Meinung

Verteidigung: Warum wir die Zeitenwende europäisch denken müssen

Seit ihrer Gründung ist die Europäische Union ein Friedensprojekt. Russlands Angriff auf die Ukraine hat das erschüttert. Der Krieg zeigt aber auch, wo die EU bei der Verteidigung besser werden muss, meint Katarina Barley.

von Katarina Barley · 9. Mai 2024
Die Zeitenwende europäisch denken: Nur gemeinsam haben wir die Ressourcen, um Frieden in Europa nachhaltig zu sichern, meint SPD-Politikerin Katarina Barley.

Die Zeitenwende europäisch denken: Nur gemeinsam haben wir die Ressourcen, um Frieden in Europa nachhaltig zu sichern, meint SPD-Politikerin Katarina Barley.

Was Krieg bedeutet, hat sich tief in das Bewusstsein meiner Familie eingebrannt. Mein Vater, Jahrgang 1935, wuchs in der Nähe einer Royal Air Force Basis auf und liebte es als Kind, die Flugzeuge zu beobachten, die dort aufstiegen. Meine Mutter ist 1940 geboren und flüchtete einen Tag nach den verheerenden Bombardierungen durch die britische Armee mit ihrer Familie durch Dresden. Dieselben Bomber, denen mein Vater als Kind zujubelte, hätten um ein Haar seine spätere Frau treffen können, meine Mutter.

Damit hat Putin nicht gerechnet

Frieden in Europa ist kostbar und wir haben ihn lange als selbstverständlich wahrgenommen. Der brutale russische Angriffskrieg in der Ukraine hat uns gezeigt, dass das ein Fehler war. Aber er hat auch gezeigt, dass die EU und die NATO zusammenhalten, wenn es darauf ankommt. Damit hat Putin nicht gerechnet. Die EU hat beispiellose Sanktionen gegen Russland verabschiedet, durch die „European Peace Facility“ die Finanzierung von Waffenlieferungen an die Ukraine vereinfacht und unterstützt die Ukraine auf ihrem Weg zur EU-Mitgliedschaft.

Die NATO steht seit 75 Jahren für transatlantische Sicherheit und ist wichtige Grundlage für Frieden in Europa. Sie ist heute auch durch deutsches Engagement so stark wie lange nicht. Sie schreckt Putin davon ab, seinen Krieg auszuweiten. Wir müssen dafür sorgen, dass das so bleibt – auch unabhängig davon, wer als nächstes Präsident in den USA wird.

Friedenspolitik aus einer Position der Stärke heraus

Die SPD als Friedenspartei hat das verstanden. Schon Willy Brandt hat seine Entspannungspolitik aus einer Position der Stärke heraus betrieben. Sie fand unter dem Schutzschirm der NATO statt. Während Brandts Kanzlerschaft wurde zwischen 1970 und 1972 der Anteil der deutschen Rüstungsausgaben am BIP von 3,2 auf 3,4 Prozent erhöht. Die Bundesregierung unter der Führung von Olaf Scholz hat unmittelbar auf die russische Aggression reagiert und die verteidigungspolitische Zeitenwende eingeleitet. Nach 16 Jahren des Missmanagements und der Sparpolitik von CDU-Verteidigungsministerinnen und -ministern nehmen wir richtig viel Geld in die Hand, um die Bundeswehr so aufzustellen, dass sie den neuen konkreten Bedrohungen gemeinsam mit unseren Verbündeten dauerhaft gewachsen sein wird.

Es geht aber nicht nur um mehr Geld. Es geht auch darum dieses Geld möglichst effizient zu nutzen und uns in Europa so zu organisieren, dass wir mehr Verantwortung für unsere eigene Sicherheit übernehmen können. Wir wollen die europäische Säule der NATO stärken und das bedeutet, dass wir innerhalb der EU endlich Verteidigungspolitik gemeinsam denken müssen. Es gibt insbesondere auf bilateraler Ebene große Fortschritte auf dem Weg zu mehr Kooperation, die oft nicht so viel Beachtung finden – wichtige Truppenteile der Niederlande sind zum Beispiel der Bundeswehr unterstellt. Das ist ein beachtlicher Anfang.

Die Rolle des Europäischen Parlaments stärken

Wir müssen zudem endlich besser werden bei der gemeinsamen Entwicklung und Beschaffung auf europäischer Ebene. Wir brauchen harmonisierte Standards und einheitlichere Zertifizierungsverfahren sowie eine koordinierte Rüstungsexportpolitik in einem europäischen Binnenmarkt der Verteidigung und eine schrittweise Liberalisierung des europäischen Verteidigungsmarktes für Produkte, die nicht als nationale Schlüsseltechnologien gelten.

Wir müssen mehr Synergien zwischen NATO-und EU-Planungsprozessen erzeugen und die verschiedenen Innovationsinitiativen besser koordinieren. Auf europäischer Ebene müssen wir insbesondere das Einstimmigkeitsprinzip im Rat, wo es heute noch gilt, durch Mehrheitsentscheidungen ablösen und sollten dringend auch einen Rat der Verteidigungsministerinnen und -minister einführen. Auch die Rolle des Europäischen Parlamentes in der Außen- und Sicherheitspolitik wollen wir deutlich stärken.

Wir müssen die Zeitenwende europäisch denken – nur gemeinsam haben wir die Ressourcen, um Frieden in Europa nachhaltig zu sichern. Das bedeutet nicht, dass die USA nicht unser wichtigster Sicherheitspartner bleiben – ganz im Gegenteil. Es bedeutet, dass die europäischen Staaten zusammen ein gleichberechtigterer Partner in dieser Partnerschaft werden.

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Katarina Barley

ist Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments.

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