Neue Regierung: Warum Deutschland ein starkes Umweltministerium braucht
Die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD sind auf der Zielgeraden. In der künftigen Regierung dürfte das Umweltministerium ein Schlüsselressort werden. Die SPD sollte es besetzen.
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Drohen Klima- und Naturschutz in der neuen Regierung hinten runterzufallen? DNR-Präsident Kai Niebert plädiert für ein starkes Bundesumweltministerium.
„Wir hätten wenig erreicht, wenn die Menschen in Zukunft nicht mehr durch Kriege, sondern durch Umweltkatastrophen ungekannten Ausmaßes in ihrer Existenz bedroht würden“, warnte der damalige Bundeskanzler Willy Brandt 1972 auf einer Tagung von Nobelpreisträgern in Lindau.
Heute sehen wir, wie recht er hatte: Auch wenn die zunehmenden geopolitischen Spannungen das Klima als Thema von der Weltbühne verdrängt haben sind laut World Economic Forum (WEF) sechs der zehn größten Risiken für unsere Gesellschaft und Wirtschaft in den kommenden Jahren Umweltkrisen.
Die Entscheidung Donald Trumps, mit den USA aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, hat die Herausforderungen verschärft. Höchste Zeit also für eine sozialdemokratische Umweltpolitik, die den Menschen ins Zentrum des Umwelt- und Naturschutzes rückt.
Vom bloßen Bewahren zum dynamischen Gestalten
Die Klimakrise stellt den Naturschutz vor eine Zeitenwende, denn sie zwingt zu Veränderungen: Ökosysteme geraten unter Druck, Arten wandern, ganze Landschaften verändern sich. Das trifft auf eine Gesetzgebung, die aufs Bewahren ausgerichtet ist. Und doch: Ein „Museums“-Naturschutz, der den Status quo erhalten will, greift zu kurz. Wir brauchen Gestaltungswillen, um Moore wiederzubeleben, Auen zu renaturieren und Hochwassergefahren zu reduzieren. Wir brauchen eine Naturschutzpolitik, die den Mut hat, eine klimaresiliente grüne Infrastruktur zu schaffen, um uns und unseren Wohlstand zu schützen.
Hierfür braucht es einen Naturschutz, der Natur nicht statisch, sondern dynamisch denkt, der Ökosystemleistungen anstelle von festen Landschaftsbildern sichert. Hier könnte Deutschland eine Führungsrolle übernehmen. Die notwendigen Anpassungen sind jedoch hohen politischen Risiken ausgesetzt, die einer Konzentration politischer und fachlicher Ressourcen bedürfen, da ansonsten rechtliche Unsicherheiten die Folge sein werden. Mit einem starken Bundesumweltministerium könnte die Sozialdemokratie eine eigenständige Naturschutzpolitik für den Menschen entwickeln.
Gerechtigkeit ins Zentrum rücken
Umweltkatastrophen treffen diejenigen am härtesten, die ohnehin wenig haben. Eine starke sozialdemokratische Umweltpolitik stellt sicher, dass beispielsweise saubere Luft, Trinkwasser oder Grünflächen nicht zu Luxusgütern werden. Wir müssen dafür sorgen, dass gesunder Lebensraum in der Stadt kein Privileg bleibt.
Dafür ist ein Bundesumweltministerium als eigenständiges Querschnittsministerium zentral. Das zeigen auch die geleakten Dokumente aus den Koalitionsverhandlungen: Viele der in den Arbeitsgruppen geeinten Aspekte sind als Abwägungsfragen zwischen der Sicherung der Grünen Infrastruktur und kurzfristigen Nutzungsinteressen formuliert. Es braucht also eine starke Stimme, damit die entscheidenden Ressorts – von Landwirtschaft über Verkehr bis Industrie – konsequent auf Nachhaltigkeit getrimmt werden.
Sozialdemokratischer Naturschutz kann beschleunigen und gestalten
Die Klimakrise erfordert großräumiges Denken: Mit einem Natur-Flächen-Bedarfsgesetz sollten Bund und Länder festlegen, wo Biotopverbünde verlaufen, in die künftig die Ausgleichsmaßnahmen koordiniert werden – und wie ein Naturschutz mit Landnutzer*innen statt gegen sie stattfinden kann. Gut gemacht, kann so besserer Naturschutz mit Bürokratieabbau und Beschleunigung verknüpft werden.
In ihrem Positionspapier Beschleunigung ermöglichen, Natur schützen hat die SPD-Bundestagsfraktion Wege zu einem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen aufgezeigt, der einen Ausbau der grünen Infrastruktur mit, statt gegen weitere Nutzungsformen entwickelt. Auch um dies umzusetzen und nicht einer Einseitigkeit in den Nutzungsinteressen ausgesetzt zu sein, braucht es ein eigenständiges, starkes Umweltministerium.
Grenzen schließen hilft auch nicht im Naturschutz
Besonders die Klimakrise führt dazu, dass die Natur zu wandern beginnt. Heute jedoch werden hunderte Millionen Euro ausgegeben, um die Grenzen für migrierende Arten, wie Waschbären dicht zu machen und sie zu „entnehmen“. Die Unterscheidung zwischen heimischen und fremden Arten ist jedoch oft nur historisch bedingt.
Statt wie Sisyphos gegen das Unvermeidliche anzukämpfen, müssen wir anerkennen, dass viele früher „fremde“ Arten heute wichtige ökologische Rollen erfüllen. Die Einteilung von Lebewesen nach kulturellen Maßstäben von Zugehörigkeit, Fairness und Moral ist nicht nur fachlich nicht haltbar, sondern widerspricht auch einer sozialdemokratischen Grundhaltung.
Sozialdemokratie als Motor der Zeitenwende
Die SPD hat immer dann Geschichte geschrieben, wenn sie Krisen mit klarem Blick begegnet ist und solidarische Lösungen auf den Weg gebracht hat. Genau das ist jetzt nötig: eine Zeitenwende im Naturschutz, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne die Natur aus den Augen zu verlieren.
Wenn Deutschland gemeinsam mit seinen europäischen Partnern vorangeht, können wir den Natur- und Umweltschutz weiterentwickeln für eine Zukunft, in der die Natur uns heute und morgen unsere Bedürfnisse befriedigen kann. Um das durchzusetzen, braucht es ein starkes Umweltministerium unter sozialdemokratischer Führung: Damit wir nicht nur reagieren, sondern gestalten und die grundlegende Verantwortung übernehmen, die Willy Brandt schon 1972 eingefordert hat.