Inland

Zeitenwende: „Ohne ein neues Sondervermögen könnte es schwierig werden.“

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine stellt sich Deutschland bei der Verteidigung neu auf. Wo die Bundeswehr steht und warum das Zwei-Prozent-Ziel für die NATO nicht das einzige Kriterium ist, sagt SPD-Verteidigungsexperte Wolfgang Hellmich im Interview.

von Kai Doering · 26. Februar 2024
Die Bundeswehr muss besser ausgestattet werden: Ohne ein neues Sondervermögen könnte es ab aber 2028 schwierig werden, meint SPD-Verteidigungsexperte Wolfgang Hellmich.

Die Bundeswehr muss besser ausgestattet werden: Ohne ein neues Sondervermögen könnte es ab aber 2028 schwierig werden, meint SPD-Verteidigungsexperte Wolfgang Hellmich.

Nach mehr als 30 Jahren erfüllt Deutschland wieder das Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Ist die Bundesrepublik damit zwei Jahre nach der Zeitenwende-Rede von Olaf Scholz verteidigungspolitisch wieder auf Kurs?

Zunächst mal erfüllt Deutschland damit seine Bündnisverpflichtungen, die es bei den NATO-Gipfeln in Madrid 2022 und Vilnius 2023 eingegangen ist. Im europäischen Vergleich gibt es da große Unterschiede. Einige Länder wie etwa Polen liegen mit 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts deutlich über der Zielmarke, viele aber auch darunter. Die EU insgesamt erreicht das Zwei-Prozent-Ziel schon länger. Entscheidender finde ich aber die Frage, ob wir die Ausrüstungsziele der NATO erreichen und ob wir ausreichend Personal zur Verfügung haben, um die vielfältigen Aufgaben, die an uns gestellt werden, zu erfüllen. Auf diese Fähigkeiten kommt es am Ende an.

Wolfang Hellmich, Foto: imagoWie steht Deutschland in diesen Fragen da, zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine?

Wir haben ordentlich Gas gegeben und es ist eine Menge passiert, nicht nur beim Thema Finanzen. Auch wenn das Sondervermögen für die Bundeswehr sicher eines der Dinge ist, die in der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommen wurde. Viel hat sich aber auch getan bei der Beschaffung, die deutlich beschleunigt werden konnte. Und nicht zuletzt hat sich sehr viel getan bei der Unterstützung der Ukraine. Hier ist Deutschland inzwischen schon länger nach den USA mit Abstand das größte Geberland. Es ist aber auch noch eine Strecke zu gehen, etwa wenn ich an den Kauf der F-35 für die atomare Teilhabe denke.

Ist all das damit gemeint, wenn Verteidigungsminister Boris Pistorius sagt, Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden?

Ja, all das umfasst dieser Begriff. Er geht aber noch deutlich weiter. Vielen ist nicht bewusst, dass der Begriff Verteidigung nicht nur die Bundeswehr umfasst, sondern eigentlich alle anderen Politikbereiche auch. Deutschland ist der Rückraum gegenüber dem Osten. Für Transport und Versorgung wird im Kriegsfall ganz entscheidend sein, was in Deutschland passiert und dafür müssen jetzt Dinge vorbereitet werden. Das reicht bis zu notwendigen Bettenkapazitäten in Krankenhäusern und möglichen Attacken im Cyberraum und bei der Telekommunikationsinfrastruktur. Gerade das letzte Thema wird in der kommenden Zeit noch deutlich an Bedeutung gewinnen. Leider stehen wir da noch ziemlich blank da.

Sie sagen, Deutschlang habe Gas gegeben. In der öffentlichen Wahrnehmung herrscht dagegen meist der Eindruck, es gehe kaum etwas voran, eine Panne jage vielmehr die andere. Woran liegt das?

Ich denke, das liegt zum einen an der nicht ganz einfachen Materie, zum anderen aber auch an politisch getriebenen Botschaften, die oftmals die Wirklichkeit überlagern. Natürlich läuft auch mal etwas schief. Das bleibt bei einer so großen Maschinerie wie der Bundeswehr nicht aus, aber der Eindruck, „schießt nicht, fährt nicht, funktioniert nicht“, ist falsch. Probleme sehe ich zurzeit vor allem auf europäischer Ebene.

Welche sind das?

Ich habe mir gerade angesehen, wie Munition durch Europa transportiert wird. Bei den bürokratischen Genehmigungsverfahren, die dafür notwendig sind, wird einem ganz schwummerig. Wir brauchen dringend einen militärischen Schengenraum, um hier Abläufe deutlich zu beschleunigen. Dazu kommen mehr Transportkapazitäten, etwa bei der Bahn. Genauso wichtig ist aber auch die Beschaffung eines schweren Transporthubschraubers. Und für all das brauchen wir, ich habe es bereits angesprochen, das nötige Personal. Hier sehe ich mit den größten Nachholbedarf und ich bin sehr froh, dass Boris Pistorius den nötigen politischen Willen hat, Dinge zu verändern. Zumal all das schnell geschehen muss.

Noch mal zurück zum Zwei-Prozent-Ziel: Donald Trump hat vor kurzem für Aufregung gesorgt, als er gesagt hat, er werde als amerikanischer Präsident die Staaten, die das Zwei-Prozent-Ziel verfehlen, nicht verteidigen. Beunruhigt Sie das?

Natürlich machen mir diese Äußerungen Sorge. Ein irrational handelnder amerikanischer Präsident – sollte Trump im November wiedergewählt werden – hat natürlich eine weltweite Bedeutung. Allerdings ist für das Schlimmste in den USA ja bereits vorgesorgt worden, indem die Mitgliedschaft in der NATO per Gesetz verankert wurde. Trump könnte also nicht einfach den Austritt der USA erklären. Größere Sorge macht mir, dass sich das politische Rad in den USA insgesamt weitergedreht hat. Sichtbar wird das zurzeit etwa daran, dass das Repräsentantenhaus aus innenpolitischen Gründen die Militärhilfen für die Ukraine blockiert. Donald Trump ist da der Ausdruck eines radikalisierten Teils der Republikaner. In Europa sollten wir uns deshalb darauf vorbereiten, was die Amerikaner tun – oder vielleicht eben auch nicht mehr tun.

Woran denken Sie dabei?

Ich finde es gut und richtig, dass die EU und die NATO eng zusammenarbeiten, um den europäischen Pfeiler des Bündnisses zu stärken. Natürlich muss im militärischen Bereich die NATO den Hut aufhaben. Genau das ist ihre Kompetenz. Die EU muss im Gegenzug die Mittel organisieren, damit man die Verteidigungsfähigkeit auch erreichen kann. Viele militärische Systeme nebeneinander zu haben können wir uns nicht leisten, weder militärisch noch finanziell. Standardisierung ist hier das Schlagwort.

Wie geht es in Deutschland weiter, wenn, voraussichtlich 2028, das Sondervermögen für die Bundeswehr aufgebraucht ist?

Das Zwei-Prozent-Ziel ist gesetzlich verankert und jede Bundesregierung muss sich bei der Aufstellung des Haushalts daran halten. Ohne ein neues Sondervermögen könnte es ab 2028 schwierig werden, diese Maßgabe einzuhalten, wenn wir gleichzeitig an der Schuldenbremse in der bestehenden Form festhalten. Für künftige Haushalte steht uns da eine große Aufgabe bevor, aber wir werden sie erfüllen müssen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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4 Kommentare

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Mo., 26.02.2024 - 07:10

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bereits seit Jahren anhaltenden Einhaltens der 2 % Grenze. Dazu gehören auch die Aufwände aus Kriegsfolgelasten unserer Kampfeinsätze in Afghanistan usw. Ich bin zuversichtlich, dass es Gelingen wird, den Nachweis ohne Kostensteigerungen zu führen. Zuguterletzt:
Wir haben ja nun schon das zweite Jahr in Folge eine Rezession. Die sichert nicht nur das Erreiuchen der CO2 Reduktion, es sinkt ja damit auch der vergleichsbetrag für die 2 %. Damit wird, was früher 1 % der Wirtschaftsleistung ausmachte, bei unveränderter Höhe nun bald 3 % der Wirtschaftsleistung.
Im Ergebnis profitieren wir dann von der Rezession, eine saubere Leistung unseres Wirtschaftsministers, wenn vielleicht auch so nicht geplant (Er tut sich ja schwer, mit Wirtschaft).

Gespeichert von Jonas Jordan am Mo., 26.02.2024 - 11:38

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Was Sie schreiben, stimmt nicht ganz. Für das vergangene Jahr trifft es zu. Da gab es ein Wirtschaftswachstum von -0,3 Prozent, ergo eine geringfügige Rezession. Für 2022 trifft dies jedoch nicht zu. Damals lag das Wirtschaftswachstum noch bei 1,8 Prozent.

Gespeichert von Peter Plutarch (nicht überprüft) am Mo., 26.02.2024 - 13:08

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Er spricht das aus, was seit langem ein offenes Geheimnis ist. Die Nato dient nicht der Verteidigung Europas, sondern der Steuerung Europas durch die USA. Wer erntshaft glaubt, dass uns die USA massiv und gar noch mit atomarem Potenzial bei einen Angriff beispielsweise auf das Baltikum beistehen würde, der hat die Lehren aus der US-Außenpolitik seit dem Ende des WW2 vergessen.

Irrational handeln die deutschen Transatlantiker, die sich auch dann noch über die Nato an die USA ketten wollen, wenn von dort schon alles in Frage gestellt wurde. Die Beistandsverpflichtung hat Trump offiziell beerdigt. Die USA richten sich seit Obama zunehmend auf den pazifisch-asiatischen Raum aus, Europa wird damit zur Peripherie. Der Zusammenbruch der zentraleuropäischen Energieversorgung aus Russland war den USA schon seit Jahrzehnten ein wichtiges wiederholt klar ausgedrücktes Anliegen, jetzt in die Tat umgesetzt. Und einen strategischen Sicherheitsabstand insbesondere von Deutschland zu Russland wollten die USA auch schon lange, nachlesbar in den einschlägigen Publikationen der strategischen Vordenker der USA. Fangen wir gar nicht an vom Inflation-Reduction-Act an zu sprechen, mit dem unser "Verbündeter" uns aggressiv die Industrie abwirbt.

Nicht zu vergessen die Verzweiflung unserer Spitzenvertreter sich an die USA zu ketten unter der Prämisse und Hoffnung, Biden bliebe weiterhin Präsident. Bleibt er das nicht, worauf eigentlich alles hindeutet, stehen wir nackt da. So tief ist unserer strategische Souveränität gesunken.

Wir sind nur die Deppen, die dem sinkenden Schiff hinterherrennen anstatt endlich davon Abstand zu nehmen und sich auf den mühsamen Weg einer unabhängigen Verteidigung zu machen. Und das beginnt keineswegs mit europäischen Atomwaffen, es beginnt mit einer politischen Debatte und Strategie, die sich in der SPD niemand traut auch nur zu fordern. Danach kommen konventionelle Produktionskapazitäten und die sukzessive Erlangung von Unabhängigkeit in alle Richtungen, auch von den USA.

In der SPD scheint die Bereitschaft zu immer höheren Rüstungsausgaben zum neuen Markenkern zu reifen. Ob uns das die Wähler eines Tages honorieren werden?