Meinung

Wie die Energiewende ein Siegeszug wie beim Smart-Phone wird

Der Lösung der Klimakrise führt über die Energiewende. Energie muss demokratischer, dezentraler und digitaler werden. Die Voraussetzungen dafür sind längst da.
von Matthias Miersch und Klaus Mindrup · 15. September 2023
Vorfahrt für die Windkraft. Die SPD will, dass Deutschland und die EU auch in Zukunft ein moderner Industriestandort sind.
Vorfahrt für die Windkraft. Die SPD will, dass Deutschland und die EU auch in Zukunft ein moderner Industriestandort sind.

Die SPD war in ihrer Geschichte immer die Partei der Aufklärung und der Befreiung der Menschen aus Zwängen und Gefahren. Das ist in der heutigen Zeit bezogen auf die Energie- und Klimapolitik dringender denn je.

Im Sinne einer rationalen, aufgeklärten und mit den zukünftigen Generationen solidarischen Politik ist eines völlig klar: Weder die fossilen Energien noch die Atomenergie sind vertretbare Optionen. Die einen schaden dem Klima, die anderen sind zu teuer und zu gefährlich. Deswegen ist eine völlige Befreiung aus der nuklear-fossilen Welt notwendig.

Eine weltweite Revolution für Erneuerbare Energien

Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts – also vor nicht einmal 30 Jahren – galt dies als nahezu unmöglich. 1995 erreichte der Solarenergie-Förderverein Aachen e.V., dass in Aachen eine kostendeckende Vergütung in Höhe von zwei D-Mark pro Kilowattstunde für Strom aus Photovoltaikanlagen eingeführt wurde, welche bundesweit unter der Bezeichnung Aachener Modell bekannt wurde.

Mit dem Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG) hat die SPD mit Herrmann Scheer im Jahr 2000, basierend auf dem Grundkonzept der kostendeckenden Vergütung, eine weltweite Revolution auf den Weg gebracht. Heute sind die Erneuerbaren Energien – Photovoltaik und Wind – in nahezu allen Regionen der Welt kostengünstiger als alle fossil-atomaren Alternativen. Vor allem deswegen waren allein im Jahr 2022 laut Angaben der Internationale Organisation für Erneuerbare Energien IRENA 86 Prozent der 2022 neu installierten Strom-Erzeugungsanlagen Erneuerbare, insgesamt 295 Gigawatt.

Eine Leistung von 300 Atomkraftwerken

In Deutschland hat die Ampel-Koalition die Bremsen für den Ausbau von Wind und Photovoltaik beseitigt und realistische Ausbauziele beschlossen, die auf der einen Seite die Klimaschutzziele berücksichtigen und auf der anderen Seit den wachsenden Stromverbrauch aufgrund der Anwendungen im Transport (Elektro-Fahrzeuge), Wärme (vor allem Wärmepumpentechnologien) und in der Industrie. Diese Anwendungen werden auch als Sektorkopplung bezeichnet. Bis 2030 sollen laut den Plänen der Bundesregierung 320 GW Wind an Land und PV in Deutschland installiert sein. Überdies soll die Kapazität von Wind auf See bis 2030 auf 30 GW wachsen. Insgesamt eine Leistung von ca. 300 Atomkraftwerken. 

Ähnlich wichtig wie die Erhöhung der Ausbauziele für die Erneuerbaren Energien war die Abschaffung der EEG-Umlage durch die Ampel-Koalition. Strom aus Erneuerbaren Energien für Wärmepumpen und Elektroautos ist so konkurrenzfähiger geworden, Fehlanreize im Energiesystem wurden reduziert.

Das System der Energieversorgung muss umgebaut werden

Ebenso wichtig wie die Beschlüsse zum Ausbau der Erneuerbaren Energien, ist es nun das System unserer Energieversorgung umzubauen. Wind und Photovoltaik speisen den Strom hauptsächlich bei den Verteilernetzbetreibern auf Hoch-, Mittel- und Niederspannung ein. Diese Netze sind bisher aber vor allem auf die Verteilung von Strom aus Großkraftwerken an die Endverbraucher*innen ausgerichtet, nicht auf die Aufnahme. Sie werden in den nächsten Jahren aus- und umgebaut werden müssen.

Aus zwingend physikalischen Gründen muss die dezentrale, nutzungsnahe Bereitstellung durch Wind- und Sonnenstrom neben dem Netzausbau mit intelligenten Speichern, Batteriesystemen, Pumpspeichern, thermischen Speichern und der Nutzung von Überschussstrom zur Erzeugung von Wärme für Wärmenetze, von Wasserstoff sowie intelligenter Steuerung kombiniert werden. Ergänzt wird dieses System durch große Wind- und Solarparks, deren kostengünstigen Strom wir vor allem für die energieintensive Industrie brauchen.

Veraltete Regulierung als Bremserin

Die schwankend einspeisenden Energien Wind und Photovoltaik brauchen diese Systeme als Flexibilitätspartner. Nicht nur in Deutschland, auch weltweit wird an entsprechenden technischen Lösungen geforscht, und es gibt daher schon viele marktreife und wirtschaftliche Technologien.

Deren Einsatz in Deutschland steht in vielen Fällen eine veraltete Regulierung entgegen, die noch auf dem zentralisierten Stromsystem ohne Sektorkopplung und Flexibilitätstechnologien basiert. So ist nicht zu erklären, warum in Deutschland die räumliche Verschiebung von Energie durch Netzausbau fast immer der zeitlichen Verschiebung durch den Einsatz von Speichern oder auch der Nutzung in anderen Sektoren vorgezogen wird. Wir brauchen mehrere technische Optionen und Prüfungen, was im Einzelfall physikalisch und wirtschaftlich sinnvoller ist.

So wird der nächste Boom folgen

Schlüssel zur Umsetzung und der Akzeptanz der Energiewende bleibt die faire Beteiligung der Menschen. Integrierte Lösungen im Dorf oder im Quartier zur Erzeugung, Speicherung und Einsparung von Energie sind in den meisten Fällen deutlich kostengünstiger und damit sozialverträglicher als Einzelhauslösungen. Umso bedauerlicher ist es, dass der Bundeswirtschaftsminister immer noch keinen Vorschlag zur Bildung von Energiegemeinschaften vorgelegt hat, obwohl ihn EU-Recht dazu verpflichtet und ihn alle Koalitionsfraktionen in einem Antrag dazu aufgefordert haben.

Der Boom bei den Balkon-Solaranlagen und beim Ausbau der Photovoltaik auf Einfamilienhäusern zeigt, wie hoch die Akzeptanz für den Ausbau der Erneuerbaren ist. Jetzt brauchen wir auch gute Regeln für Mehrfamilienhäuser, Quartiere, Dörfer sowie für Gewerbe und Industrie –unter Einschluss von Wind an Land. Dann wird der nächste Boom folgen.

Dogmen helfen nicht weiter

Dogmen wie „Effizienz zuerst“ oder „Strom muss teuer sein“ helfen uns dagegen nicht weiter. Die SPD will, dass Deutschland und die EU auch in Zukunft ein moderner Industriestandort sind. Dabei wollen wir uns durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien lokal, national und in europäischen Gemeinschaftsprojekten wie dem Aufbau von „Wind auf See“ in der Nord- und Ostsee unabhängig von Importen von Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran machen. Dies ist auch eine Friedens- und Sicherheitsfrage. Dezentrale Erneuerbare Energien sind Friedenstechnologien und dazu noch kostengünstiger als die fossil-atomaren Alternativen.

Diese gesunkenen Kosten müssen aber bei der Industrie, dem Mittelstand und allen Menschen in unserem Land ankommen. Das ist keine Frage der Verfügbarkeit von Technologien mehr, es ist eine Frage guter Regulierung zur Nutzung dieser Technologien und zur breiten Beteiligung der Menschen. Die Energiewende muss demokratischer, dezentraler und digitaler werden. Im Bereich der Wärmeversorgung macht es uns Dänemark vor: keine teuren Einzellösungen, dafür Wärmenetze in der Hand von Stadtwerken und Genossenschaften.

Das Ziel ist zum Greifen nah

Der Blick in den Rückspiegel und atomare Mythen helfen uns dagegen nicht weiter. Der weitaus größte Teil, der jetzt angeblich in Europa geplanten Atomkraftwerke wird, schon aus Kostengründen nie gebaut werden. Das wird eine Fata Morgana bleiben. Die Diskussion dient einzig dazu, die Energiewende zu sabotieren und die notwendigen Entscheidungen nach hinten zu schieben, um damit den fossil-atomaren Wirtschaftskomplex noch einige Jahren Einnahmen zu sichern, bis die Akzeptanz aufgrund der hohen Kosten und der Klimakrise zusammenbricht.

Unser Ziel ist es, preisgünstige, erneuerbare und klimafreundliche Energie für alle zu sichern. Das Ziel ist keine ferne Utopie, es ist zum Greifen nah. Und wenn wir jetzt entschieden handeln, wird das ein Siegeszug wie beim Smart-Phone. Niemand möchte heute sein altes analoges Telefon zurück.

Wir haben die Lösungen, um die augenblickliche Krise hinter zu uns zu lassen. Was wir jetzt brauchen, ist ein breites gesellschaftliche Bündnis zum Handeln mit der SPD an der Spitze.

Autor*in
Matthias Miersch und Klaus Mindrup

Matthias Miersch ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und zuständig für die Bereiche Umwelt, Klimaschutz, Energie, Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz.

Klaus Mindrup ist Diplom-Biologe, seit den 80er Jahren als Unterstützer der Erneuerbaren Energien aktiv, u.a. im Bundesvorstand des Bundesverbandes WindEnergie von 2009 bis 2013. Er war Mitglied des Bundestags von 2013 bis 2021 und dort u.a. Berichterstatter für das Bundesklimaschutzgesetz und das Mieterstromgesetz. Aktuell ist er als Consultant national und international aktiv sowie u.a. Mitglied im Rat für Bürgerenergie.

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