Meinung

20 Jahre Frauen im Wehrdienst: Sich immer wieder erneut unter Beweis stellen müssen

Vor 20 Jahren machte der Bundestag den Weg frei für Frauen im Wehrdienst. Wenige Monate später begann Anne Bressem ihre Grundausbildung bei der Bundeswehr. Ein Rückblick mit Stolz, etwas Schmerz und einem dringenden Appell.
von Anne Bressem · 27. Oktober 2020
(Fast) allein unter Männer: Vor 20 Jahren begann Anne Bressem die Ausbildung bei der Bundeswehr, als eine der ersten Frauen an der Waffe.
(Fast) allein unter Männer: Vor 20 Jahren begann Anne Bressem die Ausbildung bei der Bundeswehr, als eine der ersten Frauen an der Waffe.

Es ist der 27. Oktober 2020 – um 5.30 Uhr klingelt der Wecker, ich stehe auf, koche Kaffee, verstaue die Brotbüchsen der Kinder, mache sie mit meinem Mann fertig für die Kita. Die drei sind los, ich bin im Bad und setze um 7.20 Uhr einen Tweet ab.

Auf meiner Fahrt von Sondershausen nach Erfurt ins Thüringer Innenministerium ziehen Bilder meiner Dienstzeit an mir vorbei. Ich schreibe gerade diese Zeilen und spüre, wie bewegt ich bin. Am 27. Oktober 2020 bin ich Frau Oberstleutnant und schaue zurück. Riesige Meilensteine liegen hinter mir. 

Dienstantritt 2001: Nur von Männern umgeben

Am 3. September 2001 sitze ich im Zug nach Bayreuth, die Taschen für mehrere Wochen gepackt. Ich bin stolz, das Offizierbewerberauswahlverfahren erfolgreich durchlaufen zu haben und nun mächtig aufgeregt, was mich erwartet. Am Bayreuther Bahnhof werde ich von Soldaten in Empfang genommen, wir fahren in die Kaserne des damaligen Luftwaffenausbildungsregiments 3. Meine Grundausbildung beginnt, ich werde eingekleidet, bin von nun an „Flieger“, also Soldatin der Luftwaffe und damit eine der ersten Frauen im aktiven Dienst an der Waffe.

Was das an Herausforderungen mit sich bringen wird, war mir zu seiner Zeit nicht bewusst, heute umso mehr. Natürlich ist es ungewohnt, von nahezu ausschließlich Männern umgeben zu sein, Kampfstiefel zu tragen, das G 36 oder das Maschinengewehr im Dauertempo zerlegen und zusammen setzen zu müssen. Natürlich ist es ungewohnt, ständig im Marsch unterwegs zu sein, nächtelang mit Schlafentzug umgehen zu müssen. Öfter frage ich mich, was mache ich hier eigentlich und bin damit nicht allein.

Der Weg zur Offizierin: Schlafmangel und Höhenangst

Die bestandene Grundausbildung ist der erste Schritt, auf den ich in meiner noch jungen militärischen Laufbahn stolz bin. Es folgen spannende Monate an der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck.

Ich habe die Offizierlaufbahn eingeschlagen und mein weiteres Ziel, das Offizierpatent vor Augen. Nach zehn Monaten soll ich es in den Händen halten. Wir jungen Offizieranwärterinnnen und Offizieranwärter tanzen nach einer sehr anspruchsvollen Zeit auf unserem Offiziersball. Ich bin unfassbar erleichtert, diese anstrengenden Monate geschafft zu haben. Ein Ausbildungsabschnitt bleibt mir hier sehr in Erinnerung. Wir alle fürchteten uns ein wenig vor dem „Überlebenslehrgang“ in Schongau. Ich schaue zurück auf akuten Schlafmangel, unglaubliche Kälte, körperliche Schmerzen und besondere Grenzerfahrungen. Meine Höhenangst überwinden zu müssen, ist eine davon.

Ich muss über diesen 75 Meter hohen Seilsteg. Der Ausbilder sagt, schau auf den Horizont, konzentrier Dich nur darauf, dann schaffst Du es. Und so ist es. Wir sind mit Schongau im schönen Bayern, ich schaue auf die Alpen und vergesse für den Moment meine Angst. Jetzt kommt die 25 Meter hohe Steilwand, an der ich mich abseilen muss. Ein Nein kommt für mich nicht in Frage. Auch diese Hürde schaffe ich und überstehe den Lehrgang einige Kilos leichter. Ich halte meine Urkunde in den Händen und mir kullern die Tränen über meine Wangen.

Ich kann das Gefühl kaum beschreiben, aber jener Moment steht für viele Wegmarken meiner Dienstzeit. Ich studiere Politikwissenschaften an der Helmut-Schmidt-Universität, absolviere im Nachgang meine Ausbildung zum Jägerleitoffizier, wechsle in die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in der ich meine Leidenschaft für Kommunikation entdecke und will von nun an dieser auch verbunden bleiben.

Neue Aufgaben und argwöhnische Blicke

Ich lerne unfassbar viele tolle Menschen kennen, erlebe schönste Moment der Kameradschaft, aber auch schwierige Momente und Krisen. Oft habe ich das Gefühl als eine der ersten Frauen, mich immer wieder erneut unter Beweis stellen zu müssen. Ein Druck, der über die Jahre wächst. Der wichtigste Meilenstein liegt erfolgreich hinter mir. Ich bin Jägerleitoffizier und führe Luftkampfszenarien über Radarbild. Die Wenigsten können sich vorstellen, wie anstrengend und herausfordernd diese Ausbildung mit einer hohen Durchfallquote ist. Ich verbringe acht Monate täglich als einzige Frau unter etwa 20 Männern meinen Dienst mit argwöhnischen Blicken, zahlreichen Anfeindungen und nur einem Kameraden, der offen zu mir hält. Ich fühle mich allein, oft an meiner Belastungsgrenze.

Ich will diese Ausbildung schaffen und muss mich täglich mit Sprüchen und Feinseligkeiten auseinandersetzen. Diese Monate haben mich sehr geprägt. Ich schaffe die Ausbildung, aber mit Blessuren. Noch heute kann ich mich an das Gespräch mit meinem Vater erinnern, dem ich nach der erfolgreich bestandenen Prüfung unter Tränen meinen Schmerz beichte. Die damals fehlende Unterstützung, auch der Vorgesetzten, hat Spuren und damit auch Wunden hinterlassen.

Nach 20 Jahren: Die Bundeswehr kann mehr

Heute blicke ich aus meinem Büro im Thüringer Innenministerium auf die schöne Stadt Erfurt und weiß, wofür sich die Strapazen gelohnt haben. Ich bin der Bundeswehr dankbar, mir die Chance gegeben zu haben, für meinen aktuellen Chef, den Thüringer Innenminister, Georg Maier, sprechen zu dürfen. Ich bin nach wie vor aktive Soldatin, Frau Oberstleutnant und Sprecherin des Thüringer Innenministeriums. Auch diese Wege offenbart ein attraktiver Arbeitgeber, wie die Bundeswehr.

Und wenn ich meinem Dienstherrn oder vielmehr meiner Chefin, der Verteidungsministerin Annegret-Kramp-Karrenbauer, noch eine Empfehlung mit auf den Weg geben darf. Machen Sie die Bundeswehr für die 50 Prozent der deutschen Bevölkerung noch attraktiver und bringen weibliche Dienstgrade auf den Weg. Ich bin aktuell von so vielen tollen Mitarbeiterinnen als Regierungsdirektorinnen, Oberregierungsrätinnen oder Polizeioberkommissarinnen umgeben. Warum also nicht auch Oberstleutnantin!?

Die Bundeswehr kann mehr, sie muss mehr. Es liegt an Ihnen Frau Ministerin, Sie schaffen das!

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Anne Bressem

Ist Sprecherin im thüringischen Innenministerium, Oberstleutnant der Bundeswehr und Bundestagskandidatin der SPD für den Wahlkreis Eichsfeld-Nordhausen-Kyffhäuserkreis.

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