Meinung

Respekt leben: Wie das freundliche Deutschland gelingt

USA, Brasilien, Slowenien, Polen, sie alle haben gezeigt, dass ein politisch dominanter Rechtsruck nicht für immer sein muss. Für die Sozialdemokratie in Deutschland ein geeigneter Moment, um sich zu verdeutlichen: Wofür stehen wir langfristig?

von Oliver Czulo · 23. Oktober 2023
Eine Gesellschaft des Respekts: In der Corona-Zeit wurde deutlich, wie sie aussehen kann.

Eine Gesellschaft des Respekts: In der Corona-Zeit wurde deutlich, wie sie aussehen kann.

Das rechts-autokratische Gespenst geht in der Welt um, in manchen Ecken vielleicht als größeres Strohfeuer, in anderen als bedrohliche oder angewandte rohe Gewalt. Eines seiner Lieblingsthemen ist Migration, oder eher: die Angstmache davor. Auch in Deutschland scheint „Migration“ – Flucht, Fachkräftezuwanderung und anderes irgendwie in einen Topf geworfen – gerade ganz oben auf der Tagesordnung zu stehen.

Der Grat zum Populismus ist schmal

Die Stimmen, die dabei zu vernehmen sind, sind oft mehr als nur unschön. Und nein, ich meine damit nicht nur die AfD, die im Übrigen gefühlt derzeit in der öffentlich-medialen Debatte kaum zu hören ist. Das ist wohl gar nicht nötig, denn Teile der Union, insbesondere Friedrich Merz, haben sich deren Tonlage ohnehin mindestens deutlich angenähert: So werden im 26-Punkte-Papier der Union, neben einer Obergrenze, verringerte Sozialleistungen für Asylbewerber:innen gefordert; der vermeintliche „Sozialtourismus“ spukt offenkundig noch in vielen Köpfen.

In dieser Lage ist der SPD hoch anzurechnen, dass sie populistischen Parolen bisher kein Echo gibt. Hubertus Heil beispielsweise sprach davon, wie manch andere in der Partei, „Ordnung in das Thema Migration“ zu bringen, von erleichterten Rückführungen, aber eben auch verbesserten Arbeitschancen. In diese Linie passt der Vorschlag, Asylverfahren zu beschleunigen, anstatt die Liste sicherer Herkunftsstaaten ungehemmt auszuweiten. Dennoch ist der Grat zum Populismus schmal: Die kürzliche Äußerung des Kanzlers, man müsse „im großen Stil abschieben“ mag im geäußerten Kontext noch auf dieser Seite des Grats stehen, hätte aber mit einem „konsequent rückführen“ ebenso tatkräftig geklungen, ohne dieser Grenze nahe zu kommen.

Die SPD als Partei des Gemeinwesens

Die Union kann ihre jetzige Tonlage durchaus aus ihrem Selbstverständnis ableiten. Sie ist die Partei des „Keine Experimente!“, Fortschritt kann schnell als Zumutung empfunden werden, im Zweifelsfall schottet man sich gegen Veränderungen ab. Abschottung ist allerdings kein Wert an sich.

Als eine Partei des Gemeinwesens kann sich die SPD eine Forderung nach Abschottung nicht leisten: Ein lebendiges Gemeinwesen braucht Antworten auf der Höhe der Zeit, daher ist der Fortschrittsgedanke Teil des Kerns der Sozialdemokratie. Mit Abschottung könnte man es (eine Weile vielleicht sogar erfolgreich) versuchen, würde aber wahrscheinlich schnell von der Realität eingeholt. Wohl auch dieser Erkenntnis mag geschuldet sein, dass man, anders als vor einigen Jahren, aus der SPD nicht mehr Forderungen nach einer Kopie des „dänischen Modells“ hört, das ohnehin unter ganz eigenen Bedingungen operiert.

Das Gemeinwesen fußt auf Respekt

Antworten auf der Höhe der jeweiligen Zeit fußen trotz ihrer Veränderlichkeit auf unverrückbaren Werten. Was unser Grundgesetz als „Würde des Menschen“ kennt, übersetzt sich in den Alltag unter anderem mit „Respekt“ – das Leitmotiv des vergangenen SPD-Bundestagswahlkampfs. Dass dies im Prinzip funktioniert, lässt sich nicht nur am großen Engagement der Zivilgesellschaft ablesen, sondern schon an einfachen Beispielen in unserem Alltag allenthalben beobachten: Da wird einander in den Bus geholfen, beim Einkaufen im engen Regalkorridor Platz gemacht, in der Schlange im Kino schnell nochmal geschaut, ob man wirklich dran ist. Es mag Defizite geben, aber von einer ungehobelten Ellbogengesellschaft zu sprechen, wäre verfehlt.

Man ist freundlich zueinander – solange sich alle Seiten an gewisse Regeln halten. Eine Gesellschaft des Respekts zu sein, trägt mit in sich, dass ein Gemeinwesen Regeln des Miteinander hat. Dies passt zur von Heil und anderen in die Zuwanderungsdebatte eingebrachten „Ordnung“.

Ein freundliches Deutschland

Auch Zuwanderung, wie anderes in unserem Gemeinwesen, braucht Ordnung, und zwar im Interesse aller: derer, die ankommen, genauso wie derer, die schon hier sind. Diese Ordnung wird aktuell neu austariert. Das kann man nun bemängeln, oder auf langfristige Sicht gestalten.

Angesichts der derzeit überhitzten Zuwanderungsdebatte mit stark rechtslastigen Tönen muss die SPD sich und anderen klar vor Augen halten: Welches Deutschland wollen wir – heute wie morgen – repräsentieren? Ein Land des „Keine Experimente!“, das in Richtung Abschottung driftet, ist es nicht; das haben auch die Stimmen aus der Partei deutlich gemacht.

Langfristig kann das Leitmotiv Respekt weiterhin den Ton prägen. Ein Gemeinwesen des Respekts ist die Grundmelodie eines freundlichen Landes. Die SPD kann diesen Klang des freundlichen Deutschlands mit verkörpern; er hat dem Land unter anderem schon mehr als nur ein Sommermärchen beschert. Das Prinzip erstreckt sich aber nicht nur auf Fragen der Zuwanderung: Deutschland kann daneben klimafreundlich, innovationsfreundlich, kinderfreundlich, queerfreundlich sein und damit Wege in die Zukunft aufzeigen. Nicht ohne Ordnung, aber mit einer, die Antworten auf heute drängende Fragen liefert und das Miteinander am Leben hält.

Autor*in
Oliver Czulo
Oliver Czulo

ist Übersetzungswissenschaftler und beschäftigt sich mit Denk- und Sprechmustern in verschiedenen Kulturen. Gelegentlich schreibt er zu gesellschafts- und wissenschaftspolitischen Themen. Er trötet unter @OliverCzulo@spd.social.

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