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Erneuerung der SPD: „Wir brauchen mehr Mut zum Populismus“

Bei der Erneuerung der SPD kommt es nicht zuletzt auf engagierte Akteur*innen in den Kommunen an, gerade in den mitgliedsarmen Regionen des Ostens. Tobias Schick, Oberbürgermeister von Cottbus, wirbt für ein kämpferisches und meinungsfreudiges Auftreten von Sozialdemokrat*innen. 

 

von Nils Michaelis · 24. Juni 2025
Tobias Schick ist Oberbürgermeister von Cottbus

Der Sozialdemokrat Tobias Schick (45) ist seit Oktober 2022 Oberbürgermeister von Cottbus.

Die Erneuerung der SPD wird das Top-Thema beim Bundesparteitag vom 27. bis zum 29. Juni. Dieser Prozess hat längst begonnen. Mit einem Leitantrag zur Organisationspolitik wurden bereits beim Parteitag 2023 wichtige Dinge auf den Weg gebracht. Zum Beispiel die Neuausrichtung der Strukturen und der Kommunikation.

Was das konkret bedeutet, weiß man in Brandenburg nur zu gut. Dort haben die SPD-Strukturen seit dem vergangenen Jahr viele weiße Flecken bekommen. Anstelle von zehn SPD-Bundestagsabgeordneten gibt es seit der Bundestagswahl nur noch vier. Von neun Wahlkreiskandidat*innen im Süden sind nach der Landtagswahl nur drei ins Parlament eingezogen. „Es müssen Lösungen gefunden werden, wie wir als SPD insbesondere auch in ländlichen und strukturschwachen Regionen sichtbar und ansprechbar bleiben“, sagt Regionalgeschäftsführerin Kerstin Weide.

Einer, der sich genau darum bemüht, ist der Cottbuser Oberbürgermeister Tobias Schick. Seit seiner Wahl im Oktober 2022 setzt er auf den direkten Draht zu den Menschen. Seine Forderung an die SPD: mehr Raum für Debatten, auch und gerade über unbequeme Themen.

Bei der Neuaufstellung der SPD-Strukturen geht es am Ende um die Frage, wie die Partei wieder Wahlen gewinnen kann. Sie haben bei der Wahl zum Oberbürgermeister vor rund drei Jahren einen knappen Sieg gegen die AfD eingefahren. Was war Ihr Erfolgsrezept?

Leider muss ich sagen: Ich habe nicht gewonnen, weil, sondern obwohl ich in der SPD bin. In der Kommunalpolitik zählen überzeugende Persönlichkeiten oft mehr als die Parteizugehörigkeit. 

Was die AfD betrifft: Den Begriff „Brandmauer“ halte ich nicht für glücklich. Niemals würde ich Wählerinnen und Wähler dieser Partei abstempeln. Wohl aber kann ich mit einzelnen Mitgliedern nichts anfangen. Wenn ein AfD-Kandidat, der nichts in der Birne hat, gewählt wird, ärgert mich das, weil ich den Eindruck habe, die Leute haben sich nicht mit den Personen oder den Programmen beschäftigt.

Trotzdem frage ich mich: Was machen wir falsch? Ich versuche, die Ängste der Menschen, die so gewählt haben, nachzuvollziehen. Dann überlege ich, wie wir das Zusammenleben besser gestalten können. Und schon kommt man wieder miteinander ins Gespräch.

Wie sehr hängt der Erfolg der SPD davon ab, die AfD gerade in der Kommunalpolitik inhaltlich zu stellen?

Die Cottbuser SPD tut das ständig. Sie besetzt frühzeitig zentrale Themen und benennt Probleme. Wir nehmen uns aber auch mancher Dinge an, die von der AfD kommen und suchen nach einer Lösung. Wir vertreten eine eigene Meinung zur Migrationspolitik, anstatt alles durch eine rosarote Brille zu betrachten. Wir dürfen keine Schranken im Kopf haben. Die Bürger sehen das und erkennen den Unterschied zur AfD.

Was erwarten Sie von der SPD auf Bundes- und Landesebene, damit die Partei in der Region mehr Menschen erreicht?

Immer wieder hat die Parteiführung angekündigt, die, Basis zu stärken. Die Frage ist: Wie macht man das? Es ist zum Beispiel entscheidend, vor Ort einen Hauptamtlichen zu haben, der sich um alles kümmert. Oder auch einen Mandatsträger, um eine gewisse Struktur zu finanzieren. Dies ist in den ostdeutschen Ländern, wo wir weniger Mitglieder haben als im Westen, besonders wichtig. 

Wie wichtig ist die angekündigte Neuausrichtung der Kommunikation?

Wir müssen die Dinge, die auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene entschieden werden, auch innerhalb der Partei besser erklären und vorbereiten. Die Mitglieder in den Ortsvereinen kommen bei vielen Themen kaum noch hinterher. Bevor du andere überzeugen kannst, musst du über das, was wir machen, gründlich informiert und davon überzeugt sein. Unsere Themen müssen wir schneller transportieren. 

Es braucht auch eine bessere parteiinterne Kommunikation. Das ist wohl unsere größte Herausforderung, auch weil viele Debatten durch Social Media ein Wahnsinnstempo angenommen haben. 

Tobias
Schick

Wir müssen viel offener über die Beziehungen zu Russland diskutieren.

Muss die SPD nach innen mehr unbequeme Debatten zulassen?

Ja, auch um den Bürgerinnen und Bürgern glaubwürdiger gegenüberzutreten. Wir kommen nicht drum herum, wenn wir wieder Erfolg haben wollen. Wir müssen beispielsweise viel offener über die Beziehungen zu Russland diskutieren, ohne unsere Werte aufzugeben oder überfallenen Ländern wie der Ukraine nicht mehr beizustehen. Eine Schwarz-Weiß-Debatte ist wenig hilfreich.

Zu den größten Baustellen der Kommunikation zählen Social Media. Was muss die SPD auf diesem Gebiet verbessern?

Möglicherweise hat die Neuaufstellung an der Spitze der Bundespartei einen positiven Effekt. Einem 30-jährigen Politiker fällt es sicherlich leichter, schnell ein zackiges Reel zu machen und zu posten. Auf dieser Schiene müssen wir mehr machen sowie mutiger und schlauer werden. Bei den Posts sollten wir uns trauen, provokativer und weniger staatstragend aufzutreten, um Aufmerksamkeit zu erregen. Inhalte oder Fakten allein genügen nicht. Entscheidend sind pointierte Meinungen.

Sollte die Die SPD auch jenseits der Sozialen Medien meinungsstärker, kämpferischer und frecher auftreten?

Unbedingt. Wir leben in Zeiten, wo vor allem Populisten zugehört wird. Wer denkt, wir müssen einen besonders intellektuellen Zugang zu den Problemen und Themen in unserer Gesellschaft finden, liegt falsch. Wir brauchen mehr Mut zum Populismus, ohne dabei unseren Wertekompass zu verlieren und die nötige Differenzierung vieler Probleme zu vernachlässigen.

Rund 2.550 User*innen folgen Ihnen auf Instagram. Wie erleben Sie den Austausch dort?

Mich erreichen Hinweise, Anmerkungen oder Beschwerden. Ich bin immer bemüht, zeitnah zu antworten. Erfahre ich von Konflikten, versuche ich zu vermitteln. Oder ich erkläre, warum es beispielsweise bei der Entschlammung eines Sees etwas länger dauert. 

Aber auch der analoge Austausch bleibt wichtig. Immer wieder wird mir bei Bürgergesprächen gesagt: Endlich hat uns das mal einer erklärt. Nicht nur Kommunalpolitiker müssen sich immer wieder fragen: Wie können wir die Leute besser erreichen? Wenn dies gelingt, profitiert auch die SPD.

Tobias
Schick

Es geht vor allem darum, mehr junge Menschen in der Partei in Verantwortung zu bringen.

Wie werben Sie als Oberbürgermeister für die SPD und ihre Inhalte?

Ich bin überparteilicher Oberbürgermeister. In dieser Rolle mache ich fast jeden Sonnabend einen Orts- und Stadtteilrundgang. Hinzu kommen Bürgersprechstunden. 

Auch bei öffentlichen Veranstaltungen bin ich ansprechbar. Die Leute haben Lust auf Diskussionen. Viele Menschen haben Fragen zur Kita, die nicht saniert ist, oder zu kaputten Straßen oder auch zu Migration, Jugendkriminalität und Bildung. Ich mache ihnen klar, dass wir als Kommune für diese Themen nicht oder nur bedingt zuständig sind. Und dass die Bundesregierung und die SPD sagen, dass die Kommunen mehr Geld brauchen.

Beim Bundesparteitag 2023 wurde ein Leitantrag zur Neuausrichtung der Organisationsstruktur der SPD beschlossen. Kreisgeschäftsstellen sollen zu Orten der Begegnung und der politischen Debatten werden, hieß es darin. Ist es dazu in der SPD-Geschäftsstelle Cottbus/Spee-Neiße tatsächlich gekommen?

Ja, auf alle Fälle. Ich würde aber lieber von Themenabenden reden. Aber auch die klassischen Bürgersprechstunden bleiben in der Kommunalpolitik verankert. Diese Sprechstunden haben wir in Cottbus wieder stärker nach vorne gebracht. Nicht nur in der Geschäftsstelle, sondern auch in den Orts- und Stadtteilen.

Der Vorsitzende der SPD Cottbus, Gunnar Kurth, hat neulich erklärt, die zentrale Aufgabe des neuen Vorstands sei die inhaltliche, personelle und strukturelle Weiterentwicklung der SPD vor Ort. Wo liegt es am meisten im Argen?

Von Argem würde ich nicht sprechen. Aber es geht vor allem darum, mehr junge Menschen in der Partei in Verantwortung zu bringen, gleichzeitig die Erfahrungen der Älteren zu flankieren und einen Querschnitt der Gesellschaft abzubilden. Das ist nicht einfach, immerhin geht es um eine ehrenamtliche Tätigkeit. In jedem Ortsvereinen brauchen wir mindestens drei oder vier Menschen, die sich voll einbringen und kontinuierlich den Karren ziehen. 

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