Bürgergeld: Warum die Kritik der CDU ins Leere läuft
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Ein bisschen mehr eigene Ideen würden der CDU ganz gut tun. Denn die aktuelle Zeit in der Opposition sollte doch eigentlich dazu dienen, die Partei neu aufzustellen, ein neues Grundsatzprogramm zu verabschieden. Das soll nun die Forderung enthalten, das Bürgergeld in seiner jetzigen Form abzuschaffen. Die Partei soll also grundsätzlich dafür stehen, Sozialleistungen zu kürzen. So hat es ihr Generalsekretär Carsten Linnemann nun verkündet, mit der ebenso alten wie platten Formel „Wer nicht arbeiten will, muss das nicht tun – er kann dann aber auch nicht erwarten, dass die Allgemeinheit für seinen Lebensunterhalt aufkommt.“ Gleichzeitig argumentiert die CDU, das Bürgergeld sei zu hoch und setze so keine Anreize, eine Beschäftigung aufzunehmen. Dabei greift die Kritik der Union am Bürgergeld gleich aus mehreren Gründen zu kurz:
1. Zu niedrige Löhne
Nur für rund 41 Prozent der Arbeitnehmer*innen in Deutschland war das Beschäftigungsverhältnis im vergangenen Jahr durch einen Tarifvertrag geregelt, in Ostdeutschland galt sogar nur für ein Drittel der Beschäftigten ein Branchentarifvertrag. Das führt zu deutlich niedrigeren Löhnen, weshalb ein Drittel der Arbeitnehmer*innen in Deutschland zusätzlich zu ihrem Lohn Bürgergeld beziehen muss, wie der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich am Dienstagnachmittag in einem Pressestatement referierte. Das Gegenteil der Unionsargumentation ist also der Fall: Menschen hören nicht auf zu arbeiten, weil das Bürgergeld zu hoch ist, sondern sie müssen zusätzlich mit Bürgergeld aufstocken, weil ihr Lohn zu niedrig ist.
2. Mindestlohnerhöhung
Die mit den Stimmen der Ampel-Parteien im Bundestag beschlossene Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro pro Stunde zum 1. Oktober 2022 war insbesondere für viele Menschen in Ostdeutschland die größte Lohnerhöhung ihres Lebens, wie der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, vor wenigen Wochen bei der Vorstellung des diesjährigen Berichtes zum Standt der Deutschen Einheit sagte. Umso bemerkenswerter das Abstimmungsverhalten der CDU/CSU, die gegen diese Erhöhung stimmte. Wollten Merz, Linnemann und Co. wirklich etwas für höhere Löhne und Einkommen tun, dies wäre die beste Gelegenheit gewesen.
3. Zustimmung zum Bürgergeld
Die Kritik der Union am Bürgergeld verwundert auch insofern, da CDU und CSU der Einführung des Bürgergeldes selbst zugestimmt haben. Denn nachdem eine erste Version des Gesetzes im vergangenen Jahr zunächst keine Mehrheit im Bundesrat, also der Vertretung der Landesregierungen fand, erzielte der Vermittlungsausschuss Ende November 2022 einen Kompromiss. Dieser wurde zwei Tage später im Bundestag erneut zur Abstimmung gestellt. Von den 197 Mitgliedern der CDU/CSU stimmten 176 mit Ja bei nur einer Nein-Stimme und einer Enthaltung. Zugestimmt haben übrigens Friedrich Merz und Carsten Linnemann, die nun plötzlich wieder als große Kritiker des Bürgergeldes auftreten.
4. Bürgergeld ist kein Grundeinkommen
Es war ein emotionaler Ausbruch, wie er bei Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sonst nur selten zu erleben ist. Doch er brachte damit vieles auf den Punkt. Am Montagabend sagte Heil in der ARD-Sendung „Hart, aber fair“: „Jemand, der so bescheuert ist, bekommt erst mal kein Bürgergeld.“ Damit reagierte der SPD-Politiker auf den Vorwurf, Menschen würden ihre Arbeit kündigen, weil es lukrativer sei, Bürgergeld zu beziehen. Heil machte deutlich, dass das Bürgergeld kein bedingungsloses Grundeinkommen ist. Wer nicht mitwirke, dem könnten Leistungen um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Auch könne es mit Blick auf den späteren Rentenbezug „verheerende Folgen“ haben, Bürgergeld zu beziehen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo