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DNR-Präsident Niebert: „Einen starken Einstieg in den Kohleausstieg hinbekommen“

Für den Deutschen Naturschutzring hat Kai Niebert in der Kohlekommission verhandelt. Mit dem vorgelegten Ergebnis ist er nicht zufrieden. Warum er dennoch zugestimmt hat, sagt Niebert im Interview mit vorwärts.de.
von Kai Doering · 30. Januar 2019
Braunkohlekraftwerk Boxberg in Sachsen: Das Ergebnis der Kommission geht über jede Grenze hinaus, die aus klimawissenschaftlicher und umweltpolitischen Sicht zu vertreten ist.
Braunkohlekraftwerk Boxberg in Sachsen: Das Ergebnis der Kommission geht über jede Grenze hinaus, die aus klimawissenschaftlicher und umweltpolitischen Sicht zu vertreten ist.

Nach mehr als einem halben Jahr und einer abschließenden Marathonsitzung hat die Kohlekommission am Wochenende ihre Empfehlungen für die Bundesregierung vorgelegt. Sind Sie froh, dass es vorbei ist?

Die Kommission war ein wichtiges Demokratisches Experiment: Schaffen es demokratische Gesellschaften, sich globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel anzunehmen und ihr Wirtschaftssystem umzubauen? Nach einem sehr intensiven halben Jahr kann ich nun sagen: Es ist möglich, wenn man die Prozesse richtig aufgleist. Aber mehr Zeit hätte auch keine besseren Ergebnisse gebracht.

Wieso sind Sie da so sicher?

Ich glaube, dass diese Kommission von Anfang an anders aufgesetzt hätte werden müssen. Auf der einen Seite haben zentrale Akteure – etwa junge Menschen, die vom Klimawandel ja besonders stark betroffen sein werden, oder der globale Süden – gefehlt, auf der anderen Seite waren die Vertreter der Industrie, von Arbeitgeber- wie von Arbeitnehmerseite, deutlich in der Überzahl. Auch hätte ich die Kommission anders geführt.

Was hätten Sie anders gemacht?

In den vergangenen sieben Monaten haben wir uns sehr intensiv mit Fragen des Strukturwandels auseinandergesetzt und uns rund 100 Expertenvorträge angehört. Das erste Mal, dass wir über konkrete Szenarien für den Kohleausstieg inklusive eines Enddatums gesprochen haben, war dagegen in der abschließenden Sitzung ab 23 Uhr. Hätten wir Themen, wie das Sofortprogramm für 2020 oder auch das Enddatum der Kommission schon früher thematisiert, wäre es sicher erst einmal hoch jeher gegangen. Aber dann hätten wir klären können, was wer braucht um seine Interessen zu wahren – und sich zu bewegen. So ist lediglich einen Minimalkompromiss erreicht statt eines notwendigen Interessenausgleichs, mit dem wir allen Beteiligten – Unternehmen, Mitarbeitern und Regionen – eine Sicherheit geboten und gleichzeitig den Klimaschutz ins Zentrum gestellt hätten.

Nach der Vorstellung der Ergebnisse haben Sie gesagt: „Selbst schlechter Klimaschutz ist besser als kein Klimaschutz.“ So richtig zufrieden mit dem Ergebnis klingt das nicht.

Nein, mit diesem Ergebnis kann man aus Klimaschutzsicht nicht zufrieden sein. Das Ergebnis der Kommission geht über jede Grenze hinaus, die aus klimawissenschaftlicher und umweltpolitischen Sicht zu vertreten ist. Ein Enddatum für die Kohleverstromung 2038 ist völlig inakzeptabel und wird dazu beitragen, dass wir unsere Verpflichtungen aus dem Pariser Klimavertrag nicht einhalten.

Warum haben Sie trotzdem zugestimmt?

Wir stehen zu dem gemeinsamen Kompromiss! Mit den Empfehlungen der Kommission versuchen wir einen starken Einstieg in den Kohleausstieg hinzubekommen. Ein Drittel der Kohlekraftwerkskapazitäten soll bis 2020 abgeschaltet werden. Das ist ein ziemlicher Fortschritt und der Grund, weshalb die Umweltverbände – wenn auch mit Bauchschmerzen – zugestimmt haben. Allerdings ist der weitere Pfad bis 2030 zu unkonkret und auch das Ausstiegsdatum ist nicht akzeptabel. Wir werden jetzt im Gesetzgebungsprozess darauf achten, dass die im Bericht festgeschrieben stetige Reduktion der CO2-Emissionen verbindlich festgeschrieben wird. Das wird auch bedeuten, dass in Ostdeutschland Mitte der 20er Jahre Braunkohlekraftwerke abgeschaltet werden müssen. Auch werden wir unseren Finger in die klimapolitischen Wunden legen, wenn 2023, 2026, 2029 und 2032 das Erreichte überprüft wird.

Wird der Plan, wie von der Kommission vorgelegt, umgesetzt, endet in Deutschland die Kohleverstromung spätestens 2038. Einen konkreten Abschaltplan für Kohlekraftwerke gibt es aber nicht. Kann das noch zum Streit zwischen einzelnen Betreibern oder Bundesländern führen?

Das wird auf dem Weg dorthin ein Aushandlungsprozess zwischen Kraftwerksbetreibern und Bundesregierung werden. Die Kommission wünscht sich eine einvernehmliche Lösung, zur Not auch auf Kosten von Entschädigungszahlungen. Da ist die Bundesregierung am Zug, die nun einen Gesetzentwurf vorlegen muss. Im übrigen bin ich sicher, dass wir in den nächsten Jahren einen CO2-Mindestpreis bekommen werden, der – gekoppelt mit dem zügigen Ausbau Erneuerbarer Energien – die Kohlemeiler weit vor 2038 aus dem Markt drängen wird.

Was bedeutet der vorgelegte Kommissionsplan für die deutschen Klimaziele?

Im Klimaschutzplan ist lediglich vorgeschrieben, wieviel CO2 in Deutschland 2030, ausgestoßen werden darf, nämlich 84 bis 92 Millionen Tonnen aus der Kohle. Das CO2, das sich dann bereits in der Atmosphäre befindet, wird dabei außer Acht gelassen. Das ist ein Problem. Mit dem Kommissionsplan können wir deshalb zwar das deutsche CO2-SektorzielAusstoßziel für 2030 erreichen, nicht aber die Klimaziele aus dem Pariser Abkommen. Hinzu kommt, dass die Begrenzung der globalen Erwärmung um 1,5 und sogar um zwei Grad kaum realistisch ist. Ein weiteres Problem sind die sogenannten Reviews des Pariser Klimaabkommens.

Inwiefern?

Mithilfe der Reviews wird kontrolliert, wie erfolgreich die Klimaschutzbemühungen der einzelnen Staaten sind. Zusammengenommen kommen die Staaten mit ihren Zielen derzeit auf eine Erwärmung von etwa drei Grad. Um unter zwei Grad zu landen, muss hier deutlich nachgebessert werden. Das heißt, dass sich die Bedingungen für Deutschland in den nächsten Jahren verschärfen werden. Das könnte den scheinbar klaren Pfad, den der Vorschlag der Kommission beschreibt, noch deutlich beschleunigen. Deshalb bin ich auch fest davon überzeugt, dass der Kohleausstieg deutlich vor 2038 kommen wird.

Zum Start der Kohlekommission haben Sie gesagt, in ihr werde sich zeigen, „ob demokratische Gesellschaften es schaffen, einen natur- und menschenverträglichen Umbau ihrer Wirtschaft zu vollziehen“. Ist die Kommission diesem Anspruch gerecht geworden?

Ich hätte mir ein deutlich ambitionierteres Ergebnis gewünscht. In ihrer Zusammensetzung konnte die Kommission aber nicht mehr erreichen als sie erreicht hat. Gerade beim Punkt Klimaschutz gab es einen riesigen Dissens. Nicht zuletzt in der letzten Verhandlungsnacht haben wir aber gezeigt, dass es auch in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft möglich ist, Kompromisse zu finden. Deshalb ist das Ergebnis der Kommission bei allen Mängeln auch ein Zeichen dafür, dass die Demokratie in Deutschland funktioniert.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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