Nach Tabubruch von Merz-CDU: Drohen Deutschland österreichische Verhältnisse?
In Österreich unterwerfen sich die Konservativen den Rechtsextremen. In Deutschland stoßen sie die ersten Tore zur Zusammenarbeit auf. Deutschland ist zwar nicht Österreich, aber ein paar Dinge sind ähnlich.
IMAGO / Carsten Thesing
Hunderttausende Menschen haben am Wochenende gegen die gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD im Bundestag demonstriert.
Der historische Zufall will es, dass genau vor einem Vierteljahrhundert, am 4. Februar 2000, erstmals in einem wichtigen EU-Land eine rechtspopulistische – und in Teilen rechtsextreme – Partei in Regierungsämter gehievt wurde. An diesem Tag wurde in Österreich die erste Regierung aus konservativer Volkspartei (ÖVP) und rechter Freiheitlicher Partei (FPÖ) vom Bundespräsidenten vereidigt. Es war damals noch ein Skandal. Später sollte die Volkspartei noch einmal für zwei Jahre mit der FPÖ regieren.
Österreich: erster rechtsextremer Bundeskanzler möglich
Wir spulen vor in den Februar 2025: In Österreich sind die Freiheitlichen, die sich in den vergangenen Jahren noch einmal radikalisiert und von einer eher rechtspopulistischen in eine waschechte rechtsextreme Partei verwandelt haben, bei den Wahlen stärkste Kraft geworden. Und die Volkspartei ist gerade in Verhandlungen für eine Ultrarechts-Rechtskoalition, aus denen noch diese Woche Herbert Kickl als erster rechtsextremer Bundeskanzler hervorgehen könnte.
In Deutschland ist man davon noch erheblich entfernt, aber Friedrich Merz, die CDU/CSU, aber auch die FDP sind erstmals vom Schwur abgerückt, keine Mehrheiten mit Rechtsextremist*innen zu bilden. Auch wenn eine Regierungsbildung im Bund unter Einschluss der AfD von Alice Weidel, Björn Höcke und Co. in der nächsten Zeit noch eher unwahrscheinlich ist, so ist doch der erste Schritt auf einer schiefen Ebene getan. Da kann es schnell zur Rutschpartie ins Fiasko kommen. Deutschland ist nicht Österreich, aber ein paar Dinge sind ähnlich.
Rechtspopulismus und Rechtsextremismus
Wenn rechtspopulistische Parteien, die in Richtung eines harten Rechtsextremismus tendieren, einen Aufschwung erleben, dann ist es stets eine doppelte Zweiteilung, die sie ausbeuten: ein Oben-Unten-Konflikt, in dem das „einfache Volk“, das (tatsächlich oder vorgeblich) vergessen wurde, gegen ein sinistres Establishment gestellt wird, gegen die Eliten. Das ist die populistische Seite der Sache, welche die Komplexität moderner Gesellschaften zwar trivialisiert, aber einen demokratischen Impuls hat, nämlich den bisher „Vergessenen“ eine Stimme zu geben.
Harte Rechtsparteien, die das populistische Instrumentarium bedienen, kultivieren aber noch eine zweite Spaltung, und zwar nicht nur die horizontale Oben-Unten-Spaltung, sondern die vertikale „Wir-gegen-die-Anderen“-Spaltung. Da geht es immer gegen Zuwanderer*innen, gegen ethnische Minderheiten und meist auch gegen die lebenskulturell anderen. Es geht dabei um völkische Schließung. Verhärtet sich diese zweite Dimension, dann verwandeln sich rechtspopulistische in rechtsextreme Parteien.
Gewinnen solche Parteien an Zulauf, werden etablierte politische Kräfte diese Parteien erst bekämpfen, aber sehr häufig greifen sie in einem zweiten Schritt Teile von deren Agenda auf, weil sie ja angeblich „berechtigte Sorgen“ artikulieren oder weil man versucht, ihnen das Wasser abzugraben. Damit bestätigt man aber zugleich diese Agenda, manchmal macht man sie erst so richtig groß, weil sich dann alles um die Thematiken der Rechten dreht. Im schlimmsten Fall bestimmen dann Parteien, die 20 Prozent der Wähler*innen hinter sich haben, 100 Prozent der Themensetzung in Politik, medialen Diskursen usw.. Ist es einmal so weit, nimmt das Unheil seinen Lauf.
Verschiebung aller Diskurse
Auch sozialdemokratische Parteien können in diesem Prozess „nach rechts“ rücken, aber Konservative gehen praktisch immer weiter. Fast immer wandert das gesamte Spektrum nach rechts, Wissenschaftler*innen sprechen gern auch von der Verschiebung des „Overton“-Fensters, benannt nach Joseph P. Overton, der beschrieben hat, wie sich der Mainstream und das „Sagbare“ an den Rändern gemeinsam verschiebt.
Irgendwann liebäugeln traditionelle konservative Parteien dann damit, mit diesen Parteien Mehrheiten zu suchen, später dann in aller Regel auch Regierungen zu bilden.
Und zwar aus einem eigentlich ziemlich verzwickten Grund: Konservative Parteien machen in aller Regel die Erfahrung eines strategischen Dilemmas und empfinden aber auch eine strategische Verlockung. Das strategische Dilemma ist Folgendes: Wenn sie in einem ausdifferenzierten Parteiensystem Koalitionen mit der ultrarechten Konkurrenz ausschließen, dann haben sie meist kaum mehr eine Aussicht auf bürgerliche Regierungen.
Große strategische Verlockung
Die demokratischen Rechtsparteien haben dann einfach selten eine Mehrheit, also müssen sie mit linken oder linksliberalen Parteien koalieren. Sie empfinden sich in einer Sackgasse, und man kann das aus ihrer Sicht sogar nachvollziehen. Daraus alleine erwächst schon eine Versuchung, es auch mit den Rechtsextremen zu versuchen.
Aber es kommt noch ärger: Wenn sie sich gegenüber den radikalen Rechten öffnen, sind sie plötzlich von einer strategisch unschönen in eine strategisch für eine gewisse Zeit höchst komfortable Situation geraten: Sie werden dann faktisch immer regieren. Entweder regieren sie mit den Mitte-Links-Parteien, die weitere Bündnisse mit den Rechtsextremen ausschließen oder sie regieren mit den Rechtsextremen, die ihrerseits keine andere Option haben.
Die einzigen, die dann mehrere Optionen haben, sind die „gemäßigten“ konservativen Rechtsparteien, ein strategischer Vorteil, der sich eine Zeitlang zumindest perfekt ausnützen lässt, weil man dann die potenziellen Partner bestens gegeneinander ausspielen kann. Die Konservativen werden dann immer regieren und sie werden sogar immer in Verhandlungen einen Großteil ihrer Forderungen durchsetzen, da sie ja die einzigen sind, die nicht erpressbar sind. Diese Spielanordnung haben wir in Österreich seit 25 Jahren, Deutschland ist erst am Beginn dieses Prozesses.
Strategischer Vorteil und existenzielle Gefährdung
Ein Nebeneffekt ist, dass das Klima unter den demokratischen Parteien dadurch übler wird, da die Linken die Konservativen für ihren Tabubruch hart angreifen, die Konservativen darauf aber nur mit mehr Trotz reagieren und sich überdies aufgrund des strategischen Vorteils der Konservativen alle anderen sich immer über den Tisch gezogen fühlen. Die demokratische Mitte ist allein dadurch auf einem harten Prüfstand.
Der scheinbare strategische Vorteil des Konservatismus verwandelt sich aber allmählich und dann sehr schnell in einen strategischen Nachteil, denn die Beförderung der rechten Paria-Parteien zu zunehmend normalisierten Rechtsparteien, an deren Agenda man sich auch noch anpasst, lässt den traditionellen Konservativen eine Konkurrenz erwachsen, die sie auch noch zu überflügeln vermag. Die Konservativen rinnen gewissermaßen aus – nach rechts. Zumal, wenn die ganze Welt einen „populistischen Moment“ erlebt, der globale Zeitgeist nach rechts rückt und wenn auch ganze Gesellschaften in Polarisierung und irrwitziges Gegeneinander versinken. Also, salopp gesagt, wenn die Dinge so sind, wie sie gerade sind.
Engagement der Zivilgesellschaft
Auf diese Szenerie, die wir etwas salopp die politische „Spielanordnung“ nennen können, haben deshalb mediale Diskurse und das Engagement der Zivilgesellschaft, wie etwa die vielen Protestdemonstrationen der vergangenen Wochen, einen erheblichen Einfluss. Denn für den Konservatismus ist nicht unerheblich, ob er für die Ausweitung seiner strategischen Optionen einen harten Preis zu bezahlen hat oder nicht.
Simpel gesagt: Wenn er damit rechnen kann, dass sich die Kritik in Grenzen hält und die eigene Wählerschaft den Kurswechsel zumindest widerwillig akzeptieren wird, dann sind die Kosten niedriger als der Nutzen. Muss er mit schweren innerparteilichen Krisen, Streit, Hader, einem Aufstand der Funktionäre und dem Verlust wesentlicher Wählersegmente rechnen, sind die Kosten hoch. In Deutschland sind die Kosten noch hoch. In Österreich schienen sie der Volkspartei immer niedrig – bis sie jetzt von der FPÖ überflügelt wurde. Jetzt läuft sie Gefahr, als führende Kraft rechts der Mitte zerstört zu werden. Jetzt hat sie zwar immer noch Optionen. Aber leider keine allzu guten mehr.
Brandmauer Tabubruch
Die afd ist doch Fleisch vom Fleisch der CDU (Exponent: Gauland). Migrationspolitik ist allerdings meist Populismus, während es bei der Wirtschaftspolitik um eine strengstens neoliberale Ausrichtung geht; da muss man ansetzen und Alternativen anbieten.
Andererseits sollte auch mal bedacht werden, daß das ganze Brandmauer Tabubruch Geschrei, unterstützt dur die sattsam bekannte Springerpresse + Co., nur der afd nutzt.