Natascha Sagorski: Eine Frau, die sich was traut
Alles begann mit einer Petition, aus der ein Gesetz wurde. Dadurch schöpfte Natascha Sagorski neue Kraft, sich stärker in ihrer Partei zu engagieren. Nun hat die bayerische Sozialdemokratin viel vor
Lukas Barth-Tuttas/vorwärts
Sie hat es geschafft, ein Tabuthema sichtbar zu machen: Natascha Sagorski
Eine Frau des Konjunktivs ist Natascha Sagorski nicht. Das wird auch an diesem Dienstagvormittag Ende Mai auf dem Münchner Marienplatz schnell klar. Einige ihrer engsten Mitstreiterinnen sind gekommen. Sie klatschen, als Sagorski das kleine Podest vor dem Rathaus betritt. Denn es gibt etwas zu feiern.
Dank Sagorski gibt es ein neues Gesetz
Seit dem 1. Juni haben Frauen auch nach Fehlgeburten ein Anrecht auf gestaffelten Mutterschutz von zwei bis maximal acht Wochen ab der 13. Schwangerschaftswoche. Bisher galt das erst ab der 24. Woche. Im Januar beschloss der alte Bundestag eine entsprechende Gesetzesänderung. Ohne Sagorskis Engagement wäre das nicht möglich gewesen. 2022 startete diese eine Petition für eben jene Veränderung, die von mehr als 75.000 Menschen unterschrieben wurde.
„Hinter uns liegen drei Jahre Kampf und Engagement. Es war ein wirklich langer Weg“, sagt Sagorski in München. Rechts neben dem Podest, auf dem sie ihre kurze Ansprache hält, steht eine zweieinhalb Meter hohe Wiege. Sie ist leer. Das symbolisiert, was Sagorski 2019 erlebte und was statistisch gesehen jeder dritten Frau in Deutschland widerfährt: eine Fehlgeburt. Jene hätten viel mit Schuld und Scham zu tun und seien immer noch ein riesiges Tabu-Thema in Deutschland, sagt Sagorski. Deswegen gelte es nun, die Gesetzesänderung möglichst bekannt zu machen. Doch erst einmal sei sie erleichtert, glücklich und dankbar, sagt Sagorski im Gespräch mit dem „vorwärts“.
Sagorskis Engagement hat viele Menschen beeindruckt, so auch die neue SPD-Vorsitzende Bärbel Bas. Auf dem Bundesparteitag Ende Juni in Berlin sitzt Sagorski unmittelbar vor der Bühne und hört, wie Bas in ihrer Bewerbungsrede als Parteivorsitzende ihr Engagement lobt. „Wir Frauen sind die Hälfte der Gesellschaft und wir bitten nicht um angemessene Beteiligung. Wir fordern sie ein. Sie steht uns zu. Eine Frau, die das für sich beherzigt hat, ist Natascha Sagorski“, sagt Bas voll Bewunderung. Sie nennt Sagorski „eine starke Frau, die politisch aktiv geworden ist für ein Thema, das sie bewegt“.
Die 40-Jährige hat erlebt, wie Selbstwirksamkeit in der Politik funktionieren kann und dadurch auch neuen Mut und neue Kraft geschöpft, sich wieder stärker in ihrer Partei zu engagieren. Schon während des Studiums trat sie in die SPD ein. Ausgerechnet nach einer Rede von Gerhard Schröder in Augsburg. Jenem Kanzler, der Frauen- und Familienpolitik einst als „Gedöns“ bezeichnete. Sagorski engagierte sich mit den Jusos in der Hochschulpolitik. Doch irgendwann zog sie sich frustriert zurück. Auch weil sie während ihrer Arbeit für einen SPD-Abgeordneten Dinge erlebte, die heute sicher unter dem Stichwort „me too“ zusammenzufassen wären, die damals aber niemanden in der Partei so recht störten. „Mei, so isser halt“, habe sie häufiger zu hören bekommen.
Heute kämpft Natascha Sagorski dafür, dass Parteien offener werden, keine „Orte männlicher Dominanz“ mehr sind. „Das müssen wir ändern. Nicht indem wir Männer aus der Politik verbannen, sondern indem mehr Frauen in Parteien eintreten“, schlägt sie vor.
Sagorski kämpft für mehr Mütter in der Politik
„Frauen können verdammt gut Politik machen“, zeigt sie sich überzeugt und will mit gutem Beispiel vorangehen. Denn nach ihrem Erfolg mit dem gestaffelten Mutterschutz bei Fehlgeburten hat sie Lust auf mehr. „Ich habe gesehen, wie viel man in der Politik bewirken kann.“ Ihr erstes Ziel: der Gemeinderat von Unterföhring, einer rund 12.000 Einwohner*innen zählenden Gemeinde vor den Toren Münchens. „Wir brauchen frischen Wind in den Parlamenten, und wir brauchen auch mehr Eltern, vor allem mehr Mütter“, fordert die zweifache Mutter.
Grafik: vorwärts; Foto: Fionn Große
SPDings – der „vorwärts“-Podcast, Folge 39 mit Natascha Sagorski
2022 startete Natascha Sagorski eine Petition für gestaffelten Mutterschutz, im Januar 2025 wurde daraus im Bundestag ein Gesetz. Auch deshalb ist die Sozialdemokratin überzeugt: „Frauen können verdammt gut Politik machen.“
Ihr eigenes Engagement motiviert dabei offenbar auch viele andere. „Ich sorge gerade für ziemlich viele Parteieintritte. Auf einmal kandidieren Menschen auf unserer Gemeinderatsliste, die vorher nie darüber nachgedacht hätten“, sagt Sagorski stolz. Menschen, denen sie klargemacht hat, dass Politik nicht trocken, langweilig und anstrengend sein muss, sondern dass es cool sein kann, in eine Partei einzutreten und sich zu engagieren. Dazu trägt auch ihr neues Buch bei.
Praktische Tipps, um Kindern Demokratie beizubringen
Es zeigt zugleich ihre Entwicklung als Autorin. Während Sagorski im Studium noch mit ihrem ersten Buch „33 fabelhaften Berichten über heftige Filmrisse“ in Pro-Sieben-Unterhaltungsshows auftrat, verarbeitete sie in „Jede dritte Frau“ ihre Fehlgeburt. Ganz neu erschienen ist „Wie wir mit unseren Kindern die Demokratie verteidigen“.
Es ist ein gutes, weil sehr praktisches Buch. Keine wissenschaftliche Abhandlung über die Bedeutung von Demokratie für die nächste Generation, sondern ganz konkrete Tipps für Eltern, wie Demokratie gemeinsam mit den Kindern Spaß machen kann. Zum Beispiel mit einem Familienrat oder einem Grillfest am Wahlsonntag. Es ist vermutlich das, was man von Natascha Sagorski lernen kann: Demokratie einfach selber machen und Spaß dabei haben.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo