehr mit offenen Schlachten, sondern hybrid. Was machen wir denn, wenn Russland, das uns angeblich schon jetzt in einem hybriden Krieg bekämpft, damit wirklich anfängt. Die Ukraine hat gerade tief in Russland gezeigt, was da möglich wäre. Wir setzen auf falsche Annahmen, wenn wir ein friedliches Europa nur waffenstarrend erreichen wollen. Wir haben es doch mindestens 30 - 50 Jahre lang gesehen, dass militärische Stärke nicht die Hauptsäule für echten Frieden in Freiheit und Wohlstand ist.
Ein bisschen Aufklärung/Fünf-Prozent-Ziel_3
Gegen diese Kritik der „Mehrheit der Redner*innen“ hatte es der kriegstüchtige Pistorius leicht, „ein bisschen zur Aufklärung beizutragen“. „... notwendige Verteidigungsausgaben“, „Zeit der Friedensdividende vorbei“, “Bedrohung ist real“: „An der Wirklichkeit kommen wir nicht vorbei“. Assistiert wurde er von Frank Schwabe, „Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Europarat“, der „keine Illusion haben, … nicht naiv sein, (sondern) ... Putin das Handwerk legten will, (sonst) ... geht das Töten weiter im Baltikum, im Kaukasus und anderswo“. Diese Kritik der „naiven“ Kritik reicht offenbar völlig aus, um von „Bedrohung ist real“ nahtlos überzugehen auf „(sonst) ... geht das Töten weiter im Baltikum, im Kaukasus und anderswo“. Selbstverständlich haben unsere Kriegstüchtigen auch noch im Hinterkopf die Behauptung eines „Strategiepapiers der Bundeswehr“, das „vor der wachsenden Bedrohung durch Russland warnt,
Ein bisschen Aufklärung/Fünf-Prozent-Ziel_4
das „gezielt an den Anforderungen für einen großmaßstäblichen Konflikt gegen die Nato zum Ende dieser Dekade“ arbeitet (Spiegel, 20.6.25). Andere Experten wissen gar, dass Putin „sein Land umbaut für ein Zeitalter des ewigen Kriegs“ (M. Thumann, Blätter …, 5`25), eine Strategie, die irgendwie von den „Herrschern des Fürstentums Moskau“ stammt, „ab 1547 Zaren genannt“, die sie wiederum von den „mongolischen Invasoren“ (14tes Jahrhundert) übernommen hatten. Die Kurzfassung dieser Entwicklung ist die „imperiale Besessenheit“ (Steinmeier).
Die Gefahr, die von Russland ausgeht, ist die elementare Bedrohung, die zwei Nachbarn immer wechselseitig darstellen, einfach weil sie Nachbarn sind. Politik muss einen Weg finden, die deshalb notwendige Bewaffnung, man könnte auch Abschreckung sagen, auf ein möglichst niedriges Gleichgewicht zu bringen. Wir konnten das schon mal.
In diesem grundlegenden Zusammenhang ließe sich auch eine Lösung für den Ukraine-Krieg finden.
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Wir müssten nur die reziproke Bedrohung anerkennen, man könnte auch sagen die gemeinsame Sicherheit und ihre Architektur.
Nicht im kommentierten Text angesprochen, aber in diesem Zusammenhang oft als Argument benutzt, wird die Behauptung, zu Brandts Zeiten seien die Ausgaben für Militär in % vom BIP deutlich höher gewesen als z. B. 2020. Wenn die Zahlen von Statista (2025) stimmen, das kann ich nicht nachprüfen, betrugen die Militärausgaben 1966 1,9% (4,8 Mrd. US$) vom BIP (249 Mrd. €). 1974 2,5% (13 Mrd. US$) vom BIP (526 Mrd. €). In den Jahren dazwischen gab es nur 2 Jahre, in denen der Prozentsatz 2 überstieg: 1967 (2%), 1973 (2,3%). Der Mittelwert betrug 1,9%. Die absoluten Werte schwanken zwischen 4,8 Mrd. US$ (1966) und 13 Mrd. US$ (1974). Zum Vergleich: 2023 gaben wir 67,3 Mrd. US$ dafür aus (Statista).
Ein bisschen Aufklärung/Fünf-Prozent-Ziel_6
ZEIT ONLINE (2.11.24) dagegen lässt einen Interviewten behaupten: „Als Willy Brand Kanzler war, hat Westdeutschland gut drei Prozent des BIP für die Bundeswehr ausgegeben“. Klingbeil und andere glauben Ähnliches.
Wenn man nur Putin sagt, muss man über die Höhe von Aufrüstung nicht mehr streiten.