Thüringen: Wie sich SPD-Fraktionschef Matthias Hey gegen Todesgerüchte wehrt
In Sozialen Medien wurden Gerüchte über sein baldiges Ableben verbreitet: Im Interview beschreibt Thüringens SPD-Fraktionsshef Matthias Hey, was er der Kampagne gegen ihn entgegensetzt und wie er die aufgeheizte Stimmung vor der Landtagswahl erlebt.
imago/Jacob Schröter
Der Thüringer SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey bei einer Pressekonferenz im Landtag (Archivbild).
Der Vorgang hat viele schockiert: Anfang August wurden Gerüchte über den Thüringer SPD-Fraktionsvorsitzenden Matthias Hey verbreitet, der am 1. September wieder zur Landtagswahl antritt. In den Nachrichten auf WhatsApp und in verschiedenen Foren wurde behauptet, der 54-Jährige befinde sich im Hospiz. Daher habe es keinen Sinn, ihn zu wählen, hieß es weiter.
Wahr ist hingegen: Hey hat Krebs und lässt sich dagegen behandeln. Und er ist fest entschlossen, wieder in den Landtag einzuziehen. Für ihn gibt es keinen Zweifel, aus welcher politischen Ecke die offenbar systematisch gestreuten Gerüchte kommen.
Wie geht es Ihnen?
Den Umständen entsprechend. Bei einer Krebstherapie bleiben gewisse Dinge nicht aus.
In Sozialen Medien wurden Gerüchte über Ihren baldigen Tod und einen Hospizaufenthalt gestreut. Wie sehr zehrt das an Ihnen, insbesondere in der Schlussphase des Landtagswahlkampfes?
Meine Ärzte sind nicht begeistert darüber, dass ich überhaupt Wahlkampf mache. Die jetzige Gemengelage in meinem Wahlkreis ist allerdings etwas anderes.
All das ist ärgerlich. Und es lässt sich nur sehr schwer wieder einfangen. Es wäre absurd, wenn ich jeden Tag auf Facebook schreiben würde: „Hallo, ich lebe noch!“. Wenn man beim Wahlkampf im Stadtbild kaum präsent ist, lassen sich rasch falsche Behauptungen in die Welt setzen. Meine Ärzte haben mir aber nun mal geraten, mich von Orten fernzuhalten, wo viele Menschen sind. Derzeit arbeite ich deshalb quasi im Homeoffice, halte aber engen Kontakt zur Fraktion und zu den Bürgern.
Welche Hinweise zu den Urhebern der Gerüchte haben Sie?
Wir wissen nicht, wer dahintersteckt, doch das Ganze wurde offenbar sehr gezielt verbreitet. Ich bin bei manchen der betroffenen Foren gar nicht angemeldet. Vor gut drei Wochen haben mir Menschen aus meinem privaten Umfeld mitgeteilt, dass sie entsprechende Nachrichten, beispielsweise über WhatsApp, erhalten hätten.
In einer kleinen Stadt wie Gotha macht so was schnell die Runde, sei es in Vereinen oder beim Einkaufen. Ein Bekannter erzählte neulich, dass er einen Mann getroffen habe, der steif und fest behauptet hat, ich sei im Hospiz.
Von Fake News zu einem tatsächlichen Verlust: Ende Juli erlag Ihr langjähriger Fraktionskollege Thomas Hartung, der sich ebenfalls erneut zur Wahl stellen wollte, seiner Krebserkrankung. Was macht das in dieser Situation mit Ihnen?
Ich hatte noch vor wenigen Wochen zu Thomas Kontakt, er hat mir, was meine Krankheit betrifft, Mut gemacht. Sein Tod war einer der schlimmsten Schläge der letzten Wochen, schließlich haben wir 15 Jahre lang Schulter an Schulter zusammengearbeitet. Ich war eine Woche lang völlig am Boden. Möglicherweise hat sein Tod einige Leute erst recht dazu animiert, Gerüchte über mich in die Welt zu setzen.
Matthias Hey:
Tino Chrupalla und Björn Höcke scheinen sämtliche Hemmungen verloren zu haben
Viele vermuten die AfD und andere Rechtsextremist*innen hinter der Gerüchte-Kampagne. Was wissen Sie darüber?
Es gibt unzählige anonyme Foren, vieles wird über Bots geteilt. Einiges lässt sich zurückverfolgen. Ich möchte mich aber gar nicht zu sehr mit den Einzelheiten dazu beschäftigen. Mir ist wichtiger, dem etwas entgegenzusetzen. Mein Team und ich haben zum Beispiel auf verschiedenen Plattformen Videos veröffentlicht, in denen ich dazu aufrufe, auch die Briefwahl zu nutzen. Für diese und andere Aktionen haben wir viel Zuspruch bekommen.
Stehen Sie in Kontakt mit der Polizei?
Nicht deswegen. Ist das Verbreiten von Gerüchten denn strafrechtlich relevant? Regelmäßigen Kontakt gibt es allerdings. Immer wieder müssen wir der Polizei melden, dass unsere Wahlplakate und Großaufsteller in nie dagewesener Weise demoliert wurden. Das alles hat eine neue Qualität.
Haben sich AfD-Vertreter*innen, insbesondere aus der Landtagsfraktion, Ihnen gegenüber zu der Gerüchtekampagne geäußert, sich womöglich davon distanziert?
Nein. Würde sich die AfD-Landtagsfraktion davon distanzieren, würde dies ja bedeuten, dass sie die Urheberschaft in ihren Reihen sieht. Jedoch ist offen, woher diese Nachrichten ursprünglich stammen. Es scheint aber klar zu sein, dass die Leute, die die Gerüchte verbreitet haben, diesem politischen Spektrum zuzuordnen sind. Generell ist zu sagen: Zwischen der AfD und mir gibt es eine Nichtbeziehung und keinerlei Austausch.
Der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla hat neulich bei einem Auftritt in Gotha erklärt, die SPD sei reif fürs Schafott. Brechen im Wahlkampf der in Thüringen als gesichert rechtsextremen Partei die letzten Dämme?
Chrupallas Worte waren nicht nur unter der Gürtellinie, sondern jenseits jeglicher politischer Debattenkultur. Man darf nicht hinnehmen, dass Europas älteste Partei so diskreditiert wird. Allerdings glaube ich, dass sich damit der AfD-Chef in der Stadt, wo die SPD einst laufen gelernt hat, nicht viele Freunde gemacht hat.
Mit Blick auf seine Partei hat mich Chrupallas Satz nicht groß überrascht. Er und Landeschef Björn Höcke scheinen sämtliche Hemmungen verloren zu haben. Kürzlich hat Höcke gegen Thüringer Unternehmen gehetzt, die vor einem Wahlsieg der AfD warnen.
Mit welchen Gefühlen starten Sie in den Endspurt des Wahlkampfes?
Ich sehe mit Sorge, was am Sonntag passieren könnte. Die Lage ist schwierig. Ich hoffe, dass wir am zweiten September nicht in einem Land aufwachen, wo der größtmögliche politische Blödsinn passiert ist.
Matthias Hey ist seit 2014 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag. Diesem gehört er seit 2009 an. Im Oktober 2023 macht er seine Krebserkrankung öffentlich.