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Nach Anschlag von Solingen: Welche Gesetze verschärft werden sollen

Nach dem tödlichen Messeranschlag von Solingen fragen sich viele Menschen, wie das passieren konnte. Dirk Wiese, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, sagt im Interview, welche Fragen noch zu klären sind und welche Gesetzesänderungen die Bundesregierung nun plant.

von Jonas Jordan · 27. August 2024
Nach dem Anschlag vom Freitagabend: Solingen trauert.

Nach dem Anschlag vom Freitagabend: Solingen trauert.

Was war Ihre erste Reaktion, als Sie vom Anschlag in Solingen erfahren haben?

Als ich von dem Anschlag aus Solingen erfahren habe, war ich wütend und entsetzt. Wir haben über Wochen und Monate immer wieder erlebt, dass unsere Sicherheitsbehörden Anschlagspläne, gerade im islamistischen Milieu, rechtzeitig aufdecken konnten, aber es gab erhebliche Warnungen, gerade im Hinblick auf die Fußball-Europameisterschaft und die Olympischen Spiele in Frankreich. Da ist Gott sei Dank noch alles gut gegangen. Vor diesen radikalisierten Einzeltätern hatten wir die größte Sorge. Leider ist so ein Fall jetzt eingetreten.

Dirk
Wiese

Die schärfsten Gesetze bringen nichts, wenn solche Fehler in Nordrhein-Westfalen passieren.

Der mutmaßliche Täter sollte abgeschoben werden, lebte aber weiterhin in Deutschland. Wie war das möglich?

Wir haben in der Ampel-Koalition vieles, was mit Abschiebungen zu tun hat, bereits verschärft. Zum Beispiel das Ausreise-Gewahrsam, was von zehn auf 28 Tage verlängert worden ist, damit Täter nicht untertauchen können. In diesem Fall hätte eine Abschiebung in Nordrhein-Westfalen durchgeführt werden sollen. 

Bulgarien, das ihn hätte aufnehmen sollen, hatte der Abschiebung auch zugestimmt, weil er dort innerhalb der EU seinen Erstantrag gestellt hat. Dann ist etwas schiefgelaufen. Das muss jetzt lückenlos aufgeklärt werden. Da sind Fragen zu stellen an die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Darum werden im Landtag am Donnerstag Sondersitzungen der entsprechenden Ausschüsse stattfinden. Denn die schärfsten Gesetze bringen nichts, wenn hier in Nordrhein-Westfalen solche Fehler passieren.

Was passiert, wenn jemand aus einer Flüchtlingsunterkunft abgeschoben werden soll, an dem Tag dort nicht anzutreffen ist, aber am nächsten oder übernächsten Tag wieder in der Unterkunft ist?

Grundsätzlich hat die Behörde dann die Möglichkeit, die Abschiebung wieder anzusetzen. Diese zweite Ansetzung ist hier möglicherweise nicht erfolgt. Was genau schiefgelaufen ist, gilt es jetzt zu klären. Sowohl Innenminister Herbert Reul als auch Ministerin Josefine Paul, die in NRW zuständig ist für die Abschiebungen, müssen die offenen Fragen beantworten.

In dem Fall sollte die Person nach Bulgarien abgeschoben werden. Es gibt aber auch die Forderung, Menschen wieder nach Syrien und Afghanistan abzuschieben. Inwieweit ist das aktuell möglich?

Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion ist es notwendig, Straftäter, Intensivtäter und Gefährder wieder nach Afghanistan und Syrien abzuschieben. Im Hinblick auf Afghanistan laufen die Gespräche, sodass wir hoffen, zeitnah zu Ergebnissen zu kommen. Im Hinblick auf Syrien gibt es immer noch Widerstände, gerade von Annalena Baerbock.

Dirk
Wiese

Wir brauchen mehr Messerverbotszonen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat bereits Gesetzesverschärfungen beim Waffenrecht angekündigt. Was genau ist jetzt geplant?

Wir als SPD in der Bundesregierung sind seit Wochen dran, über sinnvolle Verschärfungen im Waffenrecht zu reden, die auch auf den Weg zu bringen. Bisher sind sie von der FDP komplett blockiert worden. Das ist ein riesengroßes Versäumnis von Justizminister Marco Buschmann. Daher ist es gut, dass er am Wochenende eingelenkt hat. 

Wir brauchen mehr Messerverbotszonen. Wir brauchen auch das Verbot von bestimmten Messerarten. Wir müssen darüber reden, dass Straftäter individuelle Messertrageverbote bekommen. Wir müssen über die Sinnhaftigkeit des Mitführens eines Messers in öffentlichen Verkehrsmitteln nachdenken. 

Das wird nicht dazu führen, dass man jede Tat verhindert, aber es ist ein Baustein. Denn unabhängig von der Terrortat erleben wir gerade in Nordrhein-Westfalen eine erhebliche Zunahme im Bereich der Messergewalt in den letzten Wochen und Monaten.

Wie schwierig wird es, solche Verbote durchzusetzen?

Es gibt bestimmte Regeln und Verbote. Daran gilt es sich auch zu halten. Es wird auch nicht jeder kontrolliert, ob er nüchtern Auto fährt. Trotzdem gibt es dieses Verbot. Daher muss man wegkommen vom Gedanken der flächendeckenden Kontrolle. Es gibt immer wieder die Stichprobenkontrollen, die Möglichkeiten der Polizei, insbesondere an neuralgischen Punkten verstärkt zu kontrollieren.

Sie haben nach dem Anschlag gefordert: „Wir müssen uns das islamistische Milieu sehr genau ansehen.“ Was heißt das konkret?

Das islamistische Milieu und die daraus sich radikalisierenden Täter sind eine riesengroße Herausforderung. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten viele Anschlagspläne frühzeitig verhindern können, aber das ist immer noch ein riesengroßes Problem für die Sicherheitsdienste. 

Darum ist es wichtig, hinzuschauen: Wie radikalisieren sich diese Leute? In welchen Netzwerken und Strukturen geschieht das? Wie kriegen sie die ersten Kontakte zu entsprechenden Terrorablegern? Dafür müssen unsere Sicherheitsdienste online mehr Befugnisse bekommen – zum Beispiel bei der IP-Adressenspeicherung. Denn da sind wir oftmals auf Hinweise ausländischer Dienste bei entsprechenden Gefährdungslagen angewiesen. Das ist aus meiner Sicht nicht mehr tragbar.

Wie hoch ist die islamistische Terrorgefahr aktuell in Deutschland und damit auch die Gefahr, dass sich ein Fall wie in Solingen wiederholt?

Die Terrorgefahr, insbesondere von Ablegern des IS, des ISPK, aber auch anderer islamistischer Splitterorganisationen ist fortwährend hoch.

Was können Sie den Menschen in Solingen sagen, um ihnen nach so einem Anschlag wieder Hoffnung zu machen?

Der Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach hat in den letzten Stunden viele richtige Worte in dieser schwierigen Situation gefunden. Man muss Solingen die Zeit geben, zur Ruhe zu kommen. Ich fand es wichtig, dass viele gesagt haben, wir wollen nicht, dass rechte Trittbrettfahrer jetzt hier Hass und Hetze verbreiten. Da muss man sehr genau hinschauen, aber das wird eine große Herausforderung für die Stadt Solingen werden.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Di., 27.08.2024 - 16:44

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Die Taten dieses Messerstechers sind einfach entsetzlich.
Aber zur Politik: Irgendwie kommt das der afd zu gut (wie bestellt) !?!
Straßenfeste und andere öffentlich Veranstaltungen sind sowieso schon Messerverbotszonen, da muss jetzt niemand ein großes Geschrei um die Ausweitung der Messerverbotszonen machen.
Die Taten wurden mit einem Küchenmesser mit 20 cm Klingenlänge begangen, da erübrigt sich dann die Debatte um 6 oder 12 cm.