Inland

Warum Atomenergie keinen Beitrag zur Energiewende leisten kann

Der Ausstieg aus der Kohle ist beschlossen. Doch weil der Ausbau der Erneuerbaren Energien stockt, fordern Lobbyverbände eine Renaissance der Atomenergie. Energieexpertin Claudia Kemfert hält davon überhaupt nichts und warnt vor Kosten und Risiken.
von Benedikt Dittrich · 29. Januar 2020
Atomkraft als Ersatz für russisches Erdgas? Eine weltfremde Debatte.
Atomkraft als Ersatz für russisches Erdgas? Eine weltfremde Debatte.

Rund 50 Jahre ist es her, dass sich erstmals Widerstand gegen die Stromerzeugung mittels Atomkraft regte. Unsicher, riskant, gesundheitsschädlich – diese Aspekte werden seither mit der Atomenergie verbunden, in den vergangenen Jahrzehnten stieg mit den atomaren Unfällen in Tschernobyl in der heutigen Ukraine 1986 sowie Fukushima in Japan 2011 die Skepsis gegenüber dieser Form der Energieerzeugung. In Deutschland wurde nach dem Super-GAU (größter anzunehmender Unfall) in Japan der endgültige Ausstieg aus der Atomkraft besiegelt.

Nach einem längeren Tauziehen gab es damals einen parteiübergreifenden Konsens, dass der Ausstieg aus der Atomkraft einhergeht mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien. Doch seitdem es beim Ausstieg aus der Kohle und dem Ausbau von Windkraft und Solarenergie knirscht, scheint die Atomenergie auf einmal wieder eine Rolle in der Energiewende zu spielen. Auf der Liste der Unterstützer*innen steht unter anderem die internationale Energieagentur IEA, die Subventionen für die nukleare Energieerzeugung fordern, in diversen Analysen wird Atomenergie außerdem in einem Zug mit Erneuerbaren Energien als klimafreundliche Stromquelle genannt. Mit Verweis auf Pläne in Nachbarländern und die vermeintliche klimaneutrale Energieerzeugung werben Branchenvertreter*innen und Lobbyisten für eine Renaissance der Kernkraft in Europa und weltweit – im Sinne des Klimaschutzes.

Die Mär von der sauberen Energie

Energieexpertin Claudia Kemfert hält von diesen Überlegungen überhaupt nichts: „Die Atomkraft taugt nicht als angebliche Klimaschutztechnologie“, sagt die Wissenschaftlerin. Erneuerbare Energien seien deutlich preiswerter und risikoärmer als Atomenergie „und somit die Technik erster Wahl“. Von einer Renaissance könne keine Rede sein, da weltweit immer weniger Anlagen im Einsatz seien, geschweige denn neue errichtet würden.

Kemfert ist Abteilungsleiterin für Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW). Sie hat sich zusammen mit ihren Mitarbeiter*innen bereits im vergangenen Jahr mit der Argumentation der Atomaktivist*innen auseinandergesetzt. Sie kommen zu einem eindeutigen Fazit: „Das Narrativ 'Atomkraft für Klimaschutz' ist alt, aber heute genauso unzutreffend wie in den 1970er Jahren. Die Beschreibung von Atomkraft als 'saubere' Energie ignoriert die erheblichen Umweltrisiken und nicht zu vernachlässigenden Emissionen über die Prozesskette hinweg.“

Teuer, riskant, hoch subventioniert

Auch aus wirtschaftlicher Sicht hält Kemfert eine Rückkehr zur Atomkraft für fatal: „Atomkraft ist extrem teuer, somit nicht wirtschaftlich und nur dort überhaupt noch im Einsatz, wo hohe staatliche Subventionen gezahlt werden oder Staatskonzerne selbst den Bau der Anlagen übernehmen.“

Die Atomaktivist*innen hingegen argumentieren damit, dass die eigentliche Erzeugung des Stroms nahezu klimaneutral ablaufe und damit Kernenergie einen Beitrag zur Energiewende leisten könne – vor allem mit Blick auf die Grundlast, also der notwendigen Strommenge, die zuverlässig und beständig zur Verfügung stehen muss. Diese Grundlast wird bisher vor allem von Kohlekraftwerken übernommen, die ihre Energieerzeugung an die schwankende Energieerzeugung von Windkraft und Photovoltaik anpassen und so die Netzspannung stabil halten.

Es zählt nicht nur die CO2-Bilanz

Diese Argumentation taugt nach Ansicht der DIW-Expert*innen ebenfalls nicht – denn dabei werde die gesamte Wertschöpfungskette ignoriert. Denn unabhängig von der CO2-Bilanz werden beim umweltschädlichen Abbau von Uran, das für den Betrieb von Atomkraftwerken gebraucht wird, ganze Landstriche unbrauchbar gemacht. Außerdem sei das Problem der Endlagerung weiterhin nicht gelöst, die langfristigen Risiken für die Menschheit also gar nicht abschätzbar.

„Atomkraft kann nicht als saubere Energiequelle bezeichnet werden“, schreiben die Wissenschaftler*innen in ihrem Bericht. Hinzu kommt, dass bereits der Rückbau der bestehenden Atomkraftwerke in Deutschland noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen dürfte, da die weiterhin strahlenden Bestandteile der Anlagen aufwendig zerlegt und entsorgt werden müssen. Das AKW Unterweser in Niedersachsen wurde 2011 stillgelegt, nach aktuellem Stand soll der Rückbau 15 Jahre dauern – also bis 2026.

Auch der Verweis auf die Pläne anderer Länder, die weiterhin neue Atomkraftwerke planten, wird in dem Bericht entkräftet: Trotz des Baus neuer Atommeiler, die teilweise auch auf neuartige Druckwasserreaktoren setzen, gehe der Einsatz der Atomkraft weltweit zurück. Hauptgrund: explodierende Kosten auch bei neuen Anlagen sowie die fehlende Rentabilität der Anlagen. „Atomenergie ist teuer, risikoreich und verursacht Atommüll, der nirgendwo gelagert werden kann, aber Jahrhunderte strahlt“, fasst Kemfert die Bilanz zusammen.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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