Meinung

Solingen: Warum Zusammenhalt mehr hilft als leere Versprechungen

Zusammenhalt statt Spaltung, Besonnenheit statt unrealistischer Forderungen – das ist nach dem Anschlag von Solingen das Gebot der Stunde. Auch um den Menschen, die trauern, Ängste und Sorge haben, wieder Sicherheit zu geben, kommentiert vorwärts-Redakteur Jonas Jordan.

von Jonas Jordan · 28. August 2024
Tim Kurzbach ist Oberbürgermeister von Solingen

Tim Kurzbach ist Oberbürgermeister von Solingen

Nach dem grausamen Anschlag von Solingen war die Trauer, die Wut und das Entsetzen groß. Ein mutmaßlicher Islamist soll drei Menschen getötet und acht weitere verletzt haben. Nur wenige Stunden danach begannen Empörung und Schuldsuche. Dabei hilft es wenig, verzweifelt nach einem Schuldigen zu suchen. Wichtiger sind Zusammenhalt und Zuversicht.

Was der Oberbürgermeister sagte, half

Insofern fand Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) schon kurz nach der Tat sehr treffende, weil auch sehr persönliche Worte. Er sprach über seine Tränen, seine Trauer, darüber, dass er für diejenigen beten wolle, die zu diesem Zeitpunkt noch um ihr Leben kämpften. Er beschwor den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft und schuf so ein Gemeinschaftsgefühl in den schwersten Stunden. Das half.

Was nicht hilft, sind undurchdachte Reaktionen, die entweder mit der Tat wenig zu tun haben oder überhaupt nicht umsetzbar sind. Zum Beispiel Einbürgerungen zu erschweren. Der mutmaßliche Täter hat keinen deutschen Pass. Oder generell keine Menschen aus Afghanistan und Syrien mehr in Deutschland aufzunehmen.

Das Recht auf Asyl abzuschaffen, hilft nicht

Das Recht auf Asyl ist in Deutschland ein individuelles Grundrecht. Es ist schlichtweg nicht möglich, dass Menschen aus einzelnen Ländern willkürlich zu verwehren. 

Man könnte auf die Idee kommen, das Recht auf Asyl in Deutschland grundsätzlich abzuschaffen, was von den relevanten politischen Kräften zum Glück niemand will. Selbst dann stünden völkerrechtlich bindende Regelungen wie die Genfer Flüchtlingskonvention oder die Europäische Menschenrechtskonvention im Wege. Die Verfassung lässt sich ohnehin nicht so ohne Weiteres ändern.

Was auch nicht half, war die reflexhafte Suche nach einem Schuldigen. Denn zwar war schnell klar: Eigentlich hätte der mutmaßliche Attentäter gar nicht mehr in Deutschland sein sollen. Seine Abschiebung aus Nordrhein-Westfalen nach Bulgarien war jedoch gescheitert.

 Deswegen blickten erst einmal alle auf den nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul von der CDU. Der sagte, er habe damit nichts zu tun. Für Abschiebungen sei seine Kabinettskollegin Josefine Paul von den Grünen zuständig. Paul sagte als zuständige Integrationsministerin aber tagelang erst mal gar nichts, bevor sie am Dienstagnachmittag dem „dysfunktionalen Asylsystem“ die Schuld gab.

Das „Blame Game“ hilft auch nicht

Also niemand schuld? Nur das System? Kannste nix machen? Das sorgt bei den Menschen in diesem Land für Verdruss. Sie wollen sich nicht permanent Gedanken um ihre Sicherheit machen müssen. Sie wollen aber auch keine leeren Versprechungen und auch kein „Blame Game“, wie es die frühere Grünen-Ministerin Anne Spiegel im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe an der Ahr zynisch formulierte.

Was den Menschen hilft, ist Zuversicht. So, wie sie Tim Kurzbach in diesen Tagen verbreitet. Und so wie der damalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg nach dem Utoya-Massaker im Jahr 2011 verbreitete. Damals sagte der Sozialdemokrat an die Adresse von Extremisten und Attentätern: „Ihr werdet uns nicht zerstören – weder unsere Demokratie noch unser Engagement für eine bessere Welt. Unsere Antwort ist mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Humanität, nie jedoch Naivität.“ 

Darauf sollten sich in diesen Tagen alle besinnen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat es vorgemacht und Vertreter*innen der Opposition ebenso wie der Bundesländer zu vertraulichen Gesprächen eingeladen, um über Konsequenzen aus dem Anschlag zu beraten.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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1 Kommentar

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mi., 28.08.2024 - 17:30

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Die „Menschen in diesem Land ... wollen sich nicht permanent Gedanken um ihre Sicherheit machen müssen“ heißt: Die Menschen in diesem Land müssen sich permanent Gedanken um ihre Sicherheit machen – wollen das aber nicht, sondern einfach sicher sein. Sie brauchen also keine Zuversicht, sondern Sicherheit. Und die muss der Staat ihnen geben – eine seiner vornehmsten Aufgaben.