Kultur

Dokumentarfilm „Eternal You“: Es gibt einen Chat nach dem Tod

Mit Toten in Kontakt treten? Digitale Avatare machen es möglich. Und die Kreativität der Anbieter*innen ist noch lange nicht am Ende. Der Dokumentarfilm „Eternal You“ ist eine berührende und erkenntnisreiche Erzählung über das Geschäft mit der Trauer.

von Nils Michaelis · 21. Juni 2024
Eternal You- Vom Ende der Endlichkeit

Digitale Avatare: Werden sie zum normalen Mittel, um sich an Verstorbene zu erinnern?

Vor einer grünen Wand steht eine Frau mit Virtual-Reality-Headset. Mit Spezialhandschuhen fuchtelt sie in der Luft herum: Sie versucht, jemanden zu umarmen. Es ist ihre tote Tochter. Als virtueller Avatar steht das Mädchen in diesem Moment ihrer Mutter gegenüber. Millionen Fernsehzuschauer*innen können verfolgen, wie sie reale Tränen vergießt.

Diese Szene ist kein Science-Fiction, sondern Realität. Jene Mutter trat im Jahr 2020 in der südkoreanischen TV-Show „Meeting You“ auf. Die besagte Szene ging viral, sorgte aber auch für Empörung. Auch Jahre später ist der Moment, wo Jang Ji-sung versucht, den Abschied von ihrem an Leukämie gestorbenen Kind nachzuholen, zutiefst verstörend.

Womöglich ist all das der Ausdruck einer neuen Realität. Die Aufnahmen aus dem Fernsehstudio bilden die Klammer des Dokumentarfilms „Eternal You“. Dieser befasst sich mit einem besonders irritierenden Trend des digitalen Zeitalters: nämlich mit Wegen, Trauernden den Kontakt mit ihren verstorbenen Lieben zu ermöglichen, Letztere gewissermaßen zurück ins Leben zu holen

Ein tiefes menschliches Bedürfnis

Das mag im ersten Moment morbide klingen. Doch die deutschen Filmemacher Hans Block und Moritz Riesewieck zeigen, wie sehr derlei technische Innovationen ein tief in der menschlichen Psyche verankertes Bedürfnis bedienen. Einst wurde das Hoffen auf ein Leben nach dem Tod von Religionen gefüttert. Heute füllen Start-ups die Lücken, die schwindende religiöse Bindungen hinterlassen haben. Und sie scheinen immer erfolgreicher zu werden.

Anhand konkreter Beispiele verfolgt der Film jenes Streben nach einer neuen Transzendenz. Wir begegnen (allesamt männlichen) Tüftlern, die mit bisweilen noch unausgereiften, auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierenden Anwendungen am Markt sind und sich mehr Reichweite erhoffen. Und wir beobachten, wie Menschen diese neuen Angebote nutzen, die darauf beruhen, ein virtuelles Profil mit den Daten eines Verstorbenen zu füttern. 

Es geht um Profit

Gezeigt werden also beide Seiten eines kapitalistischen Verwertungszusammenhangs, der letztendlich Vorbildern vergangener Epochen folgt. Und doch wird man das Gefühl nicht los, dass dieses Geschäft mit der Trauer von einer neuen Dimension ist.

Block und Riesewick, beide Jahrgang 1985, beziehen keine eindeutige Position. Vielmehr zeigen sie auf, was möglich ist und was nachgefragt wird. Und wie die Nachfrage möglicherweise durch neue Angebote getriggert wird. Wer mehr über ihre persönliche Sicht der beiden erfahren möchte, sollte ihr Essay „Vom Ende der Endlichkeit - Unsterblichkeit im Zeitalter Künstlicher Intelligenz" lesen. Gleichwohl finden in dem Film auch kritische Stimmen Raum.

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Das besagte Buch erschien im Jahr 2020. Seitdem ist einiges ins Rollen gekommen, werden mit KI nicht nur Ängste, sondern auch Hoffnungen verbunden. Bei Aspekten wie Tod und Trauer stellen sich besonders viele Fragen. Gehören die Daten einer oder eines Toten am Ende einem Unternehmen, entscheidet dieses also, wann man „sterben“ darf? 

All diese Punkte verdichten sich während der Interviewsequenzen in den USA, in Kanada, Neuseeland und Südkorea. Start-up-Gründer beschreiben ihr Konzept und ihre Vision. User*innen berichten über ihre Erfahrungen. Persönliche Schicksale werden greifbar.

Etwa das von Christi Angel. Die tiefgläubige New Yorkerin hatte keine Gelegenheit, sich von ihrem Partner zu verabschieden. Nun spricht sie mit seinem Avatar. Während des Chats macht sie äußerst beunruhigende Erfahrungen. Das führt zu einer wichtigen Frage: Was ist, wenn die auf Profit ausgerichtete Begegnung mit Verstorbenen nicht das gewünschte, also auf Heilung ausgerichtete Ergebnis bringt? Wie viel Eigenleben entwickelt ein von der KI erschaffenes Wesen? 

Ein Geschäft wie jedes andere?

Man bekommt nicht das Gefühl, dass sich die Menschen hinter den Innovationen einer besonderen Verantwortung bewusst sind. „Es ist nicht unsere Aufgabe, den Leuten zu sagen: ,Denke daran, das ist alles nur eine Illusion. Ich bin nicht real'", sagt Jason Rohrer. Der erfolgreiche Spieledesigner hat die Plattform entwickelt, die Angel und Tausende andere Kunden nutzen, um mit KI-Simulationen der Toten zu chatten. Ist dieses besonders sensible Geschäft am Ende eines wie jedes andere?

Man muss kein Tech-Nerd sein, um sich von dem besonderen Sog dieses Dokumentarfilms packen zu lassen. Block und Riesewick gelingt es, technische und gesellschaftliche Trends zusammenzuführen, für ein breites Publikum anschaulich zu machen und darüber hinaus mit geisteswissenschaftlichen Perspektiven zu verknüpfen. 

Anhand eines zunächst wie ein Nischenthema wirkenden Blickwinkels gibt „Eternal You" Denkanstöße zu der Frage, wo wir im digitalen Zeitalter stehen – oder wo wir stehen wollen.

„Eternal You – vom Ende der Endlichkeit“ (Deutschland/USA 2024), ein Film von Hans Block und Moritz Riesewieck, 87 Minuten, OmU, FSK ab 12.

http://farbfilm-verleih.de/filme/eternal-you-vom-ende-der-endlichkeit/

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