Geschichte

Theodor Lessing: Wie ein jüdischer Sozialdemokrat die Nazis bekämpfte

Früh warnte Theodor Lessing vor den Gefahren der völkisch-antisemitischen NS-Bewegung. Das haben die Nazis nie vergessen. 1933 ermordeten sie den Philosophen und Sozialdemokraten in seinem Exil.
von Lothar Pollähne · 8. Februar 2022
Theodor Lessing (1872-1933): Als Jude fühlte er sich oft „heimatlos, zwischen allen Sekten und Parteien hin- und hergeworfen“
Theodor Lessing (1872-1933): Als Jude fühlte er sich oft „heimatlos, zwischen allen Sekten und Parteien hin- und hergeworfen“

Karl Theodor Richard Lessing wird am 8. Februar 1872 als Sohn des praktischen Arztes Sigmund Lessing und der vermögenden Bankierstochter Adele Lessing in einem roten Backsteinhaus in der Georgstraße 39 in Hannover geboren. Aber hinter den gediegenen Gardinen der bürgerlichen Wohnung lauert das Grauen der Wohlanständigkeit. Schon vor der Geburt hasst der Vater sein Kind, da er zwar die Mitgift von Theodors Mutter liebt, nicht jedoch die Mutter. Kindheit und Jugend müssen der reine Horror gewesen sein. „Der Vater immer in Geschäften; die Mutter immer in Vergnügungen“, erinnert sich Lessing später. Der Vater verprasst die Mitgift seiner Frau. Dennoch kann die Familie 1880 in eine repräsentative Villa ziehen. Für Theodor Lessing ist die Familie die erste von „zwei Höllen“.

Ebenso bedrückend wie seine Familie empfindet Theodor Lessing jedwede Form von Schule, die er als zweite Hölle beschreibt. Die „Menschenverdummungsanstalt“ langweilt und quält ihn. Das Abitur macht Lessing schließlich 1892, nachdem er ein strenges Internat in Hameln durchlaufen hat. Das ist nicht etwa das Ende aller Qualen, denn Theodor beginnt auf Geheiß seines Vaters ein Medizinstudium. Das entspricht nicht seinen Neigungen.

Theodor Lessings literarische Gehversuche

1895 bricht Theodor Lessing in München sein Medizinstudium ab, um Psychologie, Philosophie und Literatur zu studieren. Unter dem Einfluss des Literatenkreises um Stefan George unternimmt Lessing erste Gehversuche auf dem literarischen Parkett. 1899 wird Theodor Lessing in Erlangen zum Dr. phil. promoviert. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Lehrer am Reforminternat im thüringischen Haubinda.

Theodor Lessing zieht es nach Hannover zurück, wo er sich 1907 habilitiert. Er schreibt Theaterkritiken und arbeitet als Privatdozent für Pädagogik und Philosophie an der Technischen Hochschule. 1908 gründet Lessing den „Anti-Lärm-Verein“, für den er das Periodikum „Der Anti-Rüpel“ herausgibt. Das trägt ihm das Spottprädikat „Der Lärmprofessor“ ein.

„Heimatlos, zwischen allen hin- und hergeworfen“

1912 heiratet Theodor Lessing seine langjährige Freundin Ada Abbenthern. Trotz der weit verbreiteten Kriegseuphorie wagt es Lessing im Wintersemester 1914/15, an der TH Hannover pazifistische Vorlesungen abzuhalten. Gleichzeitig beginnt er mit der Arbeit an seinem philosophischen Hauptwerk „Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen“. Für Lessing ist dies ein Akt der Selbstfindung, denn er fühlt sich als Jude „heimatlos, zwischen allen Sekten und Parteien hin- und hergeworfen“. 1922 wird Lessing außerordentlicher Professor an der TH Hannover. Seinen Lebensunterhalt allerdings verdient er mit Essays und Feuilletons.

Großes Aufsehen erregt Theodor Lessing mit seiner Berichterstattung über den „Haarmann-Prozess“, in der er heftige Kritik an der Polizei und der Justiz übt. Berichte für das „Prager Tagblatt“ nimmt das Gericht zum Anlass, Theodor Lessing vom Prozess auszuschließen mit der Begründung: „Wir können im Gerichtssaal keinen Herren dulden, der Psychologie betreibt.“ 1925 erscheint Lessings Buch „Haarmann — Geschichte eines Werwolfs“.

Rechte Hetzkampagne nach Kritik an Hindenburg

Als er am 25. April 1925 im „Prager Tagblatt“ ein psychologisch-wissenschaftliches Porträt des nationalkonservativen Präsidentschaftskandidaten Paul von Hindenburg veröffentlicht, wird Theodor Lessing endgültig zum Hassobjekt. Prophetisch schreibt Lessing. „Ein Philosoph würde mit Hindenburg nun eben nicht den Thronstuhl besteigen. Nur ein repräsentatives Symbol, ein Fragezeichen, ein Zero. Man kann sagen: Besser ein Zero als ein Nero. Leider zeigt die Geschichte, dass hinter einem Zero immer ein künftiger Nero verborgen steht.“ Antisemitische, nationalsozialistisch gelenkte Corpsstudenten entfesseln eine Hetzkampagne gegen Lessing, die 1926 ‚Erfolg’ hat. Lessing muss seine Lehrtätigkeit an der TH Hannover einstellen.

Theodor Lessing bleibt weiterhin sperrig, auch seiner eigenen Partei, der SPD, gegenüber, der er seit 1905 angehört. Als er Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts erklärt, die SPD kenne nur die „heilige Herrschaft der Gewerkschaftssekretäre“, droht ihm der Parteiausschluss. Lessing darf bleiben, was vielleicht daran liegt, dass seine Frau Ada mittlerweile in der Parteiarbeit aktiv ist. Lessing arbeitet vermehrt für die Volkshochschule, schreibt weiterhin für das „Prager Tagblatt“ und hält Vorträge über die drohenden Gefahren der völkisch-nationalen-antisemitischen Bewegung.

Flucht in's Prager Exil

Am 1. März 1933 flüchtet Theodor Lessing ins Prager Exil. Als im Juni in einer sudetendeutschen Zeitung das Gerücht verbreitet wird, auf Theodor Lessing sei ein Kopfgeld ausgesetzt, reagiert der Philosoph zynisch: “Ich zerbrach mir den Kopf und verdiente nichts damit. Und nun achtzigtausend Reichsmark! und dies Glück haben andere mit meinem Kopf. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass mit meinem Kopf so viel zu verdienen wäre.“ Am 30. August 1933 wird Theodor Lessing im Arbeitszimmer seines Hauses in Marienbad von sudetendeutschen Nazis ermordet. Begraben ist er auf dem jüdischen Friedhof in Marienbad.

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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