Kultur

Wie das Jüdische Filmfestival die Folgen des Terrors erforscht

In bewegten Zeiten feiert das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg seinen 30. Geburtstag. Programmdirektor Bernd Buder spricht im Vorfeld über den Einfluss des Nahostkonfliktes und was ein Filmfestival gegen Antisemitismus ausrichten kann.

von Nils Michaelis · 13. Juni 2024
Eine Szene aus dem Film „Supernova. The Music Festival Massacre"

Was vom Terror bleibt: eine Szene aus dem Film „Supernova. The Music Festival Massacre", der auf dem Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg läuft.

Mit der Filmreihe „Der Angst begegnen – Filmische Reflektionen von Terror, Trauma und Widerständigkeit“ spannt das Festival einen Bogen weit über die jüdische Welt hinaus. Was wollen Sie damit zum Ausdruck bringen?

Wir wollen zeigen, dass Terrorangriffe nicht nur Jüdinnen und Juden, sondern die gesamte Gesellschaft betreffen. Damit sind wir beim Kern unseres Festivals: Fragen, die sich zum Judentum stellen, sind immer auch gesamtgesellschaftliche Fragen. Wenn sich Politiker*innen dafür einsetzen, dass Leben für „unsere jüdischen Mitbürger“ zu verbessern, steckt darin etwas Trennendes. Wer ist denn dann der „Bürger“? Die Erfahrungen, die Jüdinnen und Juden machen, gehen alle an. Und umgekehrt.

Zu dieser Reihe gehört der Film „Supernova. The Music Festival Massacre“. Dieser versucht, den brutalen Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 anhand von Handy-Aufnahmen und Zeugenaussagen zu rekonstruieren. Was bedeutet Ihnen dieser Film?

Das ist einer der härtesten Filme, die ich als Kurator je gesehen habe. Er beginnt mit wunderbaren Festival-Aufnahmen und endet mit Bildern junger Menschen, die in panischer Angst vor ihren Verfolgern fliehen und niedergemetzelt werden. Betroffene berichten, wie sie unter Leichenbergen ausharren mussten. Das lässt sich kaum aushalten.

Wir haben uns gefragt, ob wir das dem Publikum zumuten können. Und uns dafür entschieden, weil es um grauenhafte Tatsachen geht, die außerhalb von Israel kaum wahrgenommen wurden. Gerade in der deutschen und europäischen Clubszene gab es wenig Empathie. Viele sind zum Tagwerk übergegangen oder haben sich sehr schnell und sehr einseitig mit den Palästinenser*innen solidarisiert, ohne genau hinzugucken, was hier eigentlich passiert ist, ohne zu bedenken, welche Eskalationsstrategie der Hamas dahintersteht.

Wie haben Sie den 7. Oktober erlebt?

Ich saß im Büro. Von einem Moment auf den anderen erreichte mich eine Flut von Nachrichten aus Israel, auch von einem Mitarbeiter vor Ort. Dieser hat sofort mitbekommen, dass viele Bekannte und Verwandte direkt von den schrecklichen Ereignissen betroffen waren. Ich war schockiert und konnte das alles zuerst nicht glauben, es war wie ein Alptraum. 

„Es gibt für Jüdinnen und Juden keine sichere Zuflucht mehr"

Als das Jüdische Filmfestival vor 30 Jahren startete, war der Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinenser*innen in vollem Gange. Heute herrscht eine komplett andere Lage. Wie stark beeinflusst die Lage in Nahost die Veranstaltung?

Das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinenser*innen hat immer eine Rolle gespielt. Allerdings möchte ich betonen, dass es sich bei unserer Veranstaltung um kein israelisches Filmfestival handelt. 

Wahr ist aber auch: Israel war immer das Versprechen eines sicheren Rückzugsortes für Jüdinnen und Juden weltweit. Der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober hat auf traumatisierende Weise gezeigt, dass auch dieser Ort verwundbar ist. Es gibt keine sichere Zuflucht mehr. Dieser Umstand spiegelt sich in den Filmen, die wir in diesem Jahr zeigen, allerdings noch nicht wider, die überwiegende Zahl entstand vor dem Oktober 2023. Künftig wird er aber sicher ganz stark thematisiert werden.

Deutschland erlebt aktuell eine Welle antisemitischer Straftaten und viele Jüdinnen und Juden leben in Angst. Inwieweit geht es Ihnen auch darum, jüdisches Leben in Deutschland sichtbarer zu machen und ein selbstbewusstes Zeichen zu setzen?

Das war immer schon so, aber jetzt ist es umso wichtiger. Im deutschen Film werden Jüdinnen und Juden häufig klischeehaft gezeigt: etwa als Opfer, als Bildungsbürger*in oder als Musiker*in. Dem haben wir von Anfang an den gesamten Umfang jüdischer Erfahrung entgegengesetzt, zum Beispiel über Charaktere wie Fußballspieler*innen oder Menschen in Armut. Gerade jetzt ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es den gestiegenen Antisemitismus gibt und dass Filme analysieren, wo er herkommt und wohin er führen könnte.

Kopf des Festivals

Bernd Buder ist Programmdirektor des Jüdischen Filmfestivals Berlin Brandenburg. Mit seiner Amtskollegin Lea Wohl von Haselberg bildet er eine Doppelspitze.

Jüdisches Filmfestival Berlin Brandenburg Programmdirektor Bernd Buder

Was können Filme oder ein Filmfestival in diesen aufgeheizten Zeiten dazu beitragen, die Stimmung zu entschärfen? Erreicht man damit nicht ohnehin nur jene Menschen, die eine gewisse geistige Offenheit für sich in Anspruch nehmen?

Da machen wir uns keine großen Illusionen. Dennoch ist es wichtig, diese Themen immer wieder zu verhandeln, auch, auch wenn man einem bewusst ist, dass man damit keine überzeugten Rechtsextremist*innen und Antisemit*innen erreicht.

Wie vielfältig das Judentum ist und dass es nicht den einen israelischen Blick auf die Dinge gibt, müssen wir allerdings auch unserem aufgeklärten Stammpublikum immer wieder in Erinnerung rufen. Die Welt ist nicht schwarz-weiß. Unser Filmfestival nimmt keinen eindeutigen Standpunkt in Anspruch. Seine Aufgabe besteht darin, Fragen aufzuwerfen.

In diesem Jahr soll das Jüdische Filmfestival mehr denn je den Austausch und Dialog fördern. In welche Formate und Inhalte setzen Sie die größte Hoffnung?

Bei den meisten Vorführungen gibt es im Anschluss ein Gespräch mit den Filmschaffenden. Dabei geht es auch um die Beweggründe, warum und wie sie ihren Film gemacht haben und wie er beim Publikum im Produktionsland angekommen ist. Zudem gibt es so viele Panels und Diskussionsveranstaltungen wie nie zuvor.

Bei der Filmreihe „Der Angst begegnen – Filmische Reflektionen von Terror, Trauma und Widerständigkeit“ geht es darum, zu reflektieren: Was macht Terror mit uns? Welche Ängste löst er in Menschen, aber auch Gesellschaften aus? Was können wir tun, um einen öffentlichen Raum des Austausches zu erhalten, den andere gewaltsam zerstören wollen? Das Spektrum der Reihe reicht vom NSU in Deutschland und den Terrorangriffen von 2015 in Paris bis zum 7. Oktober in Israel.

„Das Jüdische Filmfestival möchte auch unterhalten"

Ihr Filmfestival will zeigen, wie vielfältig jüdische Geschichte und Erfahrungen sowie deren filmische Aufarbeitung sind. Wie groß ist der Aufklärungsbedarf zum 30. Jubiläum?

Das Festival richtet sich nicht nur an ein bildungsbürgerliches Publikum, wir möchten auch unterhalten. Es geht aber auch darum, geschichtliche Themen und Seelenlagen tiefgehend zu analysieren. Letztere sind nach den Ereignissen vom 7. Oktober 2023 besonders kompliziert geworden. Wir wollen verschiedenste Meinungen und Blickwinkel zur jüdischen Geschichte und Gegenwart zugänglich machen. Vom Experimentalfilm bis zur Komödie zeigen wir alle filmischen Genres.

Jüdisches Leben wird auch in Kunst und Kultur häufig auf die Shoah, den Nahostkonflikt und Klezmermusik reduziert. Wir möchten zeigen: Da ist viel mehr! Es gibt noch unglaublich viel zu erzählen.

Das Festival tourt durch verschiedene Städte in Brandenburg. Im Herbst wir dort ein neuer Landtag gewählt. Viele befürchten einen erneuten Rechtsruck. Was kann das Festival dazu beitragen, den Glauben an Demokratie und Vielfalt zu stärken?

Auch bei diesem Punkt sind wir uns der Grenzen eines Filmfestivals bewusst. Trotzdem ist es wichtig, Erfahrungen weiterzutragen und zu diskutieren, die vielleicht nicht allzu viel mit der Lebensrealität in kleineren brandenburgischen Städten zu tun haben. 

Dass die AfD und andere rechte Parteien jüdische und israelische Sichtweisen für eigene Zwecke kapern und die Gewalt im Nahen Osten allein „den Muslimen“ in die Schuhe schieben, bringt allerdings Probleme mit sich. Wir machen immer wieder deutlich, dass wir kein antimuslimisches, sondern ein jüdisches Filmfestival sind. 

So oder so ist es wichtig, den Menschen ein hautnahes und intimes Filmerlebnis und eine Diskussion mit den Menschen zu ermöglichen, die diese Filme gemacht haben.

Das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg läuft vom 18. bis zum 23. Juni. Insgesamt werden 70 Filme aus 15 Ländern gezeigt. Mehr dazu unter jfbb.info

Hier geht es zum Trailer des Films „Supernova. The Music Festival Massacre":

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