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Krieg und Alltag in der Ukraine: Warum Tiernahrung so wichtig ist

Frank Schwabe ist im Auftrag des Europarats nach Lwiw gereist, um die Auswirkungen des Kriegs zu dokumentieren – es ist nicht der erste Besuch des SPD-Menschenrechtlers in der Ukraine. Ein Gespräch über Alltag im Krieg, Rasierer und Tiernahrung.
von Benedikt Dittrich · 12. April 2022
Viele Ukrainer*innen haben Hunde und Katzen, die sie im Krieg ebenso retten und versorgen wollen.
Viele Ukrainer*innen haben Hunde und Katzen, die sie im Krieg ebenso retten und versorgen wollen.

Frank Schwabe, Sie waren vorige Woche in Lwiw in der Ukraine. Warum?

Ich bin Fraktionsvorsitzender in der Parlamentarischen Versammlung im Europarat und zusammen mit dem Präsidialausschuss auf Einladung in die Ukraine gereist. Das ist das Gremium, das viele Entscheidungen im Europarat vorbereitet, man kann es sich ein wenig wie den Ältestenrat im Bundestag vorstellen.

Ich fertige außerdem für den Europarat einen Bericht über die Konsequenzen des Kriegs in der Ukraine an. Da geht es darum, wie wir der Ukraine helfen können, aber auch welche Lehren und Schlussfolgerungen der Europarat für die Zukunft daraus zieht.

Wie kann man sich diese Arbeit vorstellen?

Wir reden auch über Kriegsverbrechen, fordern ein, dass sie dokumentiert und geahndet werden. Die Dokumentation der Verbrechen selbst ist aber nicht unsere Aufgabe. Das obliegt anderen wie dem internationalen Strafgerichtshof, der Generalstaatsanwaltschaft in der Ukraine oder Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch. Der Europarat hat andere Funktionen. Wir sind für Gefängnisse zuständig, für Wahlbeobachtungen, die Lage der Zivilgesellschaft oder von Geflüchteten. 

Wir haben in der Ukraine mit dem ukrainischen Parlamentspräsidenten, dem Bürgermeister aus Lwiw und zahlreichen Abgeordneten gesprochen und uns ein Bild vor Ort über die Hilfsmaßnahmen gemacht. Lwiw ist ein Hilfszentrum, wo Hilfsgüter aus der ganzen Welt angeliefert, verpackt und dann in die Krisengebiete gebracht werden, wo die Menschen sie brauchen.

Und wie sieht dieses Bild aus – herrscht in dieser Stadt Chaos oder Alltag?

Kein Chaos. So wie die Menschen in Lwiw es erzählen, waren in der ersten Woche nach Kriegsbeginn alle geschockt und niemand wusste wie das Leben weitergeht. Jetzt kommt man aber in eine Stadt, in der es ein relativ normales Leben gibt. Die Geschäfte sind geöffnet, die Menschen sitzen in den Cafés. Abends gibt es zwar eine Sperrstunde, es ist ansonsten aber ein relativ normales Leben. Zwar sieht man im Stadtbild viele Flaggen, Sandsäcke und Barrikaden. Die Menschen wollen aber auch im Krieg ein halbwegs normales Leben führen.

Das irritiert erstmal, weil man etwas anderes erwartet. Es gibt dramatische Unterschiede zu den Teilen der Ukraine, die von Russland direkt attackiert werden, wo schlimmste Kriegsverbrechen stattfinden, jeden Tag, jede Stunde.

Lwiw wurde zwar auch schon attackiert, die Innenstadt ist aber komplett unbeschädigt.

Es ist nicht ihr erster Besuch in der Ukraine. Was hat sich seitdem verändert?

Als Wahlbeobachter war ich damals auf dem Land unterwegs, da habe ich aus den Städten nicht viel mitbekommen. Kurz vor Beginn der Corona-Pandemie war ich aber in Kiew und vor drei Jahren stand ich auch an der Kontaktlinie in Richtung Luhansk und Donezk. Dort war auch damals schon Krieg. Wir waren dort damals in voller Montur mit Helm und Schutzweste unterwegs, rund 500 Meter von uns entfernt schlug eine Mörsergranate ein. Wir waren zwar außer Gefahr, aber das sind für mich deutlichere Kriegseindrücke gewesen als jetzt in Lwiw.

Obwohl die Menschen jetzt von morgens bis abends mit dem Krieg beschäftigt sind, obwohl alle Freunde und Verwandte in anderen Landesteilen haben: Es gibt dort immer noch lächelnde Gesichter und es wird immer noch gescherzt. Der Versuch von Normalität in außergewöhnlich schrecklichen Zeiten.

Aus Europa wird viel gespendet und unterstützt. Aber gibt es vielleicht etwas, was die Menschen vor Ort fordern, was in Deutschland noch nicht gehört wurde?

Rasierer. Es fehlen Rasierer, weil die Menschen ihre an die Armee abgegeben haben. Das klingt absurd, aber die sind tatsächlich Mangelware. 

Und Tiere spielen hier eine große Rolle. Es gibt Erzählungen darüber, dass Familien ihren Hund auf der Flucht nicht mitnehmen konnten. Gerade für Kinder kann das traumatisch sein, weil sie nicht wissen, ob die Tiere dann vielleicht verhungern müssen. 

Deswegen ist es wichtig ihnen zu sagen: Kommt mit euren Tieren, wir finden schon eine Lösung! Wer die Tiere rettet, rettet damit auch immer die Menschen, vor allem die Kinder. Deswegen wird in dem Verteilzentrum in Lwiw auch viel Tiernahrung gesammelt, neben Medikamenten und Hygieneartikeln.

Ist der Krieg in der Ukraine mit anderen Krisen und Kriegen in der Welt in der Vergangenheit vergleichbar?

Jeder Konflikt ist anders, aber vergleichbar ist natürlich das Leid der Menschen. Es macht keinen Unterschied, ob Russland in Aleppo oder in der Ukraine Krankenhäuser bombardiert oder wenn Saudi-Arabien die Menschen im Jemen angreift. Die Auswirkungen für die Menschen sind immer schrecklich.

Allerdings sind Städte in der Ukraine ähnlich aufgebaut wie in Polen und es fühlt sich sehr vertraut an. Lwiw hat zum Beispiel wie Krakau eine wunderschöne Innenstadt mit einem Rathaus auf dem zentralen Platz. Dadurch hat man das Gefühl: Man ist nicht weit weg, das könnte alles auch zu uns kommen. Ich glaube, deswegen ist das Leid näher, verständlicher.

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Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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