Kultur

Kinofilm „Die Gleichung ihres Lebens“: Wofür eine Frau an der Tafel kämpft

An der männerdominierten Elite-Uni kommt eine junge Frau ins Straucheln: Der französische Film „Die Gleichung ihres Lebens“ erzählt von einer kompromisslosen Einzelkämpferin, die sich neu erfindet. Überragend: Hauptdarstellerin Ella Rumpf.

von Nils Michaelis · 28. Juni 2024
Ella Rumpf in "Die Gleichung ihres Lebens"

Maguerite (Ella Rumpf) kennt nichts besser als Zahlen. Dennoch sagt sie sich eines Tages von der Mathematik los.

Dieses Mathe-Genie wirkt absolut tiefenentspannt: In Schlabberhose und Hausschuhen schlurft Marguerite Hoffmann durch die Uni-Gänge. Doch der erste Eindruck täuscht. Im Kopf der 25-Jährigen finden außer Zahlen nur wenige andere Dinge Platz. Klamotten? Zu profan!

Die junge Frau ist eine Kämpferin, und das an einsamer Front. An der Pariser Elite-Hochschule ENS ist sie die einzige Frau im Promotionsprogramm des angesehenen Professors Laurent Werner. In ihrer Doktorarbeit befasst sie sich mit einem der bekanntesten ungelösten Probleme der Mathematik, der Goldbachschen Vermutung. Marguerites Verbissenheit lässt keinen Zweifel daran, dass sie beweisen kann, dass Goldbach mit seiner Theorie zu Primzahlen richtig lag. 

Stattdessen schmeißt sie unvermittelt alles hin: Als sie ihre Dissertation im Hörsaal präsentiert, entdeckt Lucas, ein Kollege aus dem Promotionsprogramm, einen Rechenfehler. Für Marguerite bricht eine Welt zusammen. Mit der Mathematik, so scheint es, ist Schluss. Noch am gleichen Tag verlässt sie Universität und Wohnheim. 

Vielschichtiger Stoff

So mehrdeutig der Titel (im Original wie auch in der deutschen Version), so vielschichtig ist auch der Stoff dieses Films, der sich in Schubladen wie Empowerment, Coming-of-Age aber auch Romanze einsortieren lässt. „Die Gleichung ihres Lebens“ erzählt vom Haifischbecken der Wissenschaft, wo es Frauen angesichts männlicher Ignoranz und Dominanz umso schwerer haben, gerade im Fach Mathematik. 

Vor allem aber erleben wir, wie ein Mensch während einer existenziellen Krise einen radikalen Neuanfang wagt und dadurch bis dahin weitgehend unbekannte Seiten des Lebens – und auch an sich selbst – nicht nur entdeckt, sondern exzessiv auskostet. Marguerite zieht zu der Tänzerin Noa. Deren pragmatischer Gang durchs Leben, der eine lockere Sexualität einschließt, fasziniert sie zutiefst. Mit gewohnter Kompromisslosigkeit und Experimentierlust saugt sie die neuen Eindrücke auf.

Zudem bringt uns die französische Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Anna Novion eine Figur nahe, die durch die besagte Zeitenwende in ihrem Dasein zu ihrer eigentlichen Bestimmung zurückfindet. Mühsam kratzen die beiden Frauen das Geld für die Miete zusammen. Marguerite nutzt ihr Faible für Zahlen und bessert mit dem Glücksspiel Mah-Jongg die WG-Kasse auf. 

Und auch sonst ist ihre Liebe für Zahlen ungebrochen. In ihrem Zimmer tüftelt sie weiter an dem Beweis der Goldbachschen Vermutung. Eines Tages gesellt sich ausgerechnet ihr Konkurrent Lucas dazu. Dass es nicht bei der gemeinsamen Leidenschaft für Mathe bleibt, überrascht kaum.

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Eine nerdige Außenseiterin entdeckt das „wahre Leben“ und natürlich auch die Liebe: Das mutet im ersten Moment etwas abgeschmackt und vorhersehbar an, wird dem Film aber nicht gerecht. Immer wieder geht die Handlung verschlungene Wege und bietet überraschende Wendungen. Insbesondere Marguerites Verhältnis zu Lucas bleibt lange in der Schwebe. 

All das spiegelt die innere Zerrissenheit der Protagonistin wider: In der Wissenschaft gibt sich Marguerite der puren Logik hin, doch vielen anderen Dingen begegnet sie wie ein staunendes Kind.

Vor allem Hauptdarstellerin Ella Rumpf macht dieses Werk zu einem Erlebnis, nicht zuletzt ihre Präsenz trägt das Ganze. Jedes Extrem ihrer Figur lotet die 29-Jährige ebenso subtil wie überwältigend aus. Dafür wurde die schweizerisch-französische Aktrice in diesem Jahr mit einem César als Beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet.

Die sinnliche Seite der Mathematik

Fans der Mathematik sind keineswegs ein ungewohntes Filmsujet, man denke nur an „Hidden Figures“. Anna Novions Werk beeindruckt auch dadurch, dass es die sinnliche Seite dieses Fachs zum Klingen bringt. Wenn Marguerite und Lucas die Wände der Wohnung mit Zahlenreihen vollkritzeln, liegt darin eine ganz eigene Schönheit, vergleichbar mit einem Gemälde, gefertigt nicht nur von Händen, sondern auch von einem nicht zu bändigenden Bewusstseinsstrom.

Die besondere Tiefe und Energie des Films ist wohl auch der Tatsache zu verdanken, dass Anna Novion persönliche Erfahrungen einfließen ließ. Die haben nichts mit Ziffern, aber viel mit der Filmwelt zu tun. „Wenn man die einzige Frau ist, die diesen Job macht, muss man beweisen, dass man ihn verdient hat, weil man eine Ausnahme ist, eine Anomalie“, sagte sie in einem Interview. Nicht anders ergeht es Marguerite.

„Die Gleichung ihres Lebens“ („Le Théorème de Marguerite“, Frankreich/Schweiz 2023), ein Film von Anna Novion, mit Ella Rumpf, Jean-Pierre Darroussin, Clotilde Courau u.a.,112 Minuten, FSK ab 12 Jahren

Im Kino

https://weltkino.de/filme/die-gleichung-ihres-lebens

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